Hamburg. Der Hamburger Kais Al Saadi spricht im Interview über seine ersten 100 Tage als Bundestrainer der deutschen Hockeyherren.

Zwölf Tage Südafrika, das klingt angesichts des stürmisch-nassen Hamburger Winters verlockend. Aber Kais Al Saadi stellt zu Beginn des Gesprächs unmissverständlich klar, dass seine Spieler sich keine Hoffnung auf gemütliches Sonnenbaden in Johannesburg machen können. „Dieser Trainingslehrgang wird harte Arbeit. Unser Thema ist die Belastbarkeitsanforderung für die Spieler“, sagte der 43-Jährige vor dem Abflug am Montag. Im Abendblatt spricht der Hamburger über seine ersten 100 Tage als Bundestrainer der deutschen Hockeyherren.

Hamburger Abendblatt: Herr Al Saadi, gab es in den ersten 100 Tagen seit Ihrer Amtsübernahme etwas, das Sie überrascht hat?

Kais Al Saadi: Es wäre vermessen zu sagen, dass ich alles genauso habe kommen sehen. Ich habe mich zwar sehr intensiv mit den Herausforderungen beschäftigt, die auf mich warten würden, und ich hatte erwartet, dass die Spieler voll mitziehen würden. Aber trotz aller Ansprüche, die man an Nationalspieler stellen darf, hat mich überrascht, wie groß die Bereitschaft für Neues ist und wie extrem die Jungs sich in die veränderte Situation hineinknien. Bislang musste ich die Spieler niemals antreiben, sondern bremsen.

Was hat Sie negativ überrascht?

Herausfordernd ist für mich der Grad an administrativen Pflichten, die ein Bundestrainer hat. Das war mir in der Form nicht bewusst. Dass ich zum Beispiel entscheiden soll, welcher Spieler wie viel Sporthilfe bekommt, überfordert mich, und in der Summe gefährden alle Fragen an mich, die mit Budgetierung zu tun haben, unser sportliches Projekt. Aber ich akzeptiere das, und ich erhalte sowohl von der neuen Geschäftsführung als auch vom Präsidium, allen voran von unserer Präsidentin Carola Meyer und unserer Vizepräsidentin Leistungssport, Marie Gnauert, große Unterstützung. Im sportlichen Bereich helfen mir U-21-Bundestrainer Valentin Altenburg und mein Vorgänger Markus Weise enorm. Dafür bin ich sehr dankbar.

Die deutschen Herren haben seit dem Bronzespiel 2016 bei Olympia in Rio bei großen Turnieren kein Entscheidungsspiel mehr gewonnen und wirkten auch bei der Qualifikation für Tokio 2020 Anfang November in Mönchengladbach gegen Österreich verunsichert. Wie nehmen Sie die Mannschaft wahr, was sind die drängendsten Aufgaben?

Wir müssen in beiden Schusskreisen besser werden. Aber der Schwerpunkt der ersten 100 Tage – und auch im Trainingslager in Südafrika – ist die Defensivarbeit. Individuelles und kollektives Verteidigen, dazu die Strafeckenabwehr, das sind die Top drei auf meiner Agenda. Das Team beschäftigt sich sehr intensiv damit, auch in der Tiefe. Ich zwinge die Spieler zur Mitarbeit, weil ich weiß, dass alle einen sehr hohen Taktik-IQ haben. Alles, was wir entwickeln, kommt aus der Mannschaft, aktiv gesteuert vom Trainerteam, aber entwickelt von den Spielern. Das wäre in China, wo ich als Berater gearbeitet habe, gar nicht möglich, weil die Spieler dort diese Strukturen nicht kennen. Aber hier in Deutschland geht es, und das möchte ich nutzen.

Sie waren viele Jahre Bundesligatrainer bei den Damen und Herren des Uhlenhorster HC. Haben Sie sich in Ihrer Arbeit als Bundestrainer stilistisch verändert?

Ich bin kein anderer Mensch geworden, habe aber eine andere Herangehensweise. Ich versuche, nicht zu vergessen, was einem Bundesligatrainer wichtig ist. Zum Beispiel werde ich im März bis zum Start der Pro-League-Heimspiele keine Auswahltermine ansetzen, damit die Vereine Zeit zur Rückrundenvorbereitung mit ihren Nationalspielern haben. Ich muss aber die Belange der Nationalmannschaft verstärkt im Blick haben. Mein Führungsstil ist auf Authentizität und Klarheit ausgerichtet.

Spüren Sie, dass Ihnen aus Vereinen, die eine Rivalität mit dem UHC pflegen, Ressentiments entgegengebracht werden? Wie ist Ihr Verhältnis zu deren Nationalspielern?

Ich spüre zu allen meinen Spielern eine andere Distanz als früher im UHC, was ich aber nicht persönlich nehme. Ich bin in meinem neuen Amt derjenige, der darüber entscheidet, ob vier Jahre harte Arbeit für die Teilnahme an Olympischen Spielen belohnt oder vernichtet werden. Da ist es nicht verwunderlich, dass Spieler oder auch Trainer aller Vereine nicht mit allen Problemen zu mir kommen. Niemand will Schwäche zeigen, und das muss ich aushalten. Was die Ressentiments angeht: Ich habe alle potenziellen UHC-Nationalspieler aus dem erweiterten Tokio-Kader gestrichen, aus Gründen, die ich alle sachlich und logisch darlegen kann. Und ich habe ohne Zögern mit Tobias Hauke einen Spieler des größten UHC-Rivalen Harvestehuder THC zum neuen Kapitän bestimmt. Wer mir jetzt noch Vereinsmeierei unterstellen möchte, der braucht eine verdammt gute Erklärung.

In Südafrika beginnt die heiße Phase der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele. Wo sehen Sie Ihr Team aktuell, und wann werden Sie die 19 Spieler für Japan – 16 plus drei Ersatzleute – benennen?

Ich sehe uns inmitten eines Weges, der noch lang und beschwerlich wird, aber an dessen Ende hoffentlich der größtmögliche Erfolg steht. Südafrika ist kein Nominierungslehrgang, die Jungs sollen sich ohne Sorgen um ihren Platz im Team auf die Inhalte konzentrieren. Wir nutzen die Pro League, um uns für Tokio einzuspielen. Während der Pro League reduzieren wir von 27 auf 23 Spieler, einen Monat vor Beginn der Spiele dann von 23 auf 19. Das Team hat sehr viele Fähigkeiten, um erfolgreich zu sein, aber wir müssen die auf die Straße bringen. Daran arbeiten wir jetzt.