Hamburg. Mit Anthony Joshua und Oleksandr Usyk treten im Stadion des Londoner Fußballclubs Tottenham Hotspur zwei Olympiasieger in den Ring.

In seiner Zeit als Manager der Klitschko-Brüder Wladimir und Vitali hat es Bernd Bönte meisterlich verstanden, auch mittelmäßige Schwergewichts-Boxkämpfe gewinnbringend anzupreisen. Doch wenn der 65-Jährige an diesem Sonnabend (Vorkämpfe 19 Uhr, Hauptkampf gegen 22.15 Uhr) als Experte beim Streamingdienst Dazn auf Sendung geht, ist künstlicher Hype keinesfalls vonnöten. Die Ansetzung im Stadion des Londoner Fußballclubs Tottenham Hotspur, zu der der langjährige Premiere-Kommentator Bönte seine Sicht der Dinge beisteuert, verspricht ein Fest für Faustkampf-Puristen zu werden.

Auf dem Spiel stehen die WM-Titel der Verbände WBO, WBA und IBF in der Königsklasse des Berufsboxens. Der Brite Anthony Joshua (31), der im April 2017 im Londoner Wembleystadion die Karriere Wladimir Klitschkos mit einem brachialen Knockoutsieg beendete, steigt vor 60.000 Fans in der ausverkauften Arena als Titelverteidiger gegen einen Mann in den Ring, der genau weiß, wie Joshua sich fühlt. Der Ukrainer Oleksandr Usyk (34) war sogar bei den vier bedeutenden Weltverbänden WBO, WBA, IBF und WBC gleichzeitig Champion – allerdings im Cruisergewicht, dem Limit bis 90,72 Kilogramm, sozusagen dem Vorhof des Schwergewichts.

Boxen: Sowohl Joshua als auch Usyk verfügen über enorme K.-o.-Power

Nachdem er dort alles erreicht hatte, stieg Usyk vor zwei Jahren ins Schwergewicht auf, verschaffte sich gegen Chazz Witherspoon (40/USA) und Dereck Chisora (37/England) Respekt und zwei weitere Siege für seinen nach 18 Profikämpfen weiterhin makellosen Kampfrekord – und erarbeitete sich bei der WBO die Position des Pflichtherausforderers, die ihm nun das Duell mit dem in 25 Profikämpfen einmal besiegten Joshua einbringt. Und dieses Treffen zweier Olympiasieger von 2012 – Joshua im Superschwer-, Usyk im Schwergewicht – verspricht einer der stilistisch besten Königsklassenkämpfe der vergangenen Jahre zu werden.

Sowohl Joshua als auch Usyk verfügen über enorme K.-o.-Power, sind jedoch beide auch fähig, die ganz feine Klinge zu führen. Zwar gilt der Brite angesichts seiner physischen Vorteile – acht Zentimeter mehr Körperlänge, zehn Zentimeter größere Reichweite – als Favorit. „Aber wenn Usyk es schafft, aus der Distanz die Geschwindigkeit und den Druck auf Joshua hochzuhalten, traue ich ihm sogar zu, dass er nach Punkten gewinnt“, sagt der deutsche Schwergewichtsmeister Peter Kadiru. Der 24 Jahre alte Hamburger hat Joshua bereits in zwei Vorbereitungscamps als Sparringspartner gedient und weiß deshalb um dessen Fähigkeiten aus eigener Erfahrung.

Da Usyk jedoch in der Rechtsauslage boxt – seine Schlaghand ist also die linke –, konnte Kadiru, der seinen Titel erstmals am 9. Oktober in Magdeburg gegen den Frankfurter Boris Estenfelder (34) verteidigt, diesmal keine Hilfe sein. Stattdessen reiste der von Bönte gemanagte Profineuling Viktor Jurk für insgesamt zehn Wochen nach Sheffield, um Usyk zu imitieren. „Das war schon ein sehr großer Wow-Effekt. Vor allem hat mich beeindruckt, wie professionell alles war. Ich habe so viel gelernt wie noch nie zuvor“, sagt das Toptalent.

Zunächst jedoch muss Joshua die Hürde Usyk überspringen

Aber auch das Joshua-Lager war angetan von dem 2,04 Meter langen Deutschen, der für eins der nächsten Camps bereits wieder gebucht wurde. Sollte Joshua am Sonnabend siegen und sein britischer Landsmann Tyson Fury (33) seinen WBC-Titel am 9. Oktober in Las Vegas erfolgreich im bereits dritten Duell mit Deontay Wilder (35/USA) verteidigen, ist der Vereinigungskampf um alle vier Schwergewichts-WM-Titel für 2022 vorgesehen.

Zunächst jedoch muss Joshua die Hürde Usyk überspringen. „Es wird der größte Kampf meiner Karriere gegen den besten Gegner, den ich je hatte. Aber der Druck liegt bei ihm“, sagt der Ukrainer. Anthony Joshua weiß das. „Es wird ein weiterer ultimativer Test gegen einen Gegner, der mich hart fordern wird“, sagt er. Und Bernd Bönte? Der erwartet „zwei Athleten mit exzellenten Fähigkeiten und deshalb ein Duell auf allerhöchstem Niveau“. Dem ist tatsächlich nichts hinzuzufügen.