Hamburg. Der Fußballfan hat mit Anfang 50 das Groundhoppen entdeckt – und darüber ein wundervolles Buch geschrieben.

Im Grunde genommen müsste diese Geschichte einen anderen Anfang haben mit einer Frage, die man nicht Heiko Lükemann stellt – sondern seiner Frau. Die das Ganze ja nun seit Jahren schon mitmacht. Beziehungsweise mit ansieht. Wenn ihr Mann plötzlich anfängt, nervös zu werden, auf sein Smartphone schaut, tippt und tippt – bis Frau Lükemann schließlich seufzt und fragt: „Wann und wohin?“

Frau Lükemann, das ist die eigentliche Botschaft an dieser Stelle, hat es nicht leicht. Sie ist verheiratet mit einem Mann, der sich ein für sein Alter ziemlich extravagantes Hobby ausgesucht hat: Er ist Groundhopper. Was bedeutet, dass er Besuche von Fußballspielen sammelt wie andere Leute Briefmarken. „Fußballsucht – Wenn Alte Herren groundhoppen“, heißt das Buch, das der Kieler darüber geschrieben hat.

Fragt man Heiko Lükemann, wie alles begonnen hat, dann hat der 58-Jährige eine ziemlich gute Erklärung. Sie heißt Hannes. „Hannes ist Mitte 20 und ein ganz wunderbarer Mensch. Er ist glühender Fan von Schalke 04, kickt in der schleswig-holsteinischen Landesliga beim Kieler Vorortverein Heikendorfer SV und liebt unsere ältere Tochter Svea. Und er hat das Groundhopping in unsere Familie gebracht. Das kostet ihn mittlerweile bei meiner Frau ein paar Sympathiepunkte, die er sich bei ihr aber locker leisten kann. Mir hingegen hat er eine geniale Beschäftigung mit ganz neuen Blickwinkeln auf den Fußball eröffnet.“

Einmal hat er zwei Grounds in 90 Minuten geschafft

Es ist ein herzlicher Tonfall, in dem Lükemann von seinem Leben als spät berufener Groundhopper erzählt. Als Jäger und Sammler könnte man diese Menschen beschreiben, die ständig unterwegs sind, um Fußballspiele zu besuchen. Einheitliche Regeln gibt es kaum, ein paar Grundsätze aber schon. Zum Beispiel, dass der Besuch des Rudi-Barth-Stadions an diesem Tag keinen Punkt bringt – es findet ja kein Fußballspiel statt, sondern ein Interview. 274 Grounds hat Lükemann gesammelt. Einige Abenteuer waren dabei, in China oder Kuba oder beim FC Millwall. Einmal hat er zwei Grounds in 90 Minuten geschafft. Ein anderes Mal acht Spiele an einem Wochenende.

Und natürlich ist Heiko Lükemann damit in der Szene ein vergleichsweise kleines Licht. Der aus dem Schwarzwald stammende HSV-Fan Carlo Farsang zum Beispiel war schon in mehr als 2000 Stadien, an den exotischsten Orten der Welt. Über ihn wurden Filme gedreht und Bücher geschrieben. Heiko Lükemann lacht. Er weiß, dass er da nicht mithalten kann. Und auch nicht mithalten will. „Für mich zählt nie der Platz allein. Ich möchte immer sehen, in welcher Umgebung ich ge­landet bin. Was die Besonderheiten sind.“

Schiedsrichter, die im Oldtimer vorfahren

Und dann ist exotisch nämlich trotzdem ein gutes Stichwort – weil sich der kleine Dorfplatz von nebenan eben auch manchmal so anfühlen kann. Mit all seinen Eigenheiten. Dutzende dieser verwunschenen Orte würdigt Lükemann in seinem Buch. Erzählt von verrosteten Geländern und schiefen Holztribünen, Stehtribünen im kniehohen Unkraut. Von Schiedsrichtern, die im Oldtimer vorfahren, von ehrenamtlichen Greenkeepern und vom Vereinswirt des MTV Dänischenhagen. Er schwärmt vom Waldstadion des VfL Schwartbuck, malerisch an einer kleinen Au gelegen, über die nur eine Brücke zum Platz führt. Vom SV Prob­steierhagen, wo der Vorsitzende die Bratwurst selbst auf den Grill schmeißt.

Manchmal ist es das Kassenhäuschen, das Lükemann faszinierend findet. Und manchmal einfach das, worüber die Leute am Spielfeldrand reden. „Wenn du so auf die Dörfer kommst, dann ist das Begegnungsstätte. Da kommen Menschen aus dem ganzen Dorf und plaudern und tauschen sich aus, sind manchmal gar nicht fußballinteressiert. Eine Gemeinschaft, in der jeder dabei sein kann, egal ob arm oder reich, Frau oder Mann, Christ oder Muslim.“

Lükemann ist ein guter Erzähler

An jeden Platz kann sich Lükemann genau erinnern, was vor allem an „Futbology“ liegt. Einer App, von zwei Norwegern entwickelt, beide in Lükemanns Alter. Für Groundhopper ist sie eine Art Sammelalbum: Jedes besuchte Stadion erscheint auf dem persönlichen Konto. Weltweit sind in der App rund 14.000 Fußballvereine und 35.000 Grounds gelistet. Für besondere Errungenschaften gibt es „Badges“ (Abzeichen) – wenn zum Beispiel alle Plätze einer Liga „gegroundet“ sind. Oder beim Besuch eines Spiels im Ausland. Aber Stadion bleibt Stadion, egal wie berühmt es auch ist. Die unterklassige englische Partie des Thurrock FC gegen AFC Hornchurch hat Lükemann genauso viel gebracht wie der Besuch im Wembley-Stadion in London: einen einzigen Punkt. „Das ist für mich das Wunderbare an diesem Hobby: der Spagat zwischen der Hochglanzarena in Barcelona und dem Amateurplatz mit den überwucherten, bröseligen Stehtreppen“, sagt er.

Heiko Lükemann ist ein guter Erzähler, das Buch lebt von seinen Geschichten, den vielen Fotos, von seiner selbstironischen Art. Weltkunde heißt das Fach, das Lükemann unterrichtet. Und in dem er seinen Schülern berichten kann von den eigenen Groundhopping-Erlebnissen, etwa im Ruhrpott. „Interessiert die halt tausendmal mehr, als würde ich ihnen sagen: Schlagt eure Bücher auf, Seite 95, Strukturwandel im Ruhrgebiet.“ Aber klar, aufpassen müsse er schon. Schüler hätten schließlich schnell raus, welchen Knopf sie beim Lehrer drücken müssen.

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Am Ende bekommt man Frau Lükemann dann doch noch zu sprechen, freundlich klingt ihre Stimme. „Ja, manchmal ist das natürlich ein recht anstrengendes Hobby“, sagt sie und seufzt dann doch mal kurz auf. „Aber ich habe ja gelernt, das auf die beiden Kernfragen zu reduzieren: wann und wo.“ Und dann sagt sie noch, dass sie es sogar ganz gerne mag. Wenn ihr Mann voller neuer Eindrücke nach Hause kommt und bildreich von seiner Reise erzählt. „Daraufhin ist die Idee dieses Buches ja eigentlich auch erst entstanden.“

„Fußballsucht – Wenn Alte Herren groundhoppen“ von Heiko Lükemann, Verlag Die Werkstatt,

160 Seiten, 14,90 Euro.