Berlin. Anderas Hofmann fehlt es nicht an Weite, aber an großen Erfolgen. Die Konkurrenz in Berlin kommt vor allem aus dem eigenen Land.

Andreas Hofmann hat die Frage schon erwartet. Wie das so sei, einer der drei besten Speerwerfer der Welt zu sein, aber als einziger noch ohne großen Titel dazustehen. Drei Werfer haben ihr Sportgerät in diesem Jahr schon über 90 Meter weit geschleudert. Die anderen beiden sind Olympiasieger Thomas Röhler und Weltmeister Johannes Vetter. Und Hofmann? Ist Ende Juli in Nürnberg Deutscher Meister geworden, zum ersten Mal. Naja.

EM soll für Andreas die große Bühne werden

Kein Neid? „Nein“, sagt der 26-Jährige aus Mannheim entschieden, „ich sehe das als fairer Sportler. Wer seine Leistung im entscheidenden Moment bringt, hat den Erfolg auch verdient. Ich fühle mich nicht unter Zugzwang. Es ist für mich völlig okay, dass sie mir einen internationalen Titel voraus sind.“

Es gibt ja gerade die EM in Berlin, und die soll sein großer Auftritt werden. Das erwarten jedenfalls viele Experten, die in Hofmann den heimlichen Favoriten sehen. „Das können sie tun, es gefällt mir“, sagt er lächelnd. Die Qualifikation für das Finale am Donnerstag (20.20 Uhr/ZDF) schaffte er im ersten Versuch mit 82,36 Metern, ohne sich anzustrengen. Der Tagesbeste Vetter (87,39) hatte noch weniger Probleme. Röhler wackelte, bis ihm im dritten Durchgang 85,47 Meter gelangen. Artig bedankte sich Hofmann beim Publikum und blickte schon voraus auf den nächsten Tag: „Mal schauen, was noch geht.“

Speerwerfer mit langer Liste von Verletzungen

Bisher ging es bei dem gebürtigen Heidelberger selten wie gewünscht in besagten entscheidenden Momenten. WM-Sechster wurde er 2015 in Peking, bei der WM in London 2017 belegte er den achten Rang. Die Olympischen Spiele in Rio verpasste Hofmann, weil er zu Saisonbeginn verletzt war. Die Liste seiner Blessuren ist weit länger als die seiner Erfolge: Haarriss im Fuß, Muskelfaserrisse im Wurfarm, zwei Leistenoperationen. 2012 hat er sich sogar eine Sehne aus dem Oberschenkel in den Ellbogen einsetzen lassen.

In dieser Saison blieb er gesund. Und erlebt prompt die stabilste Saison seiner Karriere. Auf 92,06 Meter warf er den Speer im Juni in Offenburg, in Rehlingen im Mai waren es 91,44 Meter. Bei den nationalen Titelkämpfen in Nürnberg gewann er mit 89,55 Metern.

Erkenntnisse in Fernost

Die Ursache für diese neue Konstanz, davon ist Hofmann überzeugt, liegt fast ein Jahr zurück. Nach der für ihn enttäuschenden WM in London startete er bei der Universiade in Taipeh, der Hauptstadt Taiwans. Ohne große Erwartungen, aber mit umso mehr Spaß in einer großen Gruppe von Studenten. „Ich habe das auf mich einwirken lassen“, sagt er. Sein Trainer Lutz Klemm trat die Fernreise gar nicht mit an, stattdessen war der Berliner Winfried Heinicke an seiner Seite. „Eine coole Socke“, erzählt Hofmann, „der war total locker. Vor meinem letzten Versuch hat er mir gesagt: Wirf wie sonst, setz den Speer nur drei Grad tiefer, und du wirst sehen, du wirfst zum ersten Mal über 90 Meter!“ Er hielt sich dran, das Gerät landete bei 91,02 Metern. Das Verblüffende für den sonst so strukturierten Athleten war jedoch nicht die Weite, sondern in welch entspannter Atmosphäre sie gelang.

„Dieses lockere große Ganze habe ich mit in diese Saison genommen“, berichtet er, „ich habe darüber viel nachgedacht und mich gefragt: Was tut mir gut? Was lasse ich zu? Und entferne ich mich von etwas, weil es die letzten Jahre nicht so gut war?“

Speerwerfer Hofmann: Kleine Abweichungen erwünscht

Der Ferne Osten war also ein Erkenntnisgewinn. Ohne jetzt gleich alles zu verändern. Natürlich sei man in einem „Wettkampftunnel. Du willst gewinnen, Bestleistung erzielen. Aber mittlerweile finde ich, es ist Quatsch, nur in diesem Tunnel zu sein und gar nichts an sich heranzulassen.“ Vielmehr ist der 26-Jährige überzeugt: „Manchmal ist eine kleine Abweichung besser als die grade Linie.“