Hamburg. Sidney Haase trainiert für die deutschen Meisterschaften im Eiskunstlaufen. Zum Training fährt sie an wechselnde Standorte.

Neun Kilometer sind es zwischen der Volksbank Arena am Volkspark und der Eisarena in den Wallanlagen. 17 Minuten mit dem Auto, 38 Minuten mit den öffentlichen Verkehrsmitteln. Manchmal geht es zum Training auch nach Farmsen oder in die Hagenbeckstraße. Trainingsklamotten und Schlittschuhe sind deshalb in der großen Tasche immer dabei. „Das eigene Auto hilft sehr“, sagt Sidney Haase.

Eiskunstlaufen in Hamburg ist eine logistische Herausforderung. Wo ist gerade Eis, wo sind Zeiten frei? Wer ambitioniert auf Schlittschuhen aktiv ist, der muss viel investieren. „Ich trainiere drei Stunden pro Tag, rund 20 Stunden pro Woche“, erzählt Haase. Hamburgs Beste ist gerade 18 geworden, Fahrerlaubnis inklusive. Sie ist eine Exotin als Leistungssportlerin auf Kufen, aber auch ein Aushängeschild für eine Sportart, die in ­dieser Stadt im Verborgenen beginnt, Eisblütenansätze zu zeigen. „500 Aktive haben wir“, sagt Irmelin Otten, die Präsidentin des Hamburger Verbandes, „und es werden immer mehr.“

Drei Vereine bieten Eiskunstlaufen an, der Altonaer Schlittschuhläufer-Verein, der Hamburger Schlittschuh Club und die Eis- und Rollsportsparte im HSV. 2015 schloss sich der Eislauf Verein von 1922 dem HSV an. 260 Mitglieder sind jetzt aktiv, 125 davon Kinder und Jugendliche. „Jedes Jahr kommen 30 bis 40 neue dazu“, sagt Abteilungsleiterin Otten, die auch Trainerin ist. Die Verhältnisse in Hamburg haben sich für die Eiskunstläufer verbessert. Seit 2016, nach dem Rückzug des Eishockey-Teams Hamburg Freezers, gibt es mehr Trainingszeiten in der Volksbank Arena, der einzigen ganzjährig nutzbaren Eisfläche. Auch von der etwa acht Millionen Euro teuren Sanierung der Eisbahn in den Wallanlagen profitieren Vereinssportler und Hobbyläufer. Otten: „Es ist toll geworden. Das hilft uns sehr.“

Vorbilder für die Jüngeren

Es ist ein großes Gewusel aus lauter kleinen und größeren Eisprinzessinen, die nachmittags in der Volksbank Arena ihre Kreise drehen, versuchen, erste Sprünge zu stehen und Pirouetten zu kreiseln. Dazwischen nehmen Haase und die 16 Jahre alte Anna Maksimenko rasanten Anlauf für ihre deutlich ambitionierteren Höhenflüge. „15 bis 20 Leute aller Altersgruppen trainieren hier gleichzeitig“, sagt Haase. „Aber das klappt sehr gut, weil die anderen gewohnt sind, dass wir mehr Platz brauchen. Sie gehen dann an den Rand.“ Die Leistungssportler sind Vorbilder für die Jüngeren: „Die zwölf Jahre alte Emily sagt, ich sei wie ihre große Schwester“, erzählt die Eiskunstläuferin, die auch eine Kindergruppe trainiert.

Sie selbst hat mit zwei Jahren das erste Mal auf Schlittschuhen gestanden. Familienerbe. Vater Fabian Ahrens ist eine lokale „Eishockey-Legende“. Er hat jahrzehntelang in Hamburg, Adendorf und Timmendorfer Strand gespielt. „Meine ersten Schlittschuhe waren Eishockeyschuhe“ erinnert sich die Tochter. „Aber Eishockey hat mein Vater mir verboten. Das sei Jungssport.“

Irgendwann lief im Fernsehen eine Eiskunstlauf-WM. „Da wusste ich, dass will ich machen.“ In den Wallanlagen hat alles angefangen, seit dem sechsten Lebensjahr ist sie dabei. „Es ist ein Auf und Ab, aber am Ende stehen Fortschritte“, sagt sie. Die Trainingsarbeit, die Mühen werden irgendwann belohnt. Das Glücks­gefühl, wenn ein schwerer Sprung gelingt, entschädigt für die Schinderei. „Ich arbeite am zweifachen Axel“, erzählt sie. „Ab und an kommt er schon, bei den deutschen Meisterschaften am 22./23. Dezember in Stuttgart will ich ihn beherrschen.“ Im Januar 2021 finden die Titelkämpfe in der Volksbank Arena statt. „Da will ich unbedingt dabei sein“, sagt sie.

Verletzung verhinderte Wechsel nach Berlin

2019 hat sie ein schweres Jahr vor sich, im Sommer steht das Abitur an. Sie geht aufs Gymnasium Heidberg, gehört zu den „Sportschülern“, deren Stunden- und Lehrpläne auf die Trainingsanforderungen abgestimmt sind. Sie ist zudem Mitglied im Junior Topteam des HSV, das Talente finanziell unterstützt. Vergangenen Februar nahm sie als einzige Hamburgerin am olympischen Jugendlager während der Winterspiele in Südkorea teil. Zwei Wochen lang konnte sie in Pyeongchang die Spiele vor Ort erleben, Athleten treffen, Einheimische und eine andere Kultur kennenlernen. „Ein unvergessliches Erlebnis, unglaublich. Ich habe wahnsinnig viel Motivation daraus gezogen.“

Anna Maksimenko ist erst kürzlich zum HSV gewechselt. Keine Konkurrenz. Man kennt sich in der Diaspora, unterstützt sich, bündelt Kräfte. Auch Maksimenko soll im Junior Topteam aufgenommen werden. Und auch die zwölf Jahre alte Xenia Hubrich hat Perspektiven. „Sie hat sich enorm entwickelt“, sagt Otten. „Berlin baggert schon.“

In der Hauptstadt gibt es ein Sportinternat für Eiskunstläufer. Talente werden offensiv angesprochen. „Zehn Eiskunstläufer sind in den vergangenen Jahren von Berlin abgeworben worden“, erzählt Otten. Auch Haase hatte den Schritt überlegt – dann riss ihr Kreuzband. Ein Jahr Zwangspause, langsamer Wiedereinstieg. Der Zug nach Berlin war abgefahren. „Wir haben es in Hamburg aber jetzt gut“, sagt sie. „Ich würde mir nur wünschen, dass wir einen festen Haupttrainingsort hätten. Mit einer Kabine, wo man die Schlittschuhe einschließen kann.“ Das Hin und Her zwischen den Eisflächen in der Stad kostet Kraft und Nerven – auch mit dem Auto.