Hamburg. Daviscup-Teamchef Michael Kohlmann über seine Titelkandidaten, das deutsche Quartett und den Hamburger Alexander Zverev.

Man muss den Hamburger Behörden und Turnierdirektorin Sandra Reichel zutiefst dankbar sein, dass immerhin 2300 Zuschauer pro Tag zugelassen sind. Denn wenn das Traditionsturnier am Rothenbaum in diesem Jahr ohne Fans hätte stattfinden müssen, wäre das angesichts des erlesenen Teilnehmerfelds wirklich eine Sünde gewesen. Vor allem, weil die diesjährige Bandbreite an Weltklassespielern so groß ist wie zuletzt 2008, als Hamburg noch den Status eines Masters hatte.

Der Rothenbaum war in den vergangenen Jahren oft ein Turnier, bei dem Spieler den Pokal gewannen, die niemand auf der Rechnung hatte. Dennoch ist meine Prognose, dass es in diesem Jahr noch offener ist. Und das nicht nur, weil in Corona-Zeiten sowieso vieles nicht voraussehbar ist. Sondern auch, weil Spieler gemeldet haben, die zum angestammten Termin im Juli niemals auf Sand in Hamburg antreten würden.

Ausnahmekönner Daniil Medwedew

Freuen Sie sich deshalb auf einen Ausnahmekönner wie den Russen Daniil Medwedew (24/Nr. 5 der Welt), der seit seinem Finaleinzug bei den US Open 2019 zu den Topstars der Szene zählt und mit seinem stoischen Spielstil – flach, fast ohne Spin – die Kontrahenten entnerven kann.

Genauso interessant ist aber der Grieche Stefanos Tsitsipas (22/Nr. 6), der als amtierender ATP-Weltmeister seine Rothenbaum-Premiere feiert und sich vor den French Open in Paris, die am Hamburger Finalsonntag starten, noch einige Matchpraxis erhofft. Und dass ein Mann wie Kei Nishikori (30/Nr. 35), der in Japan ein Superstar ist, überhaupt in Hamburg zu sehen ist, ist eine kleine Sensation.

Fülle an Spitzenspielen

Angesichts der Fülle an Spitzenspielern – immerhin neun aus den Top 20 der Rangliste sind am Start – fällt es mir schwer, einen Titelfavoriten zu nennen. Ich halte den Vorjahresfinalisten Andrej Rubljow (22/Nr. 12) ebenso wie dessen russischen Landsmann Karen Chatschanow (24/Nr. 16) für stark genug, am Sonntag das letzte Match zu gewinnen. Aber auch mit dem Italiener Fabio Fognini (33/Nr. 13), der 2013 schon einmal am Rothenbaum triumphierte, dem Spanier Roberto Bautista Agut (32/Nr. 10) und Diego Schwartzman (28/Nr. 15) aus Argentinien, der am Sonnabend in Rom Rafael Nadal bezwang, ist zu rechnen. Was ich nicht glaube: Dass der Georgier Nikolos Bassilaschwili (28/Nr. 32) zum dritten Mal in Folge in Hamburg siegt.

Ein paar Sätze noch zum deutschen Quartett. Auf die Rothenbaum-Premiere von Dominik Koepfer (26/Furtwangen/Nr. 97) bin ich extrem gespannt. Nach seiner Superwoche in Rom, wo er am Sonnabend erst im Viertelfinale in drei Sätzen am Weltranglistenersten Novak Djokovic (33/Serbien) scheiterte, dürfte er mit viel Selbstvertrauen, aber auch ziemlich schweren Beinen anreisen. Aber ein Kämpfer wie der Schwarzwälder wird das wegstecken. Für Philipp Kohlschreiber (36/Augsburg/Nr. 82) liegt die Rothenbaum-Premiere bereits 18 Jahre zurück, mittlerweile ist er mit 16 Starts Hamburgs Rekordteilnehmer. Gegen Fognini in der ersten Runde hat er es schwer, zumal ihm Matchpraxis fehlt, dennoch liegt der Italiener ihm.

Schade, dass Zverev nicht dabei ist

Yannick Hanfmann (28/Karlsruhe/Nr. 101) hat sich seine Wildcard mit Topleistungen verdient, er hat die nationale Turnierserie im Sommer gewonnen und stand in Kitzbühel vor einer Woche im Finale. Und Jan-Lennard Struff (30/Warstein/Nr. 30) hat in der vergangenen Saison sowieso nachgewiesen, dass er es mit fast jedem Spieler auf der Tour aufnehmen kann. Ein bisschen schade ist natürlich, dass Alexander Zverev (23/Nr. 7) in seiner Geburtsstadt nicht antreten kann. Aber ich halte seine Entscheidung, nach den kraftraubenden US Open bis Paris eine Turnierpause einzulegen und stattdessen zu regenerieren und zu trainieren, für die einzig richtige.

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Insofern ist meine Hoffnung, dass Sie auch am Finalwochenende noch einen Deutschen anfeuern können. Und dass das Turnier bei bestem Wetter und ohne Corona-Komplikationen über die Runden kommt. Denn das haben sich die Veranstalter wirklich verdient.

Die 1. Runde: Medwedew (Russland/1) – Humbert (Frankreich), Simon (Frankreich/Qualifikant) – Vesely (Tschechien/Q), Ruud (Norwegen) – Paire (Frankreich), Kohlschreiber (Augsburg) – Fognini (Italien/6), Bautista Agut (Spanien/4) – Bassilaschwili (Georgien/Titelverteidiger), Nishioka (Japan) – Koepfer (Furtwangen), Anderson (Südafrika) – Paul (USA/Q), Rubljow (Russland/5) – Sandgren (USA/Q), Schwartzman (Argentinien/7) – Ramos-Vinolas (Spanien), Sonego (Italien) – Auger-Aliassime (Kanada), Garin (Chile) – Nishikori (Japan), Monfils (Frankreich/3) – Hanfmann (Karlsruhe), Chatschanow (Russland/8) – Struff (Warstein), Lajovic (Serbien) – Mannarino (Frankreich), Fritz (USA) – Cuevas (Uruguay/Q), Tsitsipas (Griechenland/2) – Evans (Großbritannien).

Spielplan Montag (Start 10.30 Uhr): Center Court: Fritz – Cuevas, Vesely – Simon, Anderson – Paul, Rubljow – Sandgren. Nicht vor 18.30 Uhr: Krawietz/Mies (Coburg/Köln) – Klaasen/Marach (Südafrika/Österreich).