London . Bundestrainerin Rittner glaubt, dass die Weltranglisten-Vierte nach dem Wimbledon-Sieg nun durchstartet

    Im eleganten roten Abendkleid sagt Wimbledonsiegerin Angelique Kerber spontan für ein Tänzchen zu. Strahlend dreht sich Deutschlands beste Tennisspielerin mit Novak Djokovic auf der Bühne. Dabei ist die Tradition des Tanzens beim Champions Dinner in Wimbledon eigentlich schon lange abgeschafft. Doch der serbische Rasen-König fordert die „Lady in Red“ aus Kiel auf – unter „Oh“ und „Ah“ aus dem Publikum – und verbeugt sich danach vor der ersten deutschen Wimbledonsiegerin seit Steffi Grafs letztem Erfolg vor 22 Jahren. „Das hier“, sagt Kerber, „ist einer der speziellsten Abende meiner Karriere. Ich kann es immer noch nicht glauben, ich brauche sicher noch ein paar Tage.“

    Nach Rindercarpaccio, Heilbutt und Erdbeeren zum Nachtisch verabschiedet sich die 30 Jahre alte norddeutsche Tennisspielerin nach Mitternacht aus der Londoner Guildhall. Die Sieger-Schale, die sie kurz nach dem Endspiel bereits hatte abgeben müssen, die ihr beim Champions Dinner aber noch einmal überreicht wurde, wird ihr erneut abgenommen. Eine kleinere Replika nimmt sie mit. „Die gebe ich auch nicht mehr her“, sagt die ehemalige Nummer eins der Welt. Was jetzt als Nächstes kommt? „Der Nächste“, antwortet Kerber – gemeint ist wohl der nächste Titel.

    Sie hat die Australian Open gewonnen, sie hat sich Olympia-Silber in Rio gesichert, sie hat den Sprung zur Nummer eins geschafft, sie hat bei den US Open triumphiert. Und nun ist sie die erste deutsche Wimbledonsiegerin in diesem Jahrtausend. Alles, was sich die Schleswig-Holsteinerin mit Wohnsitz im polnischen Puszczykowo, dort wo ihre Großeltern leben, einmal erträumt und vorgenommen hatte, hat sie erreicht. „Egal, was jetzt kommt, ist natürlich Bonus“, sagt die Linkshänderin. Ein baldiges Karriere-Ende sei aber kein Thema. „Aufhören ist ganz weit weg“, sagt Kerber der „Bild“.

    In der am Montag veröffentlichten neuen Weltrangliste wird sie als Nummer vier geführt, so gut stand Kerber seit elf Monaten nicht mehr da. „Es kann sein, dass sie noch mal sagt, jetzt greife ich noch mal die Eins an. Sie ist die Konstanteste“, erklärt Barbara Rittner. Die deutsche Damen-Chefin hat zudem in einem Gastbeitrag für die „Rheinische Post“ Steffi Graf als einen hilfreichen Ratgeber für Angelique Kerber bezeichnet. „Der Austausch mit Steffi hat sie darin bestärkt, wirklich Großes schaffen zu können. Es geht nicht darum, irgendetwas zu wiederholen, sondern seine eigene Geschichte zu schreiben.“

    Noch beträgt der Rückstand der zwölffachen Turniersiegerin auf die rumänische Weltranglisten-Erste Simona Halep mehr als 2200 Punkte. Bei den US Open in New York, die am 27. August beginnen, kann die Kielerin eine Menge Punkte gutmachen, weil sie in ihrer Frust-Saison 2017 bereits in der ersten Runde gescheitert war. Ihren nächsten Turnier-Auftritt hat sie für Anfang August in Montreal geplant.

    Überglücklich, aber nach zwei „gigantischen Wochen“ auch „durch, fertig, mental platt“ macht sie sich am Montag auf den Heimweg zu ihren Großeltern nach Polen – dort wo ihr Lebensmittelpunkt ist. Ihr herausragendes Comeback nach den vielen Enttäuschungen von 2017 haben an ihr gezehrt. Der Abstecher wird allerdings kurz und stressig sein. Schon am Dienstagmittag stellt sie sich in Stuttgart bei einem ihrer Sponsoren den Fragen der Presse.

    Nach ihren beiden Grand-Slam-Siegen im Jahr 2016 und den schlechten Ergebnissen ein Jahr später hat sie eine Menge über sich gelernt. Beispielsweise, dass es ihr gut tut, zwischen der Tennisspielerin und der privaten Angelique Kerber zu trennen. Daraus habe sie die wichtige Erkenntnis abgeleitet, dass „Tennis zwar mein Beruf und mein Leben ist, aber wenn ich nach Hause komme, bin ich keine Spielerin. Ich versuche, normal zu leben, so wie andere Frauen in meinem Alter“, schildert Kerber der „Bild“. Noch ist sie Single. Ihren Traumprinzen habe sie noch nicht gefunden, gibt sie zu. „Aber ich mache mir da keinen Stress. Wenn man es nicht erwartet, kommt er, das ist so.“

    Feilschen mit dem Trainer um möglichst viele freie Tage

    Dass ihr Rückzugsort immer noch in ihrem Geburtsland Polen liegt, hat ihr Fragen nach ihrem „Deutschsein“ eingebracht. Sie lebe dort wegen ihren Großeltern, weil sie sich gut auskenne und sich wohl fühle, sagt sie. Aber: „Ich bin Deutsche. Nur meine Großeltern sind das Polnische an mir.“

    So viele freie Tage wie möglich möchte sie mit Trainer Wim Fissette aushandeln, bevor sie wieder mit dem Training beginnt. Abspannen, ausspannen, ein bisschen Normalität leben. Deshalb freue sie sich auf einen Abend im Kreise ihrer Familie, die Oma ist für gutes Essen bekannt. „Ich lasse mich überraschen, vielleicht machen wir einfach ein bisschen Sommergrillen draußen auf der Terrasse“, sagte Kerber. Und im nächsten Jahr würde die Kielerin am liebsten den Sonntagabend am Ende zweier Wimbledon-Wochen erneut in der Londoner Guildhall verbringen.