Hamburg. Das doppelte Nord-Süd-Duell: Der HSV spielt am Sonntag bei Greuther Fürth, der FC St. Pauli empfängt den 1. FC Nürnberg.

Als Dieter Hecking am Dienstagmittag die erste Einheit des HSV im Corona-Trainingslager in Herzogenaurach beendet, genießt Rachid Azzouzi nur 14 Kilometer entfernt noch die fränkische Mittagssonne. „Herrliches Wetter“, sagt Fürths Sportchef, als er in den täglichen Abendblatt-Podcast „HSV – wir reden weiter“ zugeschaltet wird. Der Versuchung, in nur 20 Minuten über Stadeln und Mannhof kurz mal beim HSV vorbeizufahren, widersteht Azzouzi. Er kenne ja Hecking und dessen Assistenten Dirk Bremser, mit dem er einst in Duisburg zusammengespielt hat, sehr gut, aber vor Trainingsspionen aus Fürth bräuchte der HSV keine Angst zu haben. „Die sollen sich in Ruhe vorbereiten“, versichert Azzouzi. „Wir sehen uns dann ja am Sonntag. Zumindest auf Distanz.“

Mit der Distanz ist das in diesen Tagen ja so eine Sache. Denn obwohl 1,50 Meter als die neue Maßeinheit der Zuneigung gelten, sind in Azzouzis Fall 14 Kilometer keinesfalls ein Zeichen der Antipathie. 14 Kilometer nach Nordwesten residiert seit Montag der HSV, der am Sonntag im Sportpark Ronhof auf Azzouzis Fürther trifft. Und 14 Kilometer nach Südosten bereitet sich der 1. FC Nürnberg auf sein Gastspiel am Millerntor gegen den FC St. Pauli vor. Zweimal Hamburg gegen Franken zum Re-Start der Zweiten Liga – das ist doch was.

Gemischte Gefühle bei Fürths Sportchef

„Ich habe gemischte Gefühle vor dem Wochenende“, gibt Azzouzi am Dienstag zu. „Einerseits spüre ich eine große Vorfreude, dass endlich wieder der Ball rollt. Andererseits ist und bleibt es eine schwierige Situation für alle.“ Die war es auch für den 1. FC Nürnberg ganz zu Beginn der Corona-Krise. Nur einen Tag bevor der „Club“ im März mit dem Charterflieger nach Hamburg reisen wollte, um am 15. März am Millerntor zu spielen, musste man einen der ersten positiven Corona-Fälle im deutschen Fußball einräumen. Der Name: natürlich Nürnberger, Fabian. Ganz nebenbei ein Hamburger, ein gebürtiger.

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    Deswegen ist das verpflichtende Corona-Trainingslager für den „Club“ im Hotel Seminaris auch eine Art „Quarantäne 2.0“, wie der frühere Hamburger Christian Bönig (offiziell: Leiter Sportkommunikation) in unmittelbarer Azzouzi-Nachbarschaft sagt. Nach dem Fall Nürnberger mussten der ehemalige St. Paulianer und das komplette Team im März sogar in häusliche Quarantäne.

    Quarantäne-Regelung ein wichtiges Thema

    Von dieser blieben die Fürther bislang verschont. Zumindest direkt. Indirekt ist die Spielvereinigung ein Opfer der kollektiven Quarantäne von Dynamo Dresden, das eine Woche nach dem HSV auf Fürth getroffen wäre. „Es wird pro­blematisch, bei einem positiven Fall jedes Mal 20, 30 oder sogar 40 Leute in Quarantäne zu stecken“, sagt Azzouzi, der sich grundsätzliche Regelungen für den Fall einer positiven Testung wünschen würde. „Das ist ein Thema, das wir einheitlich lösen müssen. Und zwar nicht nur jetzt, sondern möglicherweise auch in den kommenden zwei Spielzeiten. Davon hängt die Zukunft des Fußballs ab.“

    Nürnbergs Oliver Sorg im Duell mit St. Paulis Matt Penney.
    Nürnbergs Oliver Sorg im Duell mit St. Paulis Matt Penney. © Witters

