Hamburg. Viele Tennistalente träumen von einer Karriere als Profi. Herbert Horst erklärt, warum Becker, Stich, Graf und Kerber Ausnahmen sind.

Herbert Horst (61) hat als Landestrainer Schleswig-Holsteins über die Jahrzehnte einige von Deutschlands größten Tennistalenten im Norden entdeckt und gefördert: Michael Stich, Angelique Kerber, Julia Görges, Mona Barthel und Tobias Kamke sind durch seine Schule gegangen. Seit der Hamburger Verband mit Schleswig-Holstein kooperiert, hat sich Horsts Blick auf den Nachwuchs noch einmal geweitet. Ein Gespräch über das Spitzensportler-Gen, die Karrierebremse Schule und den Stellenwert von Vorbildern.

Herr Horst, Sie haben so viele Talente ausgebildet. Hatten Sie niemals Lust, beispielsweise eine Angelique Kerber durch ihre Profikarriere zu begleiten?

Herbert Horst: Tatsächlich bin ich das ein oder andere Mal gefragt worden. Aber als Reisecoach muss man sich entscheiden, entweder für die Familie oder den Spieler, die Spielerin. Ich wollte nie lange von zu Hause weg sein. Deshalb habe ich mich stets dagegen entschieden. Ich wollte meine Kinder nicht aus der Ferne aufwachsen sehen.

Auf dem Weg zum Profi bleiben viele Talente stecken. Gibt es ein verbindendes Element, das diejenigen haben, die es ganz nach oben schaffen?

Herbert Horst: Eines davon ist Langfristigkeit. Sportlerkarrieren, besonders in Deutschland, sind auf Sicherheit und Nachhaltigkeit angelegt. Dafür braucht man einen langen Atem.

Was heißt das?

Herbert Horst: Nirgendwo sonst in der Welt wird so viel Wert auf einen guten Schulabschluss möglichst bis zum Abitur gelegt. Schule hat in Deutschland oberste Priorität. „Lerne erst mal was Ordent­liches“, heißt es. In den USA bekommen die Kinder die Aufforderung „Go for it“, probiere es, mit auf den Weg. Das macht es schwierig, die Trainingsumfänge zu schaffen, die man braucht, um weiterzukommen.

Es gibt doch Olympiastützpunkte und Eliteschulen wie die Schule Alter Teichweg in Hamburg-Dulsberg.

Herbert Horst: Diese In­stitutionen ermöglichen ein mehrphasiges Training am Tag sowie Turnierteilnahmen während der Schulzeit. Die Jugend­lichen erhalten die notwendigen Trainingsumfänge, auch als Teil des Unterrichts, und können dennoch ihren Schulabschluss meistern. Aber diejenigen, die eine „normale“ Schule besuchen, müssen das alles aufholen. Das bedarf während der Schulzeit und auch nach dem Abschluss besonderer Anstrengungen und Disziplin. Ist aber auch zu schaffen.

Und danach?

Herbert Horst: Wer weiterkommen will, muss nach der Schule eine bewusste und mutige Entscheidung für Tennis treffen – sozusagen „all in“ gehen. Das entscheidende Kriterium oder Leistungsmerkmal von diesem Zeitpunkt an und nach erworbenen Tennisfertigkeiten ist die Leidenschaft – der absolute Wille, alles für diese Sportart zu tun. Ich würde immer die Aussage ,Hunger vor Fertigkeiten‘ unterstützen. Angeborenes Talent bestimmt nicht allein den Erfolg. Man braucht harte Arbeit und Zeit, und man braucht jede Menge Geld dazu.

Es gibt also nicht den einen Weg zum Erfolg, aber ein Spitzensportler-Gen?

Herbert Horst: Wenn Sie es so nennen wollen. Alexander Zverