Hamburg. Alexander Wieczerzak vom Hamburger Judo-Team startet als Titelverteidiger in die WM in Aserbaidschan.

Nicht abheben! Nach großen Erfolgen auf dem Boden bleiben, der sein, der man vorher war! Leistungssportler nehmen sich das gern vor. Doch obwohl er diesen Vorsatz auf menschlicher Ebene gut umsetzen konnte, hat Alexander Wieczerzak in den vergangenen Monaten festgestellt, dass er sportlich nicht mehr der ist, der er war, bevor er Ende August 2017 in Budapest Judoweltmeister wurde. Als erster Deutscher seit Florian Wanner, der 2003 ebenfalls im Limit bis 81 Kilogramm triumphiert hatte; der Gewichtsklasse, in der auch Wieczerzak auf die Matte geht.

„Egal, wie gut oder schlecht ich vorher war: Als Weltmeister bist du plötzlich bei allen auf dem Radar“, sagt der 27-Jährige, „du hast das geschafft, wovon alle träumen, und auf einmal will dich jeder schlagen. Du bist immer der Gejagte. Damit klarzukommen, das musste ich erst lernen.“ Wie weit dieser Lernprozess fortgeschritten ist, wird sich an diesem Sonntag zeigen, wenn der BWL-Student in Aserbaidschans Hauptstadt Baku zur Titelverteidigung antritt. Am Donnerstag beginnt dort die WM, für die neben Wieczerzak vom deutschen Mannschaftsmeister Hamburger Judo-Team auch Moritz Plafky (bis 60 kg), Igor Wandtke (bis 73 kg) und Dominic Ressel (bis 81 kg) für das achtköpfige deutsche Männerteam nominiert sind. Unter den neun deutschen Frauen ist mit Martyna Trajdos (Eimsbütteler TV) eine Hamburgerin.

Höhepunkt der Saison

Die WM ist für Wieczerzak zwar der Höhepunkt der Saison, sein Leistungsvermögen kann der BWL-Student allerdings nur schwer einschätzen. Nach dem Goldcoup von Ungarn, wo er in Serie den WM-Dritten von 2015, den Olympiasieger von 2016, den Europameister von 2017, den aktuellen Weltranglistenersten und im Finale den Italiener Matteo Marconcini niederkämpfte, setzte ihn eine langwierige Schambeinentzündung außer Gefecht. Erst im April dieses Jahres konnte der in Frankfurt am Main geborene und am Bundesstützpunkt in Köln lebende Athlet wieder ins Training einsteigen. Ein Trainingslager in Japan und Einsätze beim European Cup in Celje (Slowenien) und beim Grand Prix in Budapest hat er absolviert, „ich bin verletzungsfrei und fühle mich sehr gut“, sagt er.

Körperliche Widerstände zu überwinden, das hat Alexander Wieczerzak in den vergangenen Jahren gelernt. 2016 kosteten ihn eine auf Kuba eingehandelte Denguefieber-Infektion und ein Rippenbruch die Qualifikation für die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro. Die größte sportliche Leistungsschau ist für Nischensportler, zu denen auch die Judoka zählen, das Traumziel, die jährlich stattfindenden Weltmeisterschaften sehen sie oft nur als Zwischenschritt an.

Druck höher als in anderen Sportarten

Wieczerzak allerdings fährt mit dem Anspruch nach Baku, wie ein würdiger Titelverteidiger aufzutreten. „Es ist schon ein anderer Druck, als amtierender Weltmeister zu einer WM zu fahren“, sagt er. Für Entspannung sorge das Wissen, dass die Punkte für die Qualifikation zu Olympia 2020 in Tokio erst bei der WM im kommenden Jahr vergeben werden. „Dadurch bin ich etwas gelassener. Wenn es mit einer Medaille diesmal nicht klappt, wäre das nicht so schlimm.“

Im Judo ist der Druck auch deshalb höher als in anderen Sportarten, weil sich der Wettkampf auf einen einzigen Tag konzentriert. „Wenn du an dem Tag nicht in Form bist, ist die Arbeit vieler Monate dahin. Bei einer WM ist das bitter, bei Olympia, das nur alle vier Jahre stattfindet, noch viel bitterer“, sagt Alexander Wieczerzak. Ein großer Erfolg hat deshalb immer auch mit Glück zu tun. Das zu wissen hilft ebenfalls, die Bodenhaftung nicht zu verlieren.