    Die Gegenwart von Fürth, Nürnberg, dem FC St. Pauli und dem HSV steht am Sonntag von 13.30 Uhr an auf dem Programm. „Das Ambiente eines Geisterspiels hat Freundschaftsspielcharakter. Dennoch geht es um wichtige Punkte“, sagt Nürnbergs Trainer Jens Keller, der sich öffentlich drei Wochen Vorbereitung für den Neustart der Bundesligen gewünscht hatte. Bekommen hat er neun Trainingstage. „Wir kriegen die Spieler nicht topfit für St. Pauli, müssen aber das Optimale rausholen. Die nötige Spielfitness kommt erst von Partie zu Partie“, sagt nun Keller, der bis zum Spiel insgesamt zehn Einheiten angesetzt hatte, davon ein bis zwei im leeren Max-Morlock-Stadion, um sich an die spezielle Atmosphäre zu gewöhnen.

    Fürther haben einen internen Gehaltsverzicht ausgehandelt

    Ähnliches gilt auch für Kellers Fürth-Kollegen Stefan Leitl. „Vielleicht müssen wir uns alle an unsere Fußballanfänge erinnern, als wir im Pausenhof oder nach der Schule gekickt haben – da hatten wir ja auch keine Zuschauer“, sagt Leitl dem Abendblatt. „Die Zuschauer werden uns aber definitiv fehlen, insbesondere in den fünf Heimspielen.“

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    Atmosphärisch, aber natürlich auch finanziell. Manager Azzouzi hat ausgerechnet, dass er Corona-bedingt mit Mindereinnahmen von bis zu drei Millionen Euro rechnen muss. „Im Verhältnis zum HSV ist das für uns ein Haufen Geld. Unser Etat ist bei rund 25 Millionen Euro“, sagt er. „Unsere Hoffnung ist, dass wir mit einem blauen Auge davonkommen. Jedem muss klar sein, dass wir diese Krise noch Jahre mitschleppen.“

    Genau wie der HSV, St. Pauli und Nürnberg haben natürlich auch die Fürther einen internen Gehaltsverzicht ausgehandelt, wobei Azzouzi die öffentlichen Forderungen nach mehr sehr gestört haben. „Ich höre immer, der Fußball muss, der Fußball muss. Aus der Politik habe ich aber noch nicht gehört, dass auf Diäten verzichtet wurde“, sagt Azzouzi. „Wir haben 170 Angestellte in Fürth, die auch Familien haben und Kredite bedienen müssen. Da geht es um deren Zukunft. Das kommt mir in der öffentlichen Diskussion viel zu kurz.“

    Manchmal kann Corona auch ein Glücksfall sein

    Ziemlich kurz ist die Zeit bis zum Neustart für die Rekonvaleszenten. Beim HSV waren am Dienstag immerhin die zuletzt angeschlagenen Timo Letschert (muskuläre Probleme) und Martin Harnik (Muskelfaserriss) im Training wieder dabei. St. Paulis Trainer Jos Luhukay musste dagegen auf die Stürmer Henk Veerman (leichte Blockade im Rippenbereich) und Dimitrios Diamantakos (Adduktorenprobleme) verzichten. Zur Erinnerung: Die beiden sind St. Paulis beste Torschützen mit je acht Treffern.

    Manchmal kann Corona aber auch ein Glücksfall sein. Fürth beklagte etwa vor der eigentlichen Partie gegen den HSV am 13. März, die nur zwei Stunden vor dem Anpfiff abgesagt wurde, elf verletzte Profis. Die sind mittlerweile fast alle wieder gesund. Und noch wichtiger: auch nicht krank. Siebenmal ließ die Spielvereinigung alle Profis testen, davon zweimal auf eigene Kosten. Die Resultate: alle negativ, was in diesen Zeiten ziemlich positiv ist. Auch die Testergebnisse des „Clubs“, die vom Augsburger Labor Synlab analysiert werden, sind seit dem Fall Nürnberger allesamt negativ.

    Das soll natürlich auch so bleiben. „Das Gebot der Stunde ist Social Distancing“, sagt Fürths Trainer Leitl. „Deswegen werden wir auch nicht auf einen Kaffee im HSV-Mannschaftshotel vorbeischauen.“ Ernst wird es dann ohnehin erst am Sonntag. Für den HSV – in Fürth. Und den FC St. Pauli – gegen Nürnberg. Und die Aussichten? 17 Grad, Sonne und Wolken über Hamburg. Gegen 21 Grad, Sonne und Wolken im Frankenland. „Es ist angerichtet“, sagt Azzouzi.