Hamburg. Der ehemalige Tennisprofi spielt bei einem Einladungsturnier in Berlin mit – im Gegensatz zu Alexander Zverev. Ein Gespräch.

Die knapp 600 Kilometer von München, wo er seine Eltern und Schwestern besucht hatte, nach Berlin fuhr Tommy Haas am Freitagvormittag selbst. „Ich fahre gern Auto, wenn ich in Deutschland bin“, sagt der 42 Jahre alte gebürtige Hamburger, der 2002 die Nummer zwei der Weltrangliste war und in der Hauptstadt in der kommenden Woche – drei Tage auf Rasen im Steffi-Graf-Stadion, drei Tage auf Hartplatz im Hangar 6 am ehemaligen Flughafen Tempelhof – am Einladungsturnier „bett1ACES“ teilnimmt.

Herr Haas, Sie leben mit Ihrer Familie in Los Angeles, also mitten im Corona-Hotspot Kalifornien. Was mussten Sie tun, um nach Deutschland einreisen zu dürfen?

Tommy Haas: Ich musste mich in den USA zweimal testen lassen und in Deutschland innerhalb von 48 Stunden nach meiner Ankunft nachweisen, dass ich negativ bin. In Quarantäne musste ich nicht, sonst wäre ich auch nicht angereist. Eigentlich wollte ich schon im Mai mit meiner Frau und unseren beiden Töchtern nach Europa kommen. Das war nun leider nicht möglich. Ich hoffe, wir können es im August nachholen.

Haben Sie sich in den vergangenen Monaten in den USA manchmal gewünscht, wieder in Europa zu leben? Man hört ja viel Negatives aus Amerika, was den sorglosen Umgang mit Corona angeht.

Tommy Haas: Es war sicherlich keine einfache Zeit, aber manches wird auch übertrieben dargestellt. Der Corona-Ausbruch war zwischenzeitlich unter Kontrolle, dann gab es mit den Lockerungen und auch den vielen Demonstrationen wegen der Rassismus-Thematik aber schnell wieder mehr Fälle. Die Lage im Land ist aufgrund des Wahljahres sehr schwierig, es geht schon manchmal drunter und drüber. Wir müssen viel stärker aufpassen, weil niemand weiß, welche Folgen eine Corona-Infektion vor allem auch langfristig haben kann. Für uns als Familie war die Phase sehr intensiv, wir haben so viel Zeit miteinander verbracht wie sonst im ganzen Jahr nicht. Wir haben viel gekocht und gebacken, ich habe mit meiner jüngeren Tochter alle Disney-Filme geschaut, die es gibt. Homeschooling war eine große Herausforderung, das muss ich zugeben. Aber im Großen und Ganzen haben wir die Familienzeit genossen.

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  • Sie sind seit vier Jahren Turnierdirektor beim Masters in Indian Wells. Haben Sie Existenzängste verspürt in den vergangenen Monaten, weil ja niemand weiß, wann und ob überhaupt der Sportbetrieb wieder normal weitergehen kann?

    Tommy Haas: Ja und nein. Natürlich machen wir alle uns Gedanken, wie und wann es uns gelingen kann, in die Normalität zurückzukehren, die sicherlich eine neue Normalität werden wird. Und wenn ich sicher wüsste, dass es die nächsten fünf oder zehn Jahre kein Turnier geben würde, müsste ich mir ernsthaft Gedanken darüber machen, was eine Alternative wäre. Aber ich bin seit fast 25 Jahren im Profitennis unterwegs und zuversichtlich, dass wir schon 2021 Lösungen haben werden. Insofern versuche ich immer, positiv zu denken und mir keine Sorgen zu machen.

    Wie sehr hat es Sie angesichts dessen, dass das Tennis gerade weltweit die richtigen Schritte zur Rückkehr sucht, geärgert, als Sie jüngst die Bilder von der Adria-Tour sahen, auf der sich mehrere Spieler mit Corona infizierten?

    Tommy Haas: Ärger ist das falsche Wort. Nach allem, was ich weiß, haben sich die Organisatoren an alle Regeln gehalten, die in Serbien galten. Ich glaube, Novak Djokovic (als Mitorganisator, d. Red.) hatte beste Absichten, er wollte seinen Teil dazu beitragen, Tennis wieder nach vorn zu bringen. Als ich die Bilder sah, war ich allerdings schon geschockt und dachte im ersten Moment, dass es alte Aufnahmen sein müssten. Im Nachhinein lässt sich dieser Leichtsinn natürlich leicht kritisieren, und ich bin mir sicher, dass alle Beteiligten wissen, dass sie Fehler gemacht haben. Aber es sind junge Burschen, die wie viele Menschen auf der Welt einfach auch den Drang hatten, mal wieder rauszukommen. War das clever? Nein. Aber ich bin nicht derjenige, der mit dem Finger auf andere zeigt.

    Welchen Stellenwert hat das Turnier in Berlin, gerade auch hinsichtlich der Aufmerksamkeit, die es wegen der Vorfälle in Serbien bekommen wird?

    Tommy Haas: Einen hohen, keine Frage. Die Spielerinnen und Spieler sind heiß, wieder auf die Tour zurückzukehren. Aber ich glaube, alle haben verstanden, dass wir uns den neuen Vorgaben stellen müssen. Es ist nicht zu viel verlangt, dass wir so wenig wie möglich rausgehen und natürlich auch keine Partys feiern dürfen. Der Umgang mit Corona stellt uns alle vor Herausforderungen, die wir noch nicht kannten. Deshalb ist es gut, Events wie das in Berlin zu haben, auf denen wir testen können, wie diese Herausforderungen optimal umgesetzt werden können.

    Glauben Sie daran, dass die ATP-Tour von Mitte August an wieder startet?

