Eine einmalige magische Fußball-Nacht? Keineswegs! Klopp hat mehrfach das Unmögliche geschafft. Ein besonderes Porträt.

Liverpool. „Es ist verrückt“, begann Jürgen Klopp seinen Versuch, einen epischen Fußball-Abend in Worte zu fassen. „Der Verein ist wie ein großes Herz, das heute gepocht hat“, sagte der Coach des FC Liverpool gewohnt emotional nach dem 4:0-Erfolg gegen den FC Barcelona, der mit dem Einzug ins Finale der Champions League belohnt wurde. Es war eine dieser magischen Nächte. Eine Aufholjagd, die in die Fußball-Geschichte eingehen wird.

Nicht zum ersten Mal sorgte der deutsche Ausnahmetrainer mit seiner Gabe, als Motivator in die Köpfe seiner Spieler einzudringen, um sie zu Glanzleistungen zu bringen, für einen solchen Moment, der den Fußball einzigartig erscheinen lässt.

Inmitten eines der größten Erfolge seiner Karriere lobt Klopp den Verein und seine Spieler. Dabei ist er der Macher des Wunders von der Anfield Road. Selbst sein größter Widersacher José Mourinho zollte Klopp Respekt. Es war pure Magie, die Liverpool zu dieser Sternstunde verhalf. „Für mich hat dieses Comeback einen Namen: Jürgen“, sagte “The Special One“ über „The Normal One“. Mourinho ergriffen: "Das ist die Spiegelung seiner Persönlichkeit: niemals aufgeben, sein Kampfgeist. Hier ging es nicht um Taktik oder Spielphilosophie, hier ging es um Herz und Seele.“

Klopps Chefkritiker Mourinho gibt auf

Es ist die wohl größte Anerkennung, die man im Leben erfahren kann, wenn sein Hauptkritiker plötzlich vor Anerkennung auf die Knie geht. Bislang ließ Mourinho keine Möglichkeit ungenutzt, um den Hype um Klopp zu ersticken. Der Portugiese wurde nicht müde zu betonen, dass Klopp mit Liverpool noch keinen Titel geholt habe und überhaupt in so vielen Finals als Verlierer hervorging. Tatsächlich konnte Klopp von acht Endspielen nur eines gewinnen – 2012 mit Borussia Dortmund im DFB-Pokal gegen Bayern München (5:2).

Doch der 51-Jährige weiß mit Rückschlägen umzugehen. In seinen Anfängen als Trainer verpasste er mit Mainz 05 zweimal in Folge den Aufstieg, ehe er die Mannschaft in die Bundesliga führte. Auch beim BVB lief zunächst nicht alles rund, weil Führungsspieler wie Mladen Petric die Spielidee infrage stellten. Klopp sortierte diese Spieler aus. Diejenigen, die seinen Weg mitgehen wollten, machte er besser.

Egal, ob Robert Lewandowski, Roman Weidenfeller, Marcel Schmelzer, Lukasz Piszczek, Neven Subotic, Shinji Kagawa oder Mario Götze – sie alle erlebten unter Klopp ihren Durchbruch oder erreichten eine nicht für möglich gehaltene Qualitätsstufe, die sie nach Klopps Abgang im Sommer 2015 nicht mehr bestätigen konnten. Zwei Meisterschaften stürzten Dortmund und das Ruhrgebiet in "Kloppo-Mania". Die Siege gegen Real Madrid sind leibhaftige Legende.

Von dieser Fähigkeit profitierte nicht nur Borussia Dortmund bei Ablöseverhandlungen, sondern auch die deutsche Nationalmannschaft bei ihrem WM-Sieg 2014 in Rio de Janeiro. Inzwischen ist es die englische Auswahl, die sich bei Klopp bedanken darf, dass Talente wie Trent Alexander-Arnold (20), der wohl raffinierteste Eckenschütze der Fußball-Geschichte, reif genug sind, die drei Löwen auf der Brust zu tragen.

Klopp überträgt seine Energie auf die Spieler

In Zeiten sogenannter Laptop-Trainer und Fußball-Professoren gibt Motivator Klopp den Gegenpol, indem seine Mannschaften für Leidenschaft, Hingabe und puren Siegeswille stehen. „Ich habe den Jungs gesagt, dass es eigentlich unmöglich ist, aber weil ihr es seid, haben wir eine Chance“, sagte der Coach der Reds nach dem Coup gegen Barca. Es ist eine Aussage, die eine seiner größten Stärken beschreibt. Klopp beansprucht den Erfolg selten für sich allein, vielmehr gibt er die daraus entstehende Energie an Spieler und Fans weiter.

Es ist sicherlich kein Zufall, dass die Fußball-Romantiker dieser Welt Klopp mit magischen Nächten ihrer Lieblingssportart verbinden.

HSV wollte Klopp nicht wegen löchriger Jeans

Beim HSV, wo es seit Jahren schon keinen ansehnlichen Fußball mehr im Volkspark zu sehen gibt, legte man offenbar keinen Wert auf dieses gerade für Fans elementar wichtige spielerische Merkmal. Als 2008 die Möglichkeit bestand, Klopp zu verpflichten, war dem damaligen Sportchef Dietmar Beiersdorfer das äußerliche Erscheinungsbild des künftigen Trainers wichtiger. Und weil Klopp mit Löchern in den Jeans und einer Schachtel Zigaretten zum Vorstellungsgespräch kam, lehnte man in Hamburg dankend ab.

Das Ende ist bekannt. Klopp steht im Champions-League-Finale und der HSV droht zweitklassig zu bleiben. Auch das ist verrückt.