Hamburg. Barbara Rittner, Head of Women’s Tennis, über ihr Amt und die Australian Open, die am Montag starten.

„Wenn jemand zu dir sagt: ,Das geht nicht!‘, dann denk daran: Es sind seine Grenzen, nicht deine.“ Diesen Spruch hat Barbara Rittner als Profilbild in ihrem WhatsApp-Account gewählt. Wo ihre eigenen Grenzen liegen, musste die 45-Jährige am vergangenen Dienstag erfahren, als sie die Anreise nach Melbourne hinter sich brachte. „Der Tag danach ist extrem anstrengend, da ist man körperlich ziemlich durch den Wind“, sagt die oberste Frau im deutschen Tennis, die in den kommenden zwei Wochen hauptsächlich als Expertin für den TV-Sender Eurosport von den Australian Open berichten wird, die am Montag starten.

Frau Rittner, was ändert sich, wenn man ein Grand-Slam-Turnier aus der Perspektive einer Journalistin erlebt, anstatt ständig als Trainerin zu denken?

Barbara Rittner: Ich mag diesen Per­spektivwechsel sehr, weil er tatsächlich einen anderen Blick auf den Sport ermöglicht. Ich habe andere Aufgabenstellungen und stelle fest, dass mir die Arbeit fürs Fernsehen sehr viel Spaß macht und ich jeden Tag dazulerne.

Aktuell werden Sie im Deutschen Tennis-Bund dringend gebraucht, immerhin haben der Wimbledonsieg von Angelique Kerber und der WM-Triumph von Alexander Zverev einen Schub ausgelöst. Welchen Anteil daran rechnen Sie sich als Head of Women’s Tennis, als der Sie gerade Ihren Vertrag bis 2021 verlängert haben, und Ihrem Herren-Pendant Boris Becker zu?

In erster Linie ist die neue Euphorie, die wir tatsächlich spüren, ein Verdienst der Spieler. Ein Wimbledonsieg ist in der Wahrnehmung noch einmal größer als der Titel in Australien oder bei den US Open, und wie Angie damit umgeht, imponiert mir sehr. Bei Sascha Zverev wittern alle, dass er der kommende Superstar sein kann, und wollen nun auf den Zug aufspringen. Solche Spieler zu haben, das ist natürlich ein wahnsinniges Pfund. Und wir haben ja noch mehr zu bieten, wenn ich zum Beispiel an die Halbfinalteilnahme von Julia Görges in Wimbledon denke.

Dennoch scheint es, dass die anfangs belächelte Installation der Position der Heads of Tennis Früchte trägt. Werden Sie anders wahrgenommen als als Bundestrainerin? Was hat sich für Sie verändert?

Die wichtigste Veränderung ist, dass ich deutlich konzeptioneller arbeiten kann und einen noch intensiveren Blick für das große Ganze entwickle. Wir führen noch mehr Lehrgänge im Juniorenbereich durch, und ich kann meine Erfahrung gebündelt, aber auch sehr individuell einbringen. Im Gegensatz zu Boris, der ehrenamtlich arbeitet und deshalb weniger Tage zur Verfügung steht, kann ich mich auf allen Ebenen entfalten. Dennoch glaube ich, dass vor allem die Reaktivierung von Boris im DTB der wichtigste Schritt war.

Warum ist er so wichtig?

Es ist die Art, wie er es schafft, Menschen anzusprechen und zu begeistern. Wer mit ihm über Tennis spricht, der spürt sofort diese Aufbruchstimmung, die er vermittelt, und die sich auch auf die Spieler, Trainer und Funktionäre überträgt. Selbst ich habe manchmal Gänsehaut, wenn er redet. Er ist mit Leidenschaft und Herz dabei, agiert aber als echter Teamplayer auf Augenhöhe mit allen anderen.

Hätte man mit der Erfahrung der vergangenen Monate diese Position schon früher einführen sollen?

Man muss sie mit den richtigen Leuten besetzen, damit es Sinn ergibt. Boris war als Coach von Novak Djokovic gebunden und nicht verfügbar. Außerdem musste auch er erst herausfinden, ob es wirklich sein Ding ist. Aber nun, da es läuft, kann man sagen, dass unser Vizepräsident Leistungssport, Dirk Hordorff, den richtigen Riecher hatte. Im Ausland versucht man bereits, unser System zu kopieren. Ich hatte kürzlich eine Anfrage aus England, dort Head of Tennis zu werden, die ich nach guten Überlegungen aber abgelehnt habe.

