Berlin. Philipp Pflieger muss am Sonntag Bestzeit laufen, um sich für Olympia zu qualifizieren. Ein Gespräch über die Lust am Laufen.

Beim Berlin-Marathon am Sonntag will sich Philipp Pflieger (32) wieder den olympischen Traum erfüllen. Vor drei Jahren in Rio war der Regensburger als 55. bester Deutscher. Um sich zu qualifizieren, müsste er so schnell laufen wie nie. Über die Faszination des Laufens hat er mit Abendblatt-Redakteur Björn Jensen ein Buch verfasst.

Hamburger Abendblatt: Herr Pflieger, wenn Sie die Qualifikation für Tokio schaffen wollen, müssen Sie Bestzeit laufen …

Philipp Pflieger: Wenn wir hier locker flockig über ein, zwei Minuten schneller reden, dann ist das schon ein Brett. Aber wenn der Weltverband eine 2:11:30 vorgibt, ist klar, dass das die Zeit ist, auf die ich zwei, drei Monate hintrainiert habe.

Was ist, wenn es nicht klappt?

Pflieger: Es gibt noch Optionen. Nur die Hälfte des Starterfeldes in Tokio wird aufgrund der Norm besetzt. Der Rest wird mithilfe einer Weltrangliste ermittelt, in die alle in einem definierten Zeitraum erreichten Zeiten und Plätze einfließen.

„Laufen am Limit“ heißt Ihr neues Buch. Wo sehen Sie Ihr Limit?

Pflieger: Die 2:12:50 Stunden, die bisher stehen, halte ich nicht für mein Leistungslimit. Für Marathonläufer beginnt mit Anfang 30 ja erst die spannende Zeit. Arne Gabius ist mit 34 deutschen Rekord gelaufen. Eliud Kipchoge ist gerade 34 und eilt von Sieg zu Sieg. Auch wenn ich mich nicht gern aus dem Fenster lehne: Eine 2:10-er Zeit traue ich mir zu.

Sie beschreiben sich im Buch als „mittelmäßig begabtes Kid“. Waren Sie das wirklich?

Pflieger: Es wäre jetzt sehr kokettierend zu sagen: Ich war gar nicht talentiert. Ja, ich habe es als 13-Jähriger in den Landeskader der besten zehn geschafft. Aber ich war der Zehnte. Ich war damals einer der Kleinsten. Einer von vielen. Das Einzige, was gut lief, war der Cooper-Ausdauertest. Ich hatte zudem mit Wachstumsschüben zu kämpfen, sodass ich die komplette Jugendzeit als Aktiver verpasst habe. Erst mit 19 habe ich meine ersten Meisterschaftsläufe gemacht. Eines hat mich das aber gelehrt: Wenn du was erreichen willst, musst du kämpfen.

Plagt Sie beim Marathon Startfieber?

Pflieger: Das ist irrelevant, da geht man viel relaxter ran als an ein Bahnrennen. Nervös ist man trotzdem, weil man sich vergegenwärtigt, dass der Start zugleich das Ende einer dreimonatigen Reise ist, die nun ihren Höhepunkt erleben soll.

Sie sind 1,88 m groß, wiegen knapp 70 Kilogramm. Nicht optimal, oder?

Pflieger: In der Tat, wenn ich an der Startlinie stehe, überrage ich 90 Prozent des Feldes. Je länger eine Strecke, desto nachteiliger ist es, groß zu sein, weil ein großer Läufer mehr Masse bewegen muss, mehr Energie braucht und das Herz-Kreislauf-System deshalb fitter sein muss. Wie bei einem Auto: Je schwerer es ist, umso mehr Benzin verbraucht es.

Dafür machen Sie aber größere Schritte …

Pflieger: Ja, aber größere Schritte bedeuten mehr Impact für den Körper, der dafür mehr Muskeln aufbaut, die wiederum mehr Sauerstoff benötigen. Es bleibt immer eine Frage der Energie.

Das Buch „Laufen am Limit“ von Philipp Pflieger mit Björn Jensen ist im Edel-Books-Verlag erschienen (236 Seiten, 18,95 Euro).
Das Buch „Laufen am Limit“ von Philipp Pflieger mit Björn Jensen ist im Edel-Books-Verlag erschienen (236 Seiten, 18,95 Euro).

Profis laufen sehr gleichmäßig, müssen auch Sie auf der zweiten Hälfte kämpfen, um das Tempo hoch zu halten?

Pflieger: Nach 30, 32, 35 Kilometern kämpfen auch wir. Und auch wir müssen aufpassen, gleich den richtigen Rhythmus zu finden. So energiesparend wie möglich sein Zieltempo zu laufen, darauf kommt es an. Ein Trugschluss ist es, am Anfang etwas herauszulaufen zu wollen. Das wird jeder in der zweiten Hälfte bereuen und dort mehr verlieren, als er vorher gewonnen hat. Allerdings habe auch ich es noch nie geschafft, einen Negativsplit zu laufen, das heißt, die zweite Hälfte schneller als die erste zu absolvieren. Das gilt ja als Ritterschlag des Marathonlaufens.

Worüber denken Sie während eines Wettkampfes nach?

Pflieger: Bei einem guten Marathon, der dann auch wie im Flug vergeht, bin ich dauerhaft konzentriert und beschäftigt. Ich hinterfrage alles. Wie ist deine Position in der Gruppe? Wie atmet dein Nebenmann? Auf welcher Straßenseite steht die Verpflegung? Die gilt es mit wenig Aufwand und Abstoppen aufzunehmen. Ich trinke relativ viel, trage meine Flasche deshalb 700, 800 Meter, manchmal einen Kilometer bei mir. Dann beginnt bald schon wieder die Konzentration auf den nächsten Verpflegungspunkt. Und plötzlich ist man im letzten Viertel und denkt: Was? Schon Kilometer 35? Es gibt aber auch Läufe, während derer man sich fragt: Was machst du eigentlich hier?