Antwerpen. Er muss es wissen: Deutschlands Ersatzkeeper spielt im Land des Halbfinalgegners und EM-Gastgebers Belgien.

Die Kiste der Floskeln ist nie zu tief, um nicht doch fündig zu werden. „Ein Tor mehr schießen“, so lautet die Antwort, die Tobias Walter auf die Frage gibt, die die deutschen Hockeyherren bei der EM in Belgien vor ihrem Halbfinal-Showdown mit dem Gastgeber an diesem Donnerstag (20.30 Uhr) umtreibt: Wie schlägt man den Weltmeister? Von dem 29-Jährigen hätte man mehr Fachkunde erwartet, immerhin ist der Torhüter, der bei der EM als Ersatzmann für den Kölner Victor Aly fungiert, der einzige Deutsche, der in Belgiens Eliteklasse spielt. Im Sommer 2018 war er vom Harvestehuder THC aus Hamburg zu den KHC Dragons nach Brasschaat, einem Vorort Antwerpens, gewechselt.

Und natürlich könnte Walter viele Tipps geben zu dem, was da zurollt auf seine Mannschaft. Doch weil Belgien in den vergangenen Jahren sehr oft Gegner war, sind seine Ratschläge nicht notwendig. „Bei uns wissen alle, worauf wir uns einstellen müssen“, sagt der Keeper, der zunächst bis Sommer 2020 an die Dragons gebunden ist. Wie schwer es ist, mindestens ein Tor mehr zu schießen als die „Roten Löwen“, die ihre Vorrundengruppe souverän mit drei Siegen und 13:0 Toren gewannen, ist auch kein Geheimnis. „Man muss einfach eingestehen, dass die Belgier aktuell einen Tick besser sind als alle anderen Teams“, sagt Kapitän Mats Grambusch (RW Köln).

Warum das so ist, kann Tobias Walter erklären. „Sie sind auf allen Positionen sehr stark besetzt, aber ich finde, das sind wir auch. Der Vorteil, den sie haben, ist, dass sie mit diesem Team seit Jahren zusammenspielen und dreimal pro Woche gemeinsam trainieren. Da sind die Abläufe ganz anders verinnerlicht, und das sieht man an ihrer Abstimmung auf dem Platz“, sagt er. 2006 war Hockey in Belgien in das „Be Gold“-Programm aufgenommen worden, in dem zehn Sportarten finanziell vorrangig gefördert werden. Vor allem in den Nachwuchs wurde investiert. Silber bei der Heim-EM 2013 war für die Herren der erste messbare Erfolg, seitdem haben sie sich in der Weltspitze festgebissen. Olympiasilber 2016 folgte im vergangenen Jahr der WM-Titel – der erste für Belgien im Teamsport überhaupt, entsprechend wurde er von Zehntausenden Fans und mit einem Empfang beim König gefeiert.

Der 0:8-Stachel sitzt tief

Vor der EM wurde gemutmaßt, der enorme Druck, im eigenen Land endlich den ersehnten ersten Kontinentaltitel holen zu müssen, könne sich leistungsmindernd auswirken. Doch die Auftritte in der Gruppenphase legten eher nahe, dass sich das Team um Toptorjäger Tom Boon von der Euphoriewelle tragen lässt. „Umso mehr wird es darauf ankommen, dass wir in einen freien Modus kommen und vor allem defensiv unsere Topleistung abrufen. Wenn uns das gelingt, können wir sie schlagen. Belgien hat viel mehr zu verlieren als wir“, sagt Bundestrainer Stefan Kermas.

Das sieht auch Tobias Walter so. „Der Druck ist schon immens, die werden gegen uns auf keinen Fall locker aufspielen“, sagt er. Die Turnierbilanz der vergangenen Jahre kann indes nur den Belgiern Mut machen. Letztmals gewann Deutschland bei der EM 2015, 4:0 im ersten Gruppenspiel. Bei der EM 2017 scheiterte man im Halbfinale nach Penaltyschießen, 2018 bei der WM mit 1:2 im Viertelfinale. Tief sitzt aber auch noch der Stachel der 0:8-Abfuhr Mitte Juni in der Pro League. Damals in Krefeld stand Tobias Walter im Tor. „Das war historisch schlecht“, sagt er, „es ist Zeit für ein anderes Ergebnis. Und ich weiß, dass wir bereit dafür sind.“