Hamburg. Der umstrittene Videobeweis sorgt gleich zum Saisonstart in der Bundesliga wieder für Spott, Ärger und Verunsicherung

    Die Hoffnung auf einen reibungslosen Neustart des Videobeweises ist nach nur einem Spieltag gleich wieder verpufft. Spieler und Trainer schimpfen und spotten über den Assistenten im Kölner Video-Keller, die Schiedsrichter auf dem Rasen agieren völlig verunsichert, Zuschauer im Stadion bleiben weitgehend ratlos. Ganz Fußball-Deutschland rätselt: Warum klappt in der Bundesliga nicht, was mit Unparteiischen aus aller Welt bei der WM bestens funktionierte?

    Der Ärger begann ja bereits im Auftaktspiel am Freitag, als Bayerns Franck Ribéry über Hoffenheims Verteidiger Havard Nordtveit abhob wie Fabian Hambüchen vor einem Sprungpferd und dafür mit einem Elfmeter belohnt wurde. „Ein Witz“, sagte Düsseldorfs Trainer Friedhelm Funkel dazu am Sonnabend im ZDF-„Sportstudio“ und selbst Bayerncoach Niko Kovac gab zu: „Ich hätte ihn nicht gegeben.“ Nur die Schiedsrichterkommission des DFB befand: „Der Videoassistent hat in dieser Situation zu Recht nicht eingegriffen, denn er soll nur eingreifen, wenn die Entscheidung klar und offensichtlich falsch ist“, teilte der DFB am Sonnabend mit. Und machte damit im Grunde alles nur noch schlimmer.

    Schiedsrichter ohne Hilfe

    Selbst Videobeweis-Befürworter und -Nutznießer Karl-Heinz Rummenigge appellierte direkt nach dem Saisonauftakt an den Deutschen Fußball-Bund, eine „Taskforce“ zu gründen, „die sich darum kümmert, dass hier nun endlich professionell gearbeitet wird“. Die Schiedsrichter würden „hier im Stich gelassen“.

    Wie sehr die Dauerdebatte um den Videobeweis die Arbeit der Referees inzwischen durcheinanderbringt, zeigte das Spiel des VfL Wolfsburg gegen Schalke 04 (2:1) mit dem Hamburger Schiedsrichter Patrick Ittrich. „Ich habe selten so ein emotionales Spiel erlebt“, gestand Ittrich, der während des Spiels zweimal durch den Assistenten korrigiert wurde. „Es war eines der schwersten Spiele meiner Laufbahn.“

    Ittrich zeigte Schalkes Matjia Nastasic nach einem Foul zunächst die Gelbe Karte, ehe er den Serben nach dem Studium der Videobilder mit Rot vom Platz stellte (66.). Bei Wolfsburgs Wout Weghorst lief es kurz darauf umgekehrt. Nachdem Ittrich seine Entscheidung überprüft hatte, bekam der Stürmer nur Gelb statt Rot für die vermeintliche Tätlichkeit (69.). In beiden Fällen war das Einschreiten aus Köln also berechtigt. Trotzdem herrschte danach Unruhe auf dem Platz: „Ich verstehe die Emotionen deshalb nicht“, sagte Ittrich.

    Streit um mögliche Beleidigungen

    Schalkes Trainer Domenico Tedes­co geriet schließlich derart heftig mit dem vierten Offiziellen aneinander, dass Ittrich hineilen musste. „Ich habe dem vierten Offiziellen eine Frage gestellt, eine ganz normale Frage und dann wurde ich durchbeleidigt. Das heißt, dass das Gespräch aus meiner Sicht nicht sehr respektvoll war“, sagte der nach der späten Niederlage angefasste Schalke-Coach. Für Ittrich unverständlich: „Ich habe ihn nicht beleidigt“, wiederholte der Hamburger am Sonntag gegenüber dem Abendblatt.

    „Wir haben es bei der Weltmeisterschaft gesehen: Da hatten wir einen leitenden Schiedsrichter aus Simbabwe, einen Vierten Offiziellen aus Saudi-Arabien, und im Videoraum saß einer aus Uruguay“, sagte Hoffenheims Manager Alexander Rosen. „Es gab keine Testphase – und der Videobeweis wurde zu etwas gemacht, was er sein soll, nämlich eine wunderbare, sinnvolle und gerechte Einrichtung. Und dann kommen wir Deutschen und haben das, was wir Freitag erlebt haben.“

    "Holpriger“ Saisonstart

    Mit dieser Ansicht war Rosen nicht alleine. Nürnbergs Trainer Michael Köllner schimpfte nach der 0:1-Niederlage bei Hertha BSC über „Humbug“, Leverkusens Sportchef Rudi Völler sah schon vor dem 0:2 der Bayer-Elf in Mönchengladbach „unglückliche Aktionen“ und einen „holprigen“ Saisonstart. Auch bei Fortuna Düsseldorfs 1:2 gegen den FC Augsburg sorgte der Videobeweis für Aufregung.

    In der Diskussion um den umstrittenen Videobeweis hat der ARD-Experte und langjährige Erstliga-Referee Jürgen Jansen auch das Leistungsniveau der deutschen Schiedsrichter kritisiert. Natürlich müsse man „auch die Qualitätsfrage stellen“, sagte der 57-Jährige am Sonntag in einem Interview des Radiosenders WDR2. „In den letzten Jahren sind sieben, acht sehr erfahrene Schiedsrichter ausgeschieden. Das ist Fakt. Dafür sind viele junge Schiedsrichter nachgekommen, die schon eine sehr hohe Qualität haben, aber sicher noch nicht die Kompetenz von 150 bis 200 Bundesliga-Spielen mitbringen. Deshalb fehlt sicherlich manchmal auch die Qualität der Entscheidungsfindung auf dem Platz.“