    Tommy Haas: Ich hoffe es, und ich glaube, dass es mit allen nötigen Maßnahmen auch gelingen kann. Allerdings wird man sich immer wieder den aktuellen Gegebenheiten stellen und alle Fragen, die wichtig sind, neu beantworten müssen. Es geht ja nicht nur um die Spieler, sondern auch um alle Mitarbeiter und die Zuschauer, deren Vertrauen in Großveranstaltungen wir erst zurückgewinnen müssen. Es wird also sicherlich noch mindestens so lange dauern, bis es einen Impfstoff gibt, dass wir von Normalität sprechen können.

    Können Sie verstehen, dass manche Profis einen Start bei den US Open ablehnen, oder müssten alle bereit sein, den Tennisbetrieb gemeinsam ins Laufen zu bekommen?

    Tommy Haas: Generell sollte jeder, der im Hauptfeld eines Grand-Slam-Turniers steht, diese Chance wahrnehmen. Aber natürlich verstehe ich auch diejenigen, die sich in Europa derzeit sicherer fühlen und deshalb zögern, in New York anzutreten. Es darf keine Zwänge geben. Ich weiß aber, dass sich die Mehrheit der Spieler auf die Rückkehr freut und bereit ist, wieder anzugreifen.

    Alexander Zverev, Deutschlands aktuell bester Tennisprofi, war einer der Teilnehmer der Adria-Tour und steht in der Kritik, nachdem während seiner Quarantäne Partyfotos aus Monte Carlo auftauchten. Er hat nun für Berlin abgesagt. Halten Sie das für richtig, oder hätten Sie ihm geraten, offensiv mit dem Thema umzugehen und sich in seinem Heimatland den Medien und auch seinen Fans zu stellen?

    Tommy Haas: Ich werde nicht für ihn sprechen, er ist alt genug und hat seine Berater. Ich kann sagen, dass ich sehr enttäuscht bin, dass ich ihn nicht sehen werde. Sein Bruder Mischa ist als Ersatzspieler in Berlin, deshalb hatte ich gehofft, dass Sascha auf jeden Fall auch dabei sein würde. Für das Turnier und die Zuschauer, die kommen dürfen, ist es sehr schade. Aber man muss respektieren, dass er es vorzieht, sich mit seinem neuen Trainer David Ferrer auf den Neustart der Saison vorzubereiten. Er sollte bald wieder sein Tennis für sich sprechen lassen.

    Hätten Sie gern ausprobiert, ob Sie mit dem aktuell besten deutschen Profi noch mithalten können?

    Tommy Haas: Vor allem hätte ich das gern zu meiner besten Zeit ausprobiert, das wäre sicherlich sehr spannend gewesen. Jetzt ist es doch eher so, dass ich weiß, wo meine Grenzen sind und dass ich mit der Power der aktuellen Generationen nicht mehr mithalten kann. Es wird sehr interessant für mich, mit Topleuten wie Dominic Thiem ein paar Bälle zu schlagen. Für mich ist es phänomenal zu sehen, wenn ich in Indian Wells oder auf anderen Turnieren nah dran bin, mit welcher Kraft Tennis heute gespielt wird. Es jetzt sogar als Gegner erleben zu können, reizt mich sehr.

    Was erwarten Sie denn von sich selbst in den Tagen von Berlin?

    Tommy Haas: Dass ich das beste Tennis spiele, das ich noch in mir habe. Ich will in jedem Match gute Unterhaltung bieten und wünsche mir, dass die Zuschauer sagen: Der kann es ja noch ganz gut. Ich weiß aber, dass ich keine Chancen habe, Matches zu gewinnen, wenn die Jungs ernst machen. Man muss realistisch sein und akzeptieren, dass manche Dinge mit fortschreitendem Alter nicht mehr so funktionieren wie früher.

    Wie häufig trainieren oder spielen Sie denn noch Tennis?

    Tommy Haas: Trainieren, so wie man es als aktiver Profi tut, tue ich gar nicht mehr. Ich gehe selten ins Fitnessstudio. Ich halte mich dadurch fit, dass ich mit Freunden Tennis spiele, und das tue ich vier- bis fünfmal in der Woche, denn die sind alle heiß darauf, mit mir auf den Platz zu gehen. Und ich bin von Zeit zu Zeit auf der Seniorentour aktiv. In den USA spiele ich gegen Leute wie Jim Courier, Andy Roddick oder James Blake, aber das sind Matches, die über einen Satz gehen. Wenn ich mal in Europa spiele, wird gegen Spieler wie David Ferrer, Juan Carlos Ferrero oder Marcos Baghdatis Best-of-three gespielt, und am Morgen nach den Matches weiß ich wieder, was mir nicht gefehlt hat.

    Hält Ihr von Verletzungen gebeutelter Körper überhaupt noch die Belastung von bis zu sechs Matches innerhalb einer Woche durch, die es in Berlin werden könnten?

    Tommy Haas: Ich habe einen meiner ehemaligen Physios dabei, der auf mich aufpasst. Ich muss aber tatsächlich zusehen, dass ich mich nicht blöd verletze. In den vergangenen Tagen habe ich verstärkt Aufschlag geübt, damit sich meine Schulter an die Belastung gewöhnt. Mal schauen, wie es wird.

    Worauf freuen Sie sich in der kommenden Woche in Berlin am meisten?

    Tommy Haas: Mein Plan war, die Stadt besser kennenzulernen, denn mein letzter Besuch ist ewig her. Das wird wegen Corona und unserer Hygieneauflagen schwieriger. Deshalb freue ich mich am meisten darauf, die Kollegen und auch die Spielerinnen zu treffen und mit ihnen zu plaudern. Gemeinsam eine gute Zeit zu haben, das ist mein Wunsch.