Grenoble. Das Warten auf den Achtelfinalgegner ist beendet – und vielleicht auch das Warten auf die Rückkehr der Edeltechnikerin Marozsan.

Als die Hängepartie ein Ende hatte, saßen die deutschen Fußballfrauen im Teamhotel vor dem Fernseher. Die Vorrunde der WM in Frankreich war am Donnerstagabend gegen 23 Uhr beendet, und dann stand er endlich fest, der Gegner, auf den das deutsche Team am Sonnabend (17.30 Uhr/ZDF, DAZN) im Achtelfinale in Grenoble treffen wird. „Das wird ein harter Brocken, der da auf uns zukommt“, war die erste Reaktion von Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg, als sich Nigeria als einer der vier besten Gruppendritten für das Duell mit den Olympiasiegerinnen qualifiziert hatte. „Sie haben eine gute Mentalität, spielen mit viel Tempo und sind körperlich sehr robust.“

Eine etwas andere Hängepartie hatte sie Stunden zuvor bereits mit ihrem Team erlebt. Mit der Seilbahn ging es hinauf zur Bastille, einer alten Festungsanlage mit herrlichem Blick auf die Stadt. Auch auf das Stadion, das den passenden Namen Stade des Alpes trägt, in diesem Tal liegend, umringt von Bergen mit schneebedeckten Kuppen. Nun werden die deutschen Spielerinnen es von innen sehen, dieses Alpenstadion, in dem es ums Weiterkommen geht. Achtelfinale, K.-o.-Phase, nur ein Sieg zählt.

Mächtig Gas geben oder scheitern

Als Bundestrainerin Voss-Tecklenburg im Trainingslager von „unserer Tour de France“ sprach, lag sie goldrichtig. Diese WM hat die deutschen Fußballfrauen aus dem regnerischen Rennes in der Bretagne und dem nördlichen Valenciennes in den sonnigen Süden ans Mittelmeer bei Montpellier geführt, nun geht es weiter in Grenoble. Alpen, Bergetappe. Wie bei der Tour de France: mächtig Gas geben oder scheitern.

Anders als die Nigerianerinnen, die ihren Achtelfinaleinzug in Paris mit Gesang und Tanz im Flur des Teamhotels feierten, herrschte bei den Gegnerinnen eher Erleichterung. Sicher, Nigeria sollte nicht unterschätzt werden, sollte aber auch kein unverrückbarer Brocken auf dem Weg ins Viertelfinale sein; im Gegensatz zu Brasilien, das als Alternative drohte. Siebenmal kreuzten sich Nigerias Wege mit Deutschland bisher, siebenmal siegte das deutsche Team. Zuletzt scheiterte Nigeria bei der WM regelmäßig in der Vorrunde, erstmals seit 20 Jahren gelang den Westafrikanerinnen nun der Einzug in die K.-o.-Runde.

"Ein Wellental der Emotionen"

Und das, obwohl es gegen Norwegen mit einem 0:3 losging, dann gegen Südkorea ein 2:0 gelang, und es gegen Frankreich ein 0:1 nach einem wiederholten Elfmeter gab. Als die Nigerianerinnen am Freitag in Grenoble eintrafen, wirkten sie erschöpft. „Verständlich, sie sind am Donnerstagabend durch ein Wellental der Emotionen gegangen“, sagte Voss-Tecklenburg. „Aber ich weiß selbst, wie viel Energie es freisetzen kann, doch noch als Gruppendritter weiterzukommen.“ Vor vier Jahren war der 51-Jährigen dieses Kunststück als Nationaltrainerin der Schweiz gelungen. Nigeria kam weiter, weil Chile gegen Thailand nur 2:0 gewann. Kurz vor Schluss schossen die Chileninnen einen Foulelfmeter an die Latte. Mit einem 3:0 wären sie statt Nigeria ins Achtelfinale eingezogen.

Das Warten auf den Achtelfinalgegner ist beendet – und vielleicht auch das Warten auf die Rückkehr der Edeltechnikerin Dzsenifer Marozsan, die sich im Auftaktspiel gegen China den mittleren linken Zeh gebrochen hatte. „Sie wird noch mal trainieren, dann schauen wir, wie ihr Fuß reagiert. In der Startaufstellung wird sie nicht stehen“, sagte Voss-Tecklenburg. Aber auch so wissen die deutschen Frauen, dass sie noch Steigerungsbedarf haben. „Wir sind noch nicht zufrieden mit dem, was wir über 90 Minuten bringen“, sagte Abwehrspielerin Carolin Simon. „Wir müssen noch ein, zwei Schippen drauflegen.“

Zwar präsentierte sich das deutsche Team im finalen Vorrundenspiel gegen Südafrika (4:0) stabiler und sicherer als noch bei den 1:0-Siegen gegen China und Spanien, doch auch in der dritten Partie gab es Fehlpässe und ungenutzte Torchancen bei vielen Freiräumen, die der überforderte Gegner bot. „Ein Trend nach oben ist besser als einer nach unten“, fand aber Mittelfeldspielerin Lina Magull. „Wir haben uns gesteigert, wissen aber auch, dass wir noch mehr können“, befand Stürmerin Svenja Huth.

Dennoch sei das 4:0 gegen Südafrika ein Befreiungsschlag gewesen, wie die Bundestrainerin befand. „Dieser Sieg hat uns sehr viel gebracht“, sagte Voss-Tecklenburg, sprach das neue Selbstvertrauen an, mit dem ihr Team die Trainingseinheiten bestritt. Auch das Selbstvertrauen von Alexandra Popp ist wieder gestärkt. Die Stürmerin wird ihr 100. Länderspiel bestreiten, ihr erster Treffer dieser WM war der wuchtige Kopfball zum 3:0 gegen Südafrika. Voss-Tecklenburg: „Wir haben Alexandra gezeigt, dass sie auch ohne Tor einen guten Job macht. Sie war fast an jeder Torsituation bisher beteiligt. Für mich gehört sie zu den besten Stürmerinnen der Welt.“