Das ist wichtig, schließlich gibt es im DTB genug zu tun. Die Talentförderung muss noch besser werden, es braucht mehr Trainer, mehr Angebote. Was fehlt noch?

Wir können uns überall verbessern, keine Frage. Unser Ziel muss es sein, uns so aufzustellen, dass wir in den kommenden Jahrzehnten auf dem Level der Topnationen wie Frankreich oder USA agieren können. Dabei hilft uns sehr, dass der Deutsche Olympische Sportbund uns in die Förderung durch das Bundesinnenministerium aufgenommen hat. Dadurch können wir die Strukturen so verbessern, dass wir es schaffen, aus jedem das Beste herauszuholen. Es darf kein Zufall mehr sein, dass unsere Talente sich optimal entwickeln.

Kommen wir zu denen, die in Melbourne Topleistung bringen sollen. Sie sprachen Kerbers neue Beliebtheit an. Was erwarten Sie von der Verpflichtung Rainer Schüttlers als Nachfolger von Coach Wim Fissette?

Ich wollte Rainer vor vier Jahren schon zum DTB holen, weil ich sowohl menschlich als auch fachlich enorm viel von ihm halte. Da war er noch anderweitig verpflichtet. Ich glaube, dass die beiden charakterlich sehr gut zueinander passen, sie sind beide sehr disziplinierte und hart arbeitende Kämpfertypen, die auf dem Platz aber auch mal negative Emotionen zeigen. Rainer hat das Verständnis, die Gelassenheit und die Unabhängigkeit, mit Angie richtig umzugehen. Sie hat ihm schnell Vertrauen geschenkt, und wer weiß, dass sie sich damit manchmal schwertut, kann einschätzen, dass die Konstellation sehr vielversprechend ist. Dennoch ist der Jahresstart vor allem in Melbourne enorm wichtig.

Halten Sie einen erneuten Titelgewinn wie 2016 für möglich?

Natürlich, Angie gehört zu denen, die das Turnier gewinnen können. Das sind bei den Damen aber bestimmt 15 Namen, die man nennen muss. Ich würde auch Julia Görges
dazuzählen. Für sie ist in Wimbledon der Grand-Slam-Knoten geplatzt, sie hat letzte Woche in Auckland ihren Titel erfolgreich verteidigt und kommt mit guter Form und viel Selbstvertrauen hierher. Vor allem aber ruht sie mittlerweile in sich. Sie hat mit ihrem Team ihren Weg gefunden und arbeitet konstant sehr hart an sich. Das ist schön zu be­obachten.

Gibt es eine deutsche Spielerin, der Sie eine Überraschung zutrauen?

Ich glaube, dass Andrea Petkovic positiv überraschen kann. Sie hat sich zum Ende der vergangenen Saison klar verbessert präsentiert und ist hoch motiviert, dies zu zeigen. Bei Laura Siegemund muss man abwarten, wie das Knie hält, ihr traue ich eher eine starke Sandplatzsaison zu. Leider sind Sabine Lisicki und Carina Witthöft bereits in der ersten Runde der Qualifikation gescheitert.

Nach den Australian Open steht wieder der Fedcup an, das Erstrundenmatch gegen Weißrussland in Braunschweig am 9./10. Februar. Angelique Kerber und Julia Görges haben bereits angekündigt, nicht zu spielen. Lebt der Traum vom ersten Titelgewinn seit 1992 noch?

Auf jeden Fall! Die aktuelle Generation bringt neben ihrer Qualität nach wie vor eine hohe Motivation mit, das bewundere ich an ihnen sehr. Klar ist aber, dass wir unsere Topspielerinnen brauchen, wenn wir den Titel holen wollen. Dass Angie und Jule nicht spielen, das ist schade, verstehe ich aber. Es ist ein enger Zeitplan im Frühjahr, sie wollen sich auf die Turniere konzentrieren. Und wenn man drei Grand-Slam-Titel gewonnen hat wie Angie, verschieben sich Prioritäten. Dennoch lebt der Traum.

In Hamburg träumen die neuen Turnierveranstalter Sandra und Peter-Michael Reichel von einem zusätzlichen Damenturnier. Ihnen als Head of Women’s Tennis dürfte das gefallen.

Ich hoffe sehr, dass das schon in diesem Jahr klappt. Ein kombiniertes Damen- und Herrenturnier fände ich ebenso reizvoll wie ein Event in zwei aufeinanderfolgenden Wochen. Ich bin mit Sandra Reichel in gutem Kontakt und weiß, dass sie und ihr Vater hart darum kämpfen. Dafür drücke ich fest die Daumen.