Hamburg. Die für Nigeria startende Hamburgerin erlebt in Japan ihre siebten Olympischen Spiele – als erste Tischtennisspielerin der Welt.

Dabeisein ist alles, dieses Motto, in dem in nur drei Worten die ganze Faszination Olympischer Spiele steckt – Funke Oshonaike denkt manchmal, dass es für sie erfunden wurde. Natürlich lacht sie, wenn sie das sagt, sie ist eine Frau, die dem Ernst des Lebens gern ihr strahlendstes Lächeln entgegenschleudert. Aber die Reise, die die 46 Jahre alte Nigerianerin an diesem Freitag vom Flughafen Fuhlsbüttel aus antritt, diese Reise erzählt besser, als man es sich ausdenken könnte, worin die Faszination des größten Sportereignisses der Welt besteht. Und warum es sich lohnt, wirklich niemals nie zu sagen.

Genau das hatte Funke Oshonaike vor fünf Jahren getan, vor den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro, die definitiv ihre letzten werden sollten. „Ich spüre, dass ich mit den Jungen nicht mehr mithalten kann“, sagte sie damals im Gespräch mit dem Abendblatt. Und nun? Nun fliegt sie von Hamburg nach Tokio, wo vom 23. Juli an der nächste Kampf um Olympiamedaillen auf dem Programm steht.

Es ist ihre siebte Teilnahme an Olympia

Es ist ihre siebte Teilnahme im Zeichen der fünf Ringe, seit sie 1996 in Atlanta ihre Premiere feierte, sie ist die erste Tischtennisspielerin der Geschichte, die das schafft. „Ich kann es immer noch nicht glauben, dass ich wirklich noch einmal antrete“, sagt sie zwar, aber letztlich ist das historische siebte Mal der Grund dafür, dass sie sich überhaupt noch einmal aufrafft.

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„In Rio habe ich zum ersten Mal davon gehört, dass es einen Siebener-Club gibt, zu dem im Tischtennis bislang nur vier Männer gehören. Da habe ich mir gedacht: Das kann ja wohl nicht sein, dass da keine Frau dabei ist“, sagt Funke Oshonaike, als sie wenige Tage vor dem Abflug ein paar Minuten Zeit für ein Gespräch erübrigen kann. Den ganz überwiegenden Teil ihrer Tage hat sie über viele Wochen damit verbracht, in ihrem Beruf als Retouren-Bearbeiterin beim Versandriesen Hermes Überstunden anzusammeln, die sie für die Japan-Reise braucht. Und sie hat trainiert, schließlich gab es, um auf ein für Olympia vertretbares Level zu kommen, viel aufzuholen.

Mit Tischtennisrobotern trainiert

Während der Corona-Zeit war auf dem Drittliganiveau, das sie als Amateurspielerin im SC Poppenbüttel aufweist, kaum Sportbetrieb möglich. „Ich habe mit Tischtennisrobotern trainiert, um in Form zu bleiben, bin fünfmal die Woche zum Joggen gegangen. Aber ich habe gemerkt, dass ich viel eingebüßt habe. Deshalb habe ich versucht, in den vergangenen Wochen so hart zu arbeiten wie niemals zuvor“, sagt sie. Körperlich sei sie schon jetzt müde und ausgelaugt, mental jedoch umso aufgekratzter und voller Vorfreude. „Ich weiß, dass das, was ich erleben werde, etwas ganz Besonderes ist. Deshalb bin ich glücklich“, sagt sie.

Funke Oshonaike war acht Jahre alt, als sie in ihrer Geburtsstadt Lagos erstmals mit dem Tischtennis in Berührung kam. Neun Geschwister hat sie, von denen vier den damals in Nigeria sehr populären Sport ausübten. Mit ihren Brüdern spielte sie anfangs auf dem heimischen Küchentisch und später an den öffentlichen Platten, die in Lagos überall zu finden waren. Dort entdeckte sie ein Scout, über den sie 1994 nach Italien kam, um professionell zu spielen. 18 Jahre alt war sie damals, gab ihr Studium auf für das Abenteuer Europa. Zwei Jahre später ging ihr Traum, sich für Olympia zu qualifizieren, in Erfüllung. Und als sie tatsächlich in Atlanta für ihr Land aufschlug, war es um sie geschehen.

