Hamburg . Der Boxer aus dem Hamburger Universum-Stall musste hart arbeiten, um seinen Herausforderer Wladislaw Melnyk zu schlagen.

Die letzte Stunde des Sonnabends hatte begonnen, als Artem Harutyunyan unvernünftig wurde. „Ich werde mich wohl mit einer Cola belohnen, und es wird keine Zero sein“, sagte er. Für einen Mann mit einem Körperfettanteil um die vier Prozent, der sich vorrangig vegan ernährt und keinen Alkohol trinkt, ist eine Cola mit Zucker schon fast die höchste Stufe der Eskalationsskala. Aber der 30 Jahre alte Boxprofi aus dem Hamburger Universum-Stall hatte sich diese Belohnung verdient, schließlich hatte er ein Stück Arbeit hinter sich, das härter war, als alle erwartet hatten.

Im Hauptkampf der Veranstaltung, bei der es Universum-Matchmaker Flavio Mirabal tatsächlich geschafft hatte, in jedem der 13 Duelle die von seinem Chef Ismail Özen-Otto so gern propagierte Augenhöhe herzustellen, mühte sich der Bronzegewinner der Olympischen Spiele 2016 zu einem 2:1-Punktsieg über zwölf Runden. Dieser fiel mit 115:113 und 115:114 für ihn und 115:113 für seinen ukrainischen Herausforderer Wladislaw Melnyk (22) so knapp aus, dass Exweltmeister Felix Sturm, der als Gast am Ring so umfassend kommentiert hatte, als wäre er für den NDR auf Livesendung, urteilte: „In der Ukraine hätte Artem diesen Kampf mit vier Punkten verloren.“

Harutyunyan hatte 15 Monate nicht gekämpft

Die Gunst heimischer Punktrichter – alle drei kamen aus Deutschland – einmal außen vor gelassen, blieb festzuhalten, dass Harutyunyans erster Auftritt im Leichtgewicht (bis 61,2 kg) nach zuvor 15 Jahren im eine Klasse höheren Halbwelterlimit ein denkwürdiger war. Nicht nur, weil sich der gebürtige Armenier mit seinem zehnten Sieg im zehnten Profikampf im Universum-Gym an der Großen Elbstraße den vakanten WBA-International-Titel sicherte. Sondern vor allem, weil es viel zu lernen gab für ihn. Denn gegen einen Boxer der europäischen Mittelklasse auf Augenhöhe zu sein, das ist deutlich zu wenig für einen, der Weltmeisterambitionen hat.

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Drei Dinge gibt es anzuführen, die diese Einschätzung relativieren. Zum ersten ist eine neue Gewichtsklasse etwas, an das sich jeder Boxer gewöhnen muss. „Ich habe mich schneller und fitter gefühlt, aber auch jeden Schlag mehr gespürt, weil ich noch weniger Fettschicht habe“, sagte Harutyunyan, der den Abstieg ins Leichtgewicht vollzogen hatte, weil er dort die größeren Kämpfe in den USA erhofft. Zum zweiten hatte der Hamburger wegen eines komplizierten Bruchs der linken Führhand 15 Monate nicht gekämpft. „Diese Pause habe ich gemerkt, es fehlten mir die Dynamik und der richtige Rhythmus“, sagte er. Und drittens hatte er sich innerhalb von zwei Tagen auf seinen Gegner einstellen müssen, nachdem zwei zunächst als Gegner vorgesehene Mittel- und Südamerikaner nicht einreisen konnten.

Gegner Melnyk boxte eindimensional, war aber hart im Nehmen

Davon jedoch habe er sich nicht verunsichern lassen, und schließlich galt Letzteres auch für Melnyk. Der 22-Jährige, der im 17. Profikampf seine vierte Pleite kassierte, boxte zwar recht eindimensional, dafür erzeugte er aber viel Druck und war so hart im Nehmen, wie es sich für einen ehemaligen Kick- und Thaiboxchampion, der den Kampfnamen „Hooligan“ gewählt hat, gehört. Harutyunyan war immer dann kampfbestimmend, wenn er seine technische Überlegenheit aus der Distanz mit dem linken Aufwärts- und dem rechten Kopfhaken ins Ziel brachte. Und er wackelte, wenn er sich von Melnyk in eine Keilerei verwickeln ließ.

Promoter Özen-Otto, der im kubanischen Bewegungstalent Frank Zaldivar (24) im Rahmenprogramm einen Mann präsentierte, der Harutyunyan als stallinterner Sparringspartner viel Dampf machen wird, schätzte das Gesehene um kurz vor Mitternacht realistisch ein. „Der Kampf hätte auch unentschieden ausgehen können. Artem braucht in dieser Gewichtsklasse noch ein paar Kämpfe, um auf WM-Niveau anzukommen“, sagte er. Die Bäume, so viel ist klar, wachsen nicht von selbst in den Himmel, nur weil man ein erfolgreicher Amateurboxer war. Artem Harutyunyan wird sie gießen müssen, kräftig, mit viel Schweiß aus harter Trainingsarbeit. Cola wird da nicht helfen, aber die war ja auch nur eine Ausnahme.