Berlin. In zweiten Teil der Olympiaserie erklärt Bahnradfahrer Theo Reinhardt, wie sein Sportgerät funktioniert.

Am 23. Juli beginnen in Japans Hauptstadt Tokio die Olympischen Sommerspiele. 434 Aktive wird das Team Deutschland umfassen, und eine ganze Reihe von diesen Sportlerinnen und Sportlern kann sich nicht allein auf die Stärke ihres Körpers verlassen. Sie sind angewiesen auf ihr sportliches Werkzeug, um Höchstleistung zu bringen. In dieser Serie stellen bis zum Start der Spiele sechs Tokio-Reisende die Geheimnisse ihres Sportgeräts vor. Heute Teil zwei mit dem Berliner Bahnradfahrer Theo Reinhardt (30).

Viel dran ist eigentlich nicht. Keine Gänge zum Schalten, die Bremsen fehlen auch. Reduziert auf das Wesentliche sind die Zeitfahrräder, die den deutschen Bahnvierer bei den Olympischen Spielen in Tokio um das Holzoval tragen. Und gerade deshalb so speziell. Alles ist optimiert, auf Höchstleistung getrimmt.

Der Rahmen muss so aerodynamisch wie möglich sein

Eines steht natürlich im Vordergrund. „Der wichtigste Punkt ist, den Rahmen so aerodynamisch wie möglich zu bauen und eine sehr hohe Steifigkeit zu erreichen“, sagt Theo Reinhardt. Möglichst leicht soll das Gerät selbstverständlich auch sein, knapp sieben Kilogramm wiegt das Rad des Berliners, der zum Vierer gehört, der in Japan an den Start geht.

Reinhardt (30) tritt ebenfalls im Madison an, wo er bei den vergangenen drei Weltmeisterschaften zwei goldene und eine bronzene Medaille gewann. Für das Zweier-Mannschaftsfahren nutzt er ein Rad, das einen klassischen Rennlenker hat. Und ein Vorderrad mit vier bis fünf großen Speichen.

Lenker verändert die Position auf dem Gefährt enorm

Das sind zwei beträchtliche Unterschiede. Mit der Zeit-Maschine fährt er vorn wie hinten mit Scheibenrädern. Das macht das Rad „unagiler, es ist schwerer zu lenken, wenn der Wind gegen die Scheibe arbeitet“, erklärt Reinhardt. Der Lenker verändert die Position auf dem Gefährt enorm, ist bei der Verfolgung im Vierer tiefer angebracht und mit einem Vorbau versehen, auf dem man eine aerodynamisch günstige Haltung einnehmen kann. „Dieser Vorbau wird für jeden individuell angepasst“, so Reinhardt. Und er wird in einem 3-D-Drucker hergestellt. Hightech also, wie das gesamte Rad.

Lesen Sie hier den ersten Teil der Serie

Dessen Produktion liegt in der Hand der FES in Berlin, dem Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten. Dort werden seit Jahrzehnten einige der weltweit besten Räder, Boote oder Schlitten konstruiert. Der Prozess ist enorm aufwendig, pro Olympiazyklus gibt es neue Geräte.

Hohe Entwicklungskosten

„Durch die Entwicklungskosten werden die Räder sehr teuer“, weiß Reinhardt. Eine mittlere fünfstellige Summe kostet sein Vierer-Gefährt, das auch Athleten aus dem Ausland kaufen dürfen. Das ist eine Vorgabe des Weltverbandes UCI, die Chancengleichheit unter allen Sportlern gewährleisten soll. Falls denn die Finanzen das erlauben.

Nicht nur die Entwicklung schlägt sich im Preis nieder. Lenker, Rahmen, Sattelstütze – alles ist aus Karbon gefertigt. Selbst die Scheiben der Laufräder sind Spezialanfertigungen der FES, „extrem schmal gebaut“, wie Reinhardt erklärt. Nur sie passen in den Rahmen des Rades, für das die beste Sitzposition immer neu getestet wird. Möglichst aerodynamisch muss sie sein, sicher, aber auch effizient. „Da gilt es, einen Mittelweg zu finden, denn man muss die Position erreichen, mit der man die meiste Kraft aufs Fahrrad bringt“, sagt der Berliner.

So viele verschiedene Reifenmischungen wie in der Formel 1

Er und seine Kollegen treten gehörig in die Pedale. Wie stark, zeichnet die spezielle Leistungsmesskurbel im Detail auf. In der Anfahrtsphase leisten die Vierer-Fahrer über 1000, in der Führung bei Spitzentempo etwa 600 Watt. An die zehn Meter kommen die Athleten mit einer Umdrehung. „Mit dieser Kurbel kann man alles auswerten, wir sehen auch, wie die Trittfrequenz ist und ob jemand Unruhe reinbringt.“ Ruhig, gleichmäßig und in einer Linie zu fahren, vor allem in den Kurven, ist wichtig.

Dabei helfen auch die Reifen. Kein Einheitsbrei, natürlich nicht. „Rollwiderstand und Reibung sind minimiert“, sagt Reinhardt: „Es gibt so viele verschiedene Reifenmischungen wie in der Formel 1.“ Weicher, härter, unterschiedlich gewebt. Immer aber läuft das Rad ganz ruhig über die Bahn, alles ist so abgestimmt, dass man selbst bei den hohen Geschwindigkeiten um die 70 km/h kaum etwas spürt als das Brennen der eigenen Oberschenkel. Normal sind die Reifen 19 Millimeter breit, der Druck liegt bei 14 Bar. Aber hier kann sich vor den Spielen noch einmal etwas ändern, was jedoch Betriebsgeheimnis ist. Ebenso wie die genaue Übersetzung zwischen Kettenblatt vorn und Kranz hinten.

Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut

Diese beiden Teile samt Kette sind die einzigen normalen Sachen aus dem Handel. Selbst der Helm wird passgenau bei der FES entworfen. „Wir sind eines der wenigen Länder, die das Privileg haben, mit einem Forschungsinstitut zusammenzuarbeiten“, erzählt Reinhardt, der in Tokio mit dem Vierer in das kleine Finale möchte. Dort stehen den Deutschen mit Italienern und Briten einige Kontrahenten im Weg, die ebenso hochwertige Räder entwickeln. Die Italiener arbeiten sogar mit Formel-1-Ingenieuren zusammen.

Derart besonderes Material wie ein Zeitfahrrad für den Bahnvierer wissen die Trainer am liebsten immer gut gesichert. Zum Transport kommt es in eigens hergestellte, passgenau ausgeschäumte Koffer, damit ja nichts aneckt. Sonst werden die Räder in Frankfurt (Oder) im Stützpunkt gelagert. „Dass man die mit nach Hause nimmt, ist nicht gerngesehen“, sagt Theo Reinhardt. Dazu sind sie einfach zu kostbar, obwohl auf den ersten Blick nicht viel dran ist.