Darmstadt/Hamburg. Der Zweitligaclub erkämpft sich auch bei Angstgegner Darmstadt 98 ein Unentschieden, das sich wie ein Sieg anfühlt.

Joggen im Niendorfer Gehege, radeln und im Kraftraum arbeiten stand für die Fußballprofis des FC St. Pauli am Sonntagvormittag, einen Tag nach dem denkwürdigen Auswärtsspiel beim SV Darmstadt 98 und dem Rückflug von Frankfurt nach Hamburg, auf dem Programm. Auf dem Trainingsrasen an der Kollaustraße drehte nur der angeschlagene Kapitän Christopher Avevor einsam seine Runden.

Wegen einer Waden- und Sprunggelenksverletzung, die er in der vergangenen Woche beim 2:2 gegen den 1. FC Nürnberg erlitten hatte, konnte er nur aus der Ferne am Bildschirm verfolgen, auf welch kuriose Art und Weise sich seine Kollegen auf der Baustelle des Darmstädter Stadions am Böllenfalltor ein weiteres 2:2 erkämpften. Im fünften Ligaspiel der noch jungen Saison war es schon das dritte Mal (nach Bochum und Nürnberg), dass dies der Endstand war. In allen diesen Spielen holte St. Pauli in der Schlussphase einen Rückstand auf und verhinderte so eine Niederlage.

In der gesamten vergangenen Saison hatte das Millerntor-Team lediglich in zwei Spielen noch einen Punkt holen können, wenn es in Rückstand geraten war – in Osnabrück und gegen Bochum (jeweils 1:1). In allen anderen 13 Fällen zog es regelmäßig eine Niederlage nach sich, wenn der Gegner in Führung gegangen war. In dieser Hinsicht ist das Team jetzt unter der sportlichen Führung von Cheftrainer Timo Schultz also schon besser als in der vergangenen Spielzeit unter dem ungeliebten Jos Luhukay.

Aus dem Videokeller kam das Signal für den Elfmeter

„Dass wir noch einmal zurückgekommen sind, zeigt, was wir für einen guten Spirit haben. Dazu haben die Einwechselspieler unser Spiel noch einmal verändert“, sagte Stürmer Simon Makienok nach dem dramatischen Spiel in Darmstadt. „Hinten raus war es Wahnsinn, wie wir zurückgekommen sind“, bekräftigte auch Torwart Robin Himmelmann.

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Zur Wahrheit des Spiels gehört allerdings auch, dass diesmal der Schiedsrichter und der Videoassistent (Marco Fritz und Pascal Müller) in der Schlussphase eine entscheidende Rolle dabei spielten, dass die St. Paulianer noch einen Punkt ergattern und sich nach einem 0:2-Rückstand bis zur 80. Minute als moralischer Sieger fühlen konnten. Erst weit in der Nachspielzeit gab Müller aus dem Kölner Videokeller dem Referee Fritz das Signal, er möge sich doch bitte die Aktion im Darmstädter Strafraum, die sich rund eine Minute zuvor zugetragen hatte, einmal auf dem Bildschirm ansehen. Konkret ging es darum, dass Darmstadts Adrian Stanilewicz beim Versuch, den Ball aus dem Strafraum zu schießen, das dazwischengestellte Bein von St. Paulis Lukas Daschner getroffen hatte.

Zalazar verwandelte sicher zum 2:2-Endstand

Fritz sah dies als Foul an und entschied auf Strafstoß. Es war eine Interpretation der Szene, die vertretbar, aber auch nicht zwingend geboten war, zumal Daschner seinerseits kaum eine Chance hatte, an den Ball zu kommen.

Wie schon beim Strafstoß zum zwischenzeitlichen 1:1 gegen Nürnberg nahm sich der gerade einmal 21 Jahre alte Rodrigo Zalazar wie selbstverständlich der Sache an und verwandelte sicher zum 2:2-Endstand. „Ich finde es cool, dass so ein junger Spieler, der gerade erst seit zwei, drei Monaten in der Gruppe ist, sich in so einer Situation einfach den Ball nimmt. Das hätte ich in dem Alter nie gemacht“, sprach Trainer Schultz dem Leihspieler von Erstligist Eintracht Frankfurt ein Sonderlob aus. „Er kann die Sprache kaum, geht voran, übernimmt Verantwortung und haut das Ding eiskalt rein. Das ist schon gut und zeigt die Mentalität des Jungen“, sagte er weiter über den in Spanien geborenen und aufgewachsenen Uruguayer. „Der macht sich keinen Kopf, er spielt drauflos und macht einfach.“

Der FC St. Pauli in der Einzelkritik

Rund 15 Minuten vor dem dramatischen Schlussakt hatte der eingewechselte Mittelfeldspieler Rico Benatelli mit dem Anschlusstreffer zum 1:2 überhaupt erst möglich gemacht, dass sein Team mit der praktisch letzten Aktion des Spiels noch zu einem Punkt kommen und die zweite Saisonniederlage vermeiden konnte.

Neben der Stehauf-Mentalität stimmt auch die körperliche Fitness der Spieler

„Er sammelt Pluspunkte. Ich bin froh, dass wir Rico dabeihaben, er bringt mit seiner Ballsicherheit noch einmal ein ganz anderes Element auf den Platz“, stellte Schultz treffend fest und entschuldigte sich fast dafür, dass er Benatelli nicht für die Startelf vorgesehen hatte. „Er ist wirklich eng dran.“

Tatsache ist, dass St. Pauli genau die Hälfte seiner bisher zehn Saisontore nach der 77. Spielminute und jeweils mit frischem Personal auf dem Platz erzielt hat. Auch dies ist im Vergleich zur vergangenen Saison, als späte Tore eine Rarität waren, eine massive Verbesserung. Gleichzeitig ist dies ein Beleg dafür, dass neben der Stehauf-Mentalität auch die körperliche Fitness der Spieler stimmt.

Mit der Belohnung für die gezeigte Moral im Rücken richtet sich jetzt nach einem trainingsfreien Montag auch bei St. Pauli der Blick auf das Stadtderby am Freitagabend (18.30 Uhr) beim HSV. „Wir freuen uns auf das Derby. Aber wir müssen erst einmal einen Haken hinter das Spiel in Darmstadt machen und gucken, wer heil rausgekommen und wer fürs nächste Spiel einsatzfähig ist. Dann werden wir uns gut vorbereiten auf den HSV. Darauf freuen sich alle Fans, wir wissen auch, was das bedeutet und sind guter Dinge, dass wir etwas reißen können“, sagte Schultz. Immerhin gilt es, nach den beiden 2:0-Siegen in der vergangenen Saison den „Titel“ des Stadtmeisters zu verteidigen.

Stürmer Simon Makienok kann wegen seiner Körpergröße (2,01 Meter) bisher bei den Spielen nur ein Fantrikot (Replika) und kein offizielles Spielertrikot (Authentic) tragen. Weil auf den Replika-Hemden die Regenbogen-Applikation auf der Rückseite nicht regelkonform verarbeitet ist, musste sie bisher abgetrennt werden. Dies soll künftig korrigiert werden, teilte der Verein am Wochenende mit.