2000 in Sydney verstarb ein Mitglied des nigerianischen Teams

Ihre ersten Spiele hat Funke Oshonaike, die seit 1998 in Hamburg lebt, in bester Erinnerung, „es war das prägendste Erlebnis meines Lebens, dieser Überfluss an allem, den ich bis dahin nicht kannte, hat mich fasziniert“, sagt sie. 2000 in Sydney verstarb ein Mitglied des nigerianischen Teams, „das hat auf die Stimmung gedrückt“. Athen 2004 missfiel ihr, „zu viel Chaos, unfreundliche Sicherheitskräfte“. Vier Jahre später in Peking genoss sie, von den Chinesen, für die Tischtennis Nationalsport ist, gefeiert zu werden.

2012 in London fühlte sie sich wie in Lagos, „so viele Nigerianer leben dort, es war nichts Besonderes“. Rio 2016 dagegen, wo sie für ihr Land bei der Eröffnungsfeier die Fahne ins Stadion tragen durfte, sei pure Exotik gewesen, „mein erstes Mal in Südamerika, es war sehr aufregend, ich habe zwei Wochen gefeiert und mir alle anderen Sportarten angeschaut!“

Erfolg ist im Sport relativ

Die Spiele auch als Touristin zu genießen – für Funke Oshonaike war das bei allen ihren Teilnahmen ein wichtiger Aspekt. Deshalb blickt sie der Tokio-Reise auch mit gemischten Gefühlen entgegen, weil die Corona-Regeln jegliche Kontakte zu anderen Sportarten untersagen. Einen lebenslustigen Menschen wie sie schränkt das schon ein, zumal die Konzentration auf den Wettbewerb sie nicht ausfüllt. Nicht, dass sie nicht alles geben würde. Aber ihre Qualität reicht eben nicht viel weiter, als sich unter die sechs besten afrikanischen Frauen durchzuschlagen.

Für Tokio war ihr das im vergangenen Jahr beim kontinentalen Ausscheidungsturnier in Tunesien gelungen, bevor Corona kam. Der Afrikaverband erhielt die Qualifikation trotz der Verschiebung aufrecht, man finanziert Funke Oshonaike Trainingslager und Reisen, auch wenn klar ist, dass es wieder nicht über Runde eins hinausgehen wird wie 2012 und 2016. Bei den ersten vier Teilnahmen war gar schon in der Qualifikation zur Hauptrunde Endstation.

Aber weil Erfolg im Sport relativ ist und stets im Verhältnis von Aufwand und Ertrag betrachtet werden muss, ist Funke Oshonaike durchaus zufrieden mit sich. „Ich darf doch niemals vergessen, dass die allermeisten Menschen auf der Welt es niemals zu Olympia schaffen. Ich bin nun zum siebten Mal dabei. Wie könnte ich da unzufrieden sein?“, sagt sie. In Tokio, wenn sie zu den 31 Athletinnen und Athleten aufschließt, die sieben Olympiateilnahmen aufweisen können, wird sie vom Weltverband ITTF eine Ehrung erhalten. Und auch wenn eine Medaille für viele das Nonplusultra ist, ist ihr diese Auszeichnung fast noch mehr wert als Edelmetall.

Wenn sie aus Tokio zurück ist, braucht sie einen neuen Job

Den Kanadier Ian Millar, der zwischen 1972 und 2012 zehnmal im Springreiten antrat, wird sie nicht mehr einholen, auch nicht den österreichischen Segler Hubert Raudaschl (1964 bis 1996) und den lettischen Sportschützen Afanasijs Kuzmins (1976 bis 2012), die es neunmal zu Olympia schafften. Und wohl selbst die zehn Mitglieder des Achter-Clubs nicht, denn wenn Funke Oshonaike aus Tokio zurückkehrt, warten da ja nicht nur die Söhne Devine (18) und Unique (14), sondern auch die Arbeitslosigkeit.

Hermes hat Oshonaike und ihrem Team betriebsbedingt zum September gekündigt. „Arbeitslos zu sein, das ist eine neue Erfahrung für mich“, sagt Funke Oshonaike, bevor sie sich zum Training verabschiedet. Schrecken kann sie selbst diese Aussicht allerdings nicht. „Wenn eine Tür zugeht, geht irgendwo eine andere auf, die dir etwas Besseres bringt“, sagt sie und lacht wieder laut. Es ist der Moment, in dem man sich nicht ganz sicher sein kann, dass eine dieser Türen in drei Jahren nicht doch noch nach Paris führt.