Hamburg. Während der Hamburger die härteste Einhand-Regatta der Welt fährt, betreibt er an Bord Studien zum Klimawandel.

Man möchte meinen, dass Boris Herrmann an Bord seiner „Seaexplorer“ genug zu tun hat, um bei der Vendée Globe in Les Sables-d’Olonne ins Ziel zu kommen. Der Hamburger, der als erster Deutscher an der härtesten Einhand-Regatta der Welt teilnimmt, liegt so gut im Rennen, dass sogar ein Sieg möglich erscheint. Doch Herrmann gibt sich damit nicht zufrieden, ihm geht es bei seiner Fahrt rund um den Globus nicht nur um Geschwindigkeit – sondern auch um wissenschaftliche Erkenntnisse. Seine Rennyacht wurde in den vergangenen Jahren mit verschiedensten Instrumenten ausgestattet, die Daten für die Erforschung der Meere und des Wetters sammeln. Man könnte sagen: Die „Seaexplorer“ ist auch ein Forschungsschiff, das in höchstem Tempo um die Welt rast.

Auf die Idee gekommen ist Herrmann durch einen Vortrag des Geomar-Wissenschaftlers Toste Tanhua, der von einer Kooperation mit dem Institut und dem Volvo Ocean Race, einer Hochseeregatta, erzählte. „Ich habe ihn hinterher angesprochen und gesagt, ich habe auch eine Rennyacht, mit der wir um die Welt fahren. Und dass wir das auch gern machen würden“, sagt er, als das Abendblatt ihn mitten auf dem Atlantik erreicht. So sei man erst ins Gespräch gekommen und dann zu einer Kooperation. Dank neuer kleiner und leichter Sensoren, die wenig Strom verbrauchen, können auch Sportschiffe Messungen auf den Meeren vornehmen, etwa den CO2-Gehalt, Temperaturen oder den Salzgehalt bestimmen. Die Kosten für die Maschine, ein sogenanntes SubCtech-Ozeanlabor, wie es auch auf richtigen Forschungsschiffen eingesetzt wird, übernehmen private Spender aus Hamburg.

Herrmanns Engagement ist von „unschätzbarem Wert“

Wissenschaftler sind begeistert von dem Engagement des 39 Jahre alten Seglers. „Was Boris dort leistet, ist absolut außergewöhnlich“, sagt Peter Landschützer vom Max-Planck-Institut für Meteorologie. Für ihn und seine Kollegen sei die Zusammenarbeit mit Herrmann eine große Hilfe. „Seine Messungen sind sehr, sehr wichtig, um den Klimawandel besser dokumentieren zu können“, so Landschützer. Etwa ein Viertel des jährlichen CO2-Ausstoßes würde in die Ozeane gehen. „Und nur anhand der Messungen können wir sehen, wie sich die Verhältnisse im Meer verändern.“ Das größte Problem dabei sei, dass die Ozeane zu groß seien, um überall Messungen vorzunehmen. „Deshalb haben wir uns schon vor vielen Jahren mit der Berufsschifffahrt zusammengetan“, so der Experte.

Viele Containerfrachter würden mittlerweile Daten auf ihren Fahrten sammeln. „Allerdings fahren diese Schiffe immer auf den gleichen Routen, vor allem im Nordatlantik und Nordpazifik.“ Diese Regionen seien bereits recht gut erforscht. „Von wo wir allerdings fast noch gar keine Werte und damit Erkenntnisse haben, das sind der Südpazifik und das Südpolarmeer.“ Diese Lücke konnte Herrmann nun teilweise füllen. „Deshalb ist sein Engagement von unschätzbarem Wert.“ Und Tanhua ergänzt: „Der Südatlantik und das Südpolarmeer sind eine ziemliche Unbekannte in Bezug auf Klimadaten, obwohl sie eine wichtige Rolle für das globale Klima spielen. Das macht diese Art von Daten so wertvoll für uns. Es ist sehr spannend für die Ozean-Klimaforscher, diese zu analysieren.“

Ununterbrochen erhebt die Maschine die Daten

Ununterbrochen erhebt die Maschine auf dem Schiff von Boris Herrmann seit dem Auslaufen in Frankreich die Daten und speichert sie etwa alle 20 Sekunden. Das autonom arbeitende Labor pumpt Meerwasser in und durch den Kiel nach oben und misst kontinuierlich CO2-Wert, Temperatur und Salzgehalt – jeweils an der Meeresoberfläche. Alle zehn bis 15 Tage werden die gesammelten Daten dann nach Deutschland gesandt. „Glücklicherweise muss ich nichts machen, die Maschine arbeitet komplett autonom“, sagt Herrmann. Der einzige Mehraufwand bestehe darin, dass die Maschine Strom brauche. „Sie macht 15 bis 20 Prozent meines gesamten Verbrauchs aus.“ Also müsse er den Hydrogenerator öfter laufen lassen. Streng genommen mache er das Schiff in dem Moment ein klein wenig langsamer.

Boris Herrman bei der Vendée Globe:

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Und die Ergebnisse? Die sind richtig gut, sagt das Max-Planck-Institut. „An Stellen, an denen wir schon Messungen gemacht hatten, konnten wir jetzt eine Veränderung feststellen“, so Landschützer. Die Zahlen aus dem Südpolarmeer würden gerade noch genau ausgewertet. „Eine erste Erkenntnis ist allerdings bereits, dass die CO2-Konzentration regional dort sehr unterschiedlich ist. Von einer Wassermasse in die nächste gibt es riesige Unterschiede.“ Weiter seien er und seine Kollegen allerdings noch nicht. „Das braucht ein wenig Zeit.“ Die erhobenen Daten stellen Herrmann und die mitwirkenden Institute mithilfe einer weltweit agierenden Datenbank (SOCAT) auch anderen Wissenschaftlern zur Verfügung. Zusätzlich zu der permanenten Datenerhebung hat Herrmann übrigens bereits vor Wochen einen Roboter im Meer ausgesetzt. „Dieses kleine U-Boot taucht jetzt durch das Meer und erhebt ebenfalls Daten“, so Landschützer. „Dieses Engagement ist enorm und absolut außergewöhnlich. Boris engagiert sich so und hat streng genommen ja nichts davon, außer Arbeit.“

Sauerstoff für jeden zweiten Atemzug stammt aus Ozeanen

Auch Herrmann ist sich der Bedeutung seiner Messungen bewusst. Wenn man ihm zuhört, spürt man seine tiefe Verbundenheit mit dem Meer. „Die Ozeane sind der Dreh- und Angelpunkt des Klimawandels“, sagt er. Sie seien die größten CO2-Speicher und Wärmespeicher. Die Biologie und Chemie würden grundlegend geändert mit Konsequenzen für die Lebewesen. „Man sagt ja, dass unsere Kinder keine Korallenriffe mehr erleben werden“, so Herrmann. Die Tragweite sei den wenigstens Menschen bisher bewusst.

„Jeder zweite Atemzug, den wir nehmen, ist Sauerstoff, der im Ozean produziert wird.“ Und wenn die Korallenriffe verschwänden, würde das Folgen für das ganze Ökosystem haben. „Fischgründe kollabieren, mit großen Folgen für die Menschen, die sich von den Fischen ernähren.“ Das Leben komme aus dem Meer, Leben ohne den Ozean wäre nicht möglich. „Deshalb ist der Ozean für die Menschheit so wichtig.“ Und deshalb seien auch die Daten so wichtig, die gerade in der Nähe der Antarktis gewonnen werden. Peter Landschützer habe einmal zu ihm gesagt: Wen interessieren in 20 Jahren unsere Klimamodelle? Aber unsere Daten, die werden noch in 100 Jahren wichtig sein. Genau das sei der Grund für sein Engagement.

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Umso mehr freut Boris Herrmann sich, dass die Maschine zuverlässig während der ganzen Reise Daten geliefert hat. „Es ist toll, dass sie nicht durch die permanente Vibration, durch die starken Schläge, kaputt gegangen ist.“ Sie laufe nach wie vor weiter bis ins Ziel. „Es wird der erste Datensatz sein, der einmal rund um die Welt erhoben wurde“, so der Hamburger. Erste Auswertungen würden zeigen, wie stark der CO2-Gehalt im Ozean in den vergangenen 20 bis 30 Jahren gestiegen ist. „Vor 30 Jahren waren es 320 Parts per Million CO2 im Wasser, jetzt sind es 430.“ Das sei ein ähnlicher Anstieg wie der in der Erdatmosphäre – und ebenso dramatisch.

Für Herrmann ist klar, dass sein Engagement für die Wissenschaft auch nach dem Rennen weitergeht. Die Maschine werde auf dem Schiff bleiben. Und auch auf allen weiteren Schiffen, die er segele, wolle er wieder Daten sammeln. „Das sehe ich als meine Aufgabe.“ Wichtig sei ihm auch, die dabei gewonnenen Erkenntnisse den Menschen auf verständliche Weise zu vermitteln, wie etwa mit seinem Lernprogramm für Schulen auf der ganzen Welt. Die Vendée Globe sei ein Rennen, das er gerne gewinnen würde, aber es gebe ein viel größeres Rennen – das Rennen, das alle gewinnen müssen: „Das Rennen gegen die Zeit, um Lösungen für den Klimawandel zu finden. Das ist etwas, was uns gemeinsam mit unseren Partnern sehr am Herzen liegt und beschäftigt.“

Das Programm:

  • „My Ocean Challenge“ ist ein kostenloses internationales Unterrichtsprogramm, das sich an achtbis elfjährige Kinder und Lehrer richtet. Erarbeitet haben Boris Herrmann und seine Frau Birte Lorenzen-Herrmann es gemeinsam mit verschiedenen Experten. Hierbei geht es um ozeanbezogene Themen, die für den Schulunterricht kindgerecht aufgearbeitet sind. Das Ziel des Programms, das Herrmann und seiner Frau Birte Lorenzen-Herrmann am Herzen liegt, ist es, das Bewusstsein der Kinder für den Ozean und den Klimawandel zu schärfen.
  • Derzeit dürfen die teilnehmenden Klassen unter anderem in Videokonferenzen Boris Herrmann zu seinem Leben an Bord befragen (das Abendblatt berichtete). Und sollte sich die Yacht einmal in einem Hafen in der Nähe einer der teilnehmenden Schulen befinden, können die Kinder sogar an Bord des Schiffes gehen.
  • „My Ocean Challenge“ gibt es seit Anfang 2018. Bisher haben mehr als 22.000 Kinder aus acht Ländern bereits teilgenommen. Die Unterrichtsmaterialien sind bereits in acht verschiedene Sprachen übersetzt, weitere sollen folgen. Alle Infos unter: myoceanchallenge.org