Überfordert, zu keinem Zeitpunkt Herr der Lage und am Ende verdient 0:6 untergegangen. Joachim Löw: “Ein rabenschwarzer Tag.“

Um 22.34 Uhr war der historische Abend vorbei. Mit sage und schreibe 0:6 hatte die deutsche Nationalmannschaft an einem denkwürdigen Abend gerade gegen Spanien verloren. Es war eine Demütigung von der ersten bis zur letzten Minute – und die höchste Niederlage einer DFB-Auswahl seit 1931, als Deutschland in Berlin ebenfalls mit 0:6 gegen Österreich verlor. „Es war ein rabenschwarzer Tag. Den kann man nicht schönreden. Uns ist nichts gelungen“, bilanzierte Joachim Löw, als er sich ganz in schwarz eine halbe Stunde später digital den Medien stellte.

Kurz zuvor musste sich der Bundestrainer bereits von ARD-Moderator Matthias Opdenhövel fragen lassen, ob er überhaupt noch Lust habe, sich im März wieder seiner Mannschaft zu widmen. „Wir müssen alles hinterfragen. Wir müssen die richtigen Schlüsse ziehen“, antwortete der sichtbar gezeichnete Löw. „Wir waren auf einem guten Weg. Heute haben wir gesehen, das wir noch nicht so weit sind, wie wir dachten.“

Spanien setzte Deutschland von Beginn an unter Druck

Ganz unabhängig von der geschichtsträchtigen Pleite durfte man den Auftritt der deutschen Mannschaft in Sevilla schon vor dem Anpfiff als – vorsichtig formuliert – ungewöhnlich bezeichnen. Nachdem beim 3:1-Sieg am Sonnabend noch mehr als 40 Zeitungsjournalisten in Leipzig gewesen waren, waren am Dienstagabend im Corona-Hotspot Sevilla gerade einmal drei Fotografen und ein „Bild“-Zeitungsreporter vor Ort. Auch das Abendblatt, das für die Partie akkreditiert gewesen wäre, entschied sich aufgrund der dramatischen Zahlen der Region gegen eine Reise nach Südspanien und somit für die ungewöhnliche Form des TV-Spielberichts.

Doch Spaß sollte dieser Fernsehabend nicht bringen. Von der ersten Minute an setzten die Gastgeber ihre Gäste unter Druck – und hätten nach nicht einmal fünf Minuten einen Elfmeter zugesprochen bekommen müssen. Ilkay Gündogan hatte Dani Olmo klar im Sechzehner gefoult, doch der schwedische Schiedsrichter Andreas Ekberg verlegte den Tatort an die Strafraumgrenze.

Nach einer guten Viertelstunde das erste von sechs Gegentoren

Nach einer guten Viertelstunde hatte das Löw-Team weniger Glück. Nach einer Ecke nutzte der 1,89 Meter große Alvaro Morata seinen Größenvorteil zu Serge Gnabry (1,75 Meter) und köpfte zum 1:0 ein. Der Unterschied zwischen Morata und Gnabry war groß, der Unterschied zwischen Spanien und Deutschland größer – und er wurde riesig.

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Die DFB-Auswahl, die gegen die Ukraine durchaus zu gefallen wusste, wurde von La Furia Roja, der roten Furie, regelrecht durchgeschüttelt. Zunächst wurde ein zweiter Treffer Moratas aufgrund einer hauchdünnen Abseitsposition noch abgepfiffen (23.), doch wenig später konnte kein Linien- oder Hauptschiedsrichter mehr helfen. Nachdem Leipzigs Dani Olmo zunächst „nur“ an die Latte köpfte, zeigte der herausragende Ferran Torres keine Gnade und drosch den Abpraller zum 2:0 ins Tor (33.).

Die erste Halbzeit "ein Kunstwerk für sich" – aus spanischer Sicht

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Deutschlands Hintermannschaft spielte nun das fröhliche „Wer hat noch nicht? Wer will noch mal?“-Spiel und ließ diesmal den 1,90 Meter großen Rodrigo nach einer weiteren Ecke unbedrängt zum 3:0 einköpfen. (38.). Was für ein Debakel! Das Torschussverhältnis zu diesem Zeitpunkt: 12:1 für Spanien.

Das Halbzeitfazit von ARD-Experte Bastian Schweinsteiger fiel vernichtend aus: „Das war nichts!“ Noch nie in der 14-jährigen Ära Löw hatte Deutschland nach 45 Minuten mit 0:3 zurückgelegen. Doch so desaströs der Weltmeister von 2014 auch auftrat, so überragend spielte natürlich der Weltmeister von 2010. „Die erste Halbzeit war ein Kunstwerk für sich“, schwärmte ARD-Kommentator Tom Bartels.

Neuer machtlos gegen die Spanier

Und die schlechte Nachricht für Löw und Co.: Die spanischen Künstler hatten nach 45 Minuten noch lange nicht genug. Direkt nach dem Wiederbeginn hätte der bärenstarke Olmo auf 4:0 erhöhen müssen, wurde aber von Deutschlands neuem Rekordnationaltorhüter Manuel Neuer im letzten Moment gestoppt.

Wenig später war auch der bedauernswerte Neuer machtlos, als gleich drei Spanier auf ihn zuliefen. Schließlich war es erneut Manchesters Ferran Torres, der zum 4:0 vollendete (55.). Wenig später machte er sogar noch den Dreierpack perfekt (72.). Für den Schlusspunkt sorgte Oyarzabal vor dem Abpfiff. Um es kurz zu machen: Es war eine fußballerische Hinrichtung.

Diskussion um Joachim Löw dürfte nun an Fahrt aufnehmen

Die Diskussion um Bundestrainer Löw, die durch ein Interview Oliver Bierhoffs mit der „FAZ“ bereits am Vortag für Wirbel gesorgt hatte, dürfte nach diesem Auftritt an Fahrt aufnehmen. „Den Weg, den der Bundestrainer eingeschlagen hat, gehe ich bis einschließlich der EM mit“, hatte der DFB-Direktor gesagt, ehe er in der ARD zurückruderte: „Ich bin von Jogi voll überzeugt und sehe, wie er diese junge Mannschaft wieder auf einen neuen Weg bringt“, relativierte Bierhoff. Doch da war das Kind längst in den Brunnen gefallen. Die „Bild“-Zeitung titelte am Dienstag: „Alles spricht für Löws Abschied“.

Am späten Abend verabschiedete sich Löw tatsächlich – zunächst aber nur vom Länderspieljahr 2020. Von acht Spielen hatten er und seine Mannschaft zwar nur ein einziges verloren, doch diese 0:6-Klatsche von Sevilla dürfte bis ins Jahr 2021 nachwirken.

Die Statistik:

  • Spanien: Unai Simon – Sergi Roberto, Sergio Ramos (43. Garcia), Pau, Gaya – Canales (12. Fabian), Rodrigo, Koke – Dani Olmo (73. Asensio), Morata (73. Gerard), Ferran Torres (73. Oyarzabal).
  • Deutschland: Neuer – Ginter, Süle (46. Tah), Koch, Max – Goretzka (61. Neuhaus), Gündogan, Kroos – Sané (61 Waldschmidt), Gnabry, Werner (76. Henrichs).
  • Tore: 1:0 Morata (17.), 2:0 Ferran Torres (33.), 3:0 Rodrigo (38.), 4:0 Ferran Torres (55.), 5:0 Ferran Torres (72.), 6:0 Oyarzabal (89.).
  • Schiedsrichter: Andreas Ekberg (Schweden).
  • Gelbe Karten: Koch, Tah.