Hamburg. Täglich gibt es in Hamburg rund 25 Sportangebote, um die Menschen in ihrer eigenen Wohnung zur Bewegung zu animieren.

Die beiden Mädchen im Grundschulalter, die sich ihre Inlineskates ausgezogen haben, um besseren Halt zu haben, machen eigentlich alles richtig – und doch, in diesen Coronazeiten, alles falsch. Denn auch wenn das frühsommerliche Wetter dazu einlädt, in den sonnendurchfluteten Innenhof zu kommen, um dort gemeinsam Sport zu treiben, ist genau das nicht das Ziel. Das Ziel heißt: Balkonsport. Und das bedeutet: Die Menschen dazu anzuleiten, trotz Kontaktverbots und der daraus resultierenden Enge der eigenen vier Wände Terrasse oder Balkon dazu zu nutzen, sich regelmäßig zu bewegen.

Die Idee dazu hatte die SAGA Unternehmensgruppe, genauer gesagt deren Tochterfirma ProQuartier. Normalerweise bietet die SAGA in rund 20 Hamburger Quartieren wie Eidelstedt, Lurup, Osdorf, Dulsberg, Kirchdorf, Harburg oder Mümmelmannsberg das kostenlose Sportprogramm „move!“, um in Zusammenarbeit mit lokalen Vereinen insbesondere Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, sich unter Anleitung sportlich zu betätigen.

Wenn der Verein zu den Leuten kommt

Doch weil die Menschen nun nicht mehr kommen können, um Sport zu treiben, kommen die Trainerinnen und Trainer eben zu ihnen. Am 30. März ist das Programm gestartet, täglich gibt es in der Stadt rund 25 Sportangebote. „Wir bringen den Verein zu den Leuten“, sagt Michael Kahrs vom ProQuartier-Eventmanagement, der das „move!“-Sportprogramm organisiert.

Ruba Artin (l.) und Rebekka Hönnicke bei den Übungen.
Ruba Artin (l.) und Rebekka Hönnicke bei den Übungen. © | Roland Magunia

An diesem Nachmittag haben Rebekka Hönnicke (39) und Ruba Artin (27) ihre Musik- und Lautsprecheranlage auf einem Spielplatz am Hörgensweg in Eidelstedt aufgebaut. Sechs, acht, manchmal auch zwölf Stockwerke haben die Häuser, die sich um die Rasenfläche herum auftürmen, die Zielgruppe ist also riesig. Hönnicke und Artin sind für den SV Eidelstedt tätig, sie betreuen dort im normalen Alltag Sportkurse für alte Menschen oder Kinderturngruppen. Nun ist nichts mehr normal, und als sie vom Verein gefragt wurden, ob sie Lust hätten, Menschen auf deren Balkonen zum Sport zu animieren, sagten sie sofort zu.

Bewegung ist wichtig

Für den SV Eidelstedt, neben der TSG Bergedorf aktuell der einzige Hamburger Verein, der den Balkonsport aktiv unterstützt, war sofort klar, die Aktion mit Rat und vor allem Tat zu begleiten. „Solche Aktionen bringen uns einen Schritt näher ans Ziel, den Menschen zu zeigen, wie wichtig Bewegung gerade in diesen Zeiten ist“, sagt Maike Wulff, Zweite Vorsitzende des SVE. Dessen Geschäftsführer Martin Hildebrandt sagt: „Eine tolle Idee der SAGA, und wir sind froh, dass wir auf diese Art in unserem Stadtteil Flagge zeigen können.“

Lesen Sie auch:

Das ist vor allem jetzt, da alle Sportanlagen noch bis mindestens 30. April geschlossen sind, wichtig. „Es geht uns darum, den Menschen bewusst zu machen, dass sie sich auch zu Hause bewegen können“, sagt Rebekka Hönnicke, die ausgebildete Sport- und Gymnastiklehrerin ist, sich aber auch als Animateurin hervorragend schlägt. Sie ist diejenige, die über Mikrofon den Kontakt zu den Menschen herstellt.

Empfohlener externer Inhalt
An dieser Stelle befindet sich ein externer Inhalt von Youtube, der von unserer Redaktion empfohlen wird. Er ergänzt den Artikel und kann mit einem Klick angezeigt und wieder ausgeblendet werden.
Externer Inhalt
Ich bin damit einverstanden, dass mir dieser externe Inhalt angezeigt wird. Es können dabei personenbezogene Daten an den Anbieter des Inhalts und Drittdienste übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung

Ruba Artin, die aus Syrien stammt, macht die Übungen vor, die bewusst niedrigschwellig gewählt sind. 15 bis 20 Minuten dauert jede Einheit, die aus Elementen aus Aerobic, Gymnastik und Boxen bestehen. „Es ergibt keinen Sinn, die Leute mit Dingen zu überfordern, die sie nicht schaffen können. Unser Ziel ist, dass es ihnen Spaß macht, sich mit uns zu bewegen. Und dass sie am Ende vielleicht sogar die Übungen machen, wenn wir nicht da sind“, sagt Hönnicke.

logo hamburg macht sich fit

Spaß, diesen Eindruck gewinnt der Beobachter schnell, macht es denen, die mitmachen. An vier verschiedenen Standorten rund um den Innenhof bauen die beiden Trainerinnen ihre Anlage nacheinander auf. Die Resonanz ist unterschiedlich, aber überall sind frohe, dankbare Gesichter zu sehen. Was auffällt: Es sind in erster Linie Kinder und Frauen, die sich zum Mitmachen animieren lassen.

Schöne Reaktionen

Männer beobachten eher, oder sie fotografieren und filmen mit ihren Mobiltelefonen. Auch das ist gewünscht; wer seine Fotos und Filmchen auf dem Instagram-Kanal der SAGA (@saga_move) teilt, trägt dazu bei, die Aktion zu verbreiten. „In der ersten Woche gab es eine Mieterin, die sich über das Angebot lustig machte. Da hatten wir schnell 600 Kommentare, dass das doch ein tolles Angebot sei. So etwas ist ein schönes Feedback“, sagt Michael Kahrs.

Noch schöner allerdings sind die Reaktionen, die die Trainerinnen direkt erhalten. Die Menschen winken von ihren Balkonen, sie bedanken sich lautstark für die kostenlose Trainingseinheit, sie klatschen Beifall. Eine ältere Dame wirft als Dankeschön sogar ein Buch aus dem sechsten Stock auf den Rasen. Und immer wieder kommen Kinder aus den Häusern, um gemeinsam mitzumachen. Rebekka Hönnicke und Ruba Artin schicken sie stets zurück auf die Balkone. „Sobald sich Menschen versammeln, müssen wir das Programm abbrechen, denn genau das ist derzeit nicht erlaubt, auch wenn es uns das Herz bricht“, sagt Hönnicke. Deshalb wird auch nicht vorab veröffentlicht, an welchem Standort das Training angeboten wird. Die Gefahr, dass dann aus umliegenden Straßen Menschen dazustoßen, ist zu hoch.

Allerdings versprechen die Trainerinnen ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern, in der kommenden Woche zum selben Zeitpunkt zurückzukommen. In der Hoffnung, dadurch eine Regelmäßigkeit zu schaffen – und nach und nach immer mehr Anwohner zu begeistern. Denn der Blick auf die Mehrzahl geschlossener Balkontüren oder Wohnungsfenster macht sie traurig. „Wir wünschen uns natürlich, dass irgendwann auf jedem Balkon jemand steht, der mitmacht“, sagen sie. Mindestens bis Ende April soll das Angebot durchgezogen werden. Bis Corona so beherrschbar ist, dass die beiden Mädchen und alle anderen, die es möchten, auch wieder gemeinsam und ohne Mindestabstand Sport treiben dürfen.

Das Interview mit Sportsenator Andy Grote erscheint am Donnerstag.

Informationen zum Coronavirus: