Hamburg. ZDF-Sportkommentatorin Claudia Neumann über Feminismus im Fußball und wie man lernt, mit Hass und Hetze zu leben.

„Ich weigere mich, irgendeine Form von Opferrolle anzunehmen. Ich bin leidenschaftliche Fußballreporterin, nicht mehr und nicht weniger. Niemand darf diese Tatsache auch nur annähernd infrage stellen. Kritisieren, sachlich – gerne. Ablehnen, aus gefühlter Gewohnheit heraus – meinetwegen auch. Aber beschimpfen, beleidigen, bedrohen aus einem antiquierten männlichen Selbstbild heraus? Nein, das geht gar nicht, ich lasse nicht zu, dass es ein persönliches Trauma wird.“

Diese Sätze finden sich gleich zu Beginn des gerade erschienenen Sachbuchs von Claudia Neumann. Ja, genau jene Claudia Neumann, die es 2018 als erste Frau wagte, ein WM-Spiel live im Fernsehen zu kommentieren. 2016 war sie bereits bei der EM in Frankreich in dieser Rolle im Einsatz. Über diese sehr besonderen zwei Sommer hat sie ein Buch geschrieben. Neumann, Jahrgang 1964, beschreibt darin, wie sie es geschafft hat, zwei unerträgliche Shitstorms zu überstehen. Und wie es sich anfühlt, plötzlich zu einer Art Ikone der Frauenbewegung erklärt zu werden.

Hamburger Abendblatt: Frau Neumann, warum haben Sie gerade jetzt dieses Buch geschrieben?

Claudia Neumann: Zunächst einmal, weil es Anfragen gab, schon während der Weltmeisterschaft 2018 in Russland, aber auch danach. Allerdings war damals mein erster Impuls: Das kommt für mich nicht infrage. Zum einen, weil ich die Ereignisse nicht wieder aufdröseln wollte. Und weil ich mich nicht so fühlte, dass ich mich zu irgendetwas erklären müsste oder wollte. Bis jemand aus meinem vertraulichen Umfeld sagte: Mensch Claudia, das kann aber auch eine Chance sein, ein paar Dinge auch für sich selbst zu reflektieren, man hat ja schon so viel erlebt in seinem Berufsleben. Und das war für mich dann der Auslöser: Die eigene Neugier, das mal zu probieren mit diesem Buch. Die war am Ende doch groß.

Gleich zu Beginn erklären Sie in einer Randnotiz, warum Sie im Buch auf die „mittlerweile üblich gewordene Markierung des Geschlechts“ verzichten: „Ganz ehrlich, mich strengen solche Texte an.“

Neumann: Ja, weil es stimmt. Ich finde das persönlich anstrengend, und ich wollte damit nur dem Leser, der Leserin, das Zeichen geben, dass es für mich keine Bedeutung hat. Der Inhalt dessen, was ich transportieren möchte, ist mir wichtig – die Form eine reine Gewohnheit.

Aber ist es nicht genau das, wo wir alle jetzt durchmüssen? Dass wir Gewohnheiten brechen, weil sich sonst nichts verändert?

Neumann: Diese Meinung finde ich absolut legitim. Trotzdem: Für mich geht Inhalt vor Form, und ich finde auch, dass wir uns darüber auf gar keinen Fall in die Haare kriegen sollten, weil es auch das falsche Signal ist. Es geht darum, die Dinge zu leben, vorzuleben bestenfalls. Das ist für mich viel wichtiger, als wenn da überall ein Gendersternchen steht.

An einer Stelle im Buch schreiben Sie über die WM 2018: „Für den Inhalt meiner Arbeit interessiert sich an dieser Stelle im Übrigen fast niemand.“

Neumann: Als das Thema im Sommer richtig hochkochte, habe ich die Erfahrung gemacht, dass es sehr wenig um meine Arbeit als solche ging, sondern vor allem um die Aufmerksamkeit, die man mit Beiträgen über mich generieren wollte. Die Klicks. Nur wenige hatten sich meine Kommentierung der Spiele tatsächlich mal angehört. Die Redewendung: „Aber Sie sollen gesagt haben …“, habe ich im Sommer 2018 sehr oft gehört.

War das frustrierend?

Neumann: Ja, am Ende schon. Denn das waren und sind ja Berufskollegen – also die meisten jedenfalls. Wenn ich über ein Medienthema schreibe, dann darf ich die Spitze des Eisbergs, also die Hasskommentare, die Beschimpfungen, gerne als Verkaufe benutzen. Aber darunter sollte immer auch eine fundierte Recherche, eine fundierte Meinung liegen. Das gab es so gut wie gar nicht. Der erste große Reflex von bedenklich vielen war: übernehmen, übernehmen, übernehmen. Ungeprüft.

Sie schreiben auch, dass Sie den Ausdruck „die erste Frau“ irgendwann nicht mehr hören konnten. Was verständlich ist, aber sehen Sie das inzwischen anders?

Neumann: Ja, in der Tat. Ich muss dazu sagen, dass ich die Feminismus-Bewegung der 70er- und 80er-Jahre nicht sehr sympathisch in Erinnerung habe, das war mir viel zu hardcoremäßig. Heute hingegen empfinde ich dabei deutlich mehr Inhalt, Überzeugung und gute Argumentation. Das nur zum Verständnis, warum ich diese Gender-Thematik für mich nie in Anspruch genommen habe, mich nie als Frau zum Thema gemacht habe. Auch 2016, als die Debatten um mich als EM-Kommentatorin losgingen, war mir das höchst unangenehm. Weil ich es nicht auf mich beziehen wollte.

Und dann?

Neumann: Irgendwann 2018, auch nach vielen Gesprächen mit sehr klugen Menschen, habe ich erkannt: Hey, das soll vielleicht so sein. Vielleicht ist das jetzt tatsächlich eine Aufgabe von dir, wegducken jedenfalls macht keinen Sinn, ich muss mich zeigen. Meine Anonymität bekomme ich eh nicht mehr zurück. Und vielleicht ist das auch im Unterbewusstsein tatsächlich auch ein Grund für das Buch gewesen. Inzwischen habe ich mich arrangiert mit der Rolle. Ich bin absolut fein.

Wie würden Sie Ihre aktuelle Rolle beschreiben?

Neumann: Ich fühle mich nach wie vor nicht als Feministin. Ich versuche aber, in den Bereichen, in denen ich das kann, den Sinn der Gleichberechtigung darzustellen und klarzumachen, dass sich dieses Rad nicht mehr zurückdrehen lässt und dass man gut daran tut, wir alle zusammen, Männer und Frauen, diese gesellschaftliche Veränderung weiter voranzutreiben. In jedem Bereich. Trotzdem halte ich es für sinnvoll, da immer schön auf Sicht zu fahren, die Dinge nicht zu verordnen. Überzeugung durch Qualität ist das entscheidende Kriterium.

In Ihrem Buch gehen Sie sehr offen mit Ihrer eigenen Arbeit ins Gericht, sparen nicht an Kritik. Nach so vielen Kommentaren unter der Gürtellinie – ist Ihnen das nicht schwergefallen?

Neumann: Nein. Ich bin immer ein selbstkritischer Mensch gewesen. Ich bin zwar relativ extrovertiert und durchaus auch mal laut, aber von meiner Persönlichkeit her hat es mich null in die größere Öffentlichkeit gezogen. Die Leidenschaft innerhalb meines Jobs hat mich quasi ein bisschen dorthin geschubst. Zwischen Kritik einerseits und Hass und Hetze andererseits zu trennen, ist mir aber wichtig. Natürlich muss man sich an so exponierter Stelle auch manchmal sehr harsche Kritik gefallen lassen, das gehört dazu. Ungeachtet dessen dürfen wir alle aber durchaus auch an unserer Fehlerkultur arbeiten. Fehler gehören zum Leben, wir sollten nicht immer ein Drama daraus machen, sondern sie eher als Chance begreifen, daraus einen Mehrwert zu ziehen. Hass und Hetze hingegen befinden sich jenseits aller Argumentationslinien.

„Eine Frau, die Männern ein Männerspiel deutet, zerstört das Weltbild“, schreiben Sie in Ihrem Buch, ich würde ergänzen: Sie stellt vor allem Hierarchien infrage, wie ja auch der Buchtitel verdeutlicht. Es gibt einen weltweiten Gender-Pay-Gap, Frauen machen nur vier Prozent der gesamten Sportberichterstattung aus. Warum haben Sie auf eine größere gesellschaftliche Einordnung des Themas verzichtet?

Neumann: Weil ich mir das nicht anmaßen will. Ich wollte nach Querverweisen aus Bereichen suchen, die mich tangieren, die mich dementsprechend auch sehr beschäftigen und interessieren. Schauen wir auf die coronabedingten aktuellen Entwicklungen im Sport. Sogar die Blase Profifußball droht zu platzen. Hier habe ich ja durchaus Kritik geübt oder zumindest bedauert, wie sich der Profifußball, der Profisport an sich, in den vergangenen Jahren entwickelt hat. Auch der kurze Schlenker im Buch zum Aufstieg und Fall des Radsportlers Jan Ullrich ist Ausdruck meiner Besorgnis innerhalb des rasanten Kommerzstrebens im Sport.

Haben Sie die vergangenen vier Jahre eigentlich vorangebracht?

Neumann: Ja, absolut. Aus jedem Widerstand, aus jeder schwierigen Situation lernt man und zieht man auch wieder Stärke. Das kann ich aus meiner eigenen Erfahrung definitiv bestätigen.

Claudia Neumann: „Hat die überhaupt ’ne Erlaubnis, sich außerhalb der Küche auf­zuhalten?“, HarperCollins, 272 Seiten, 16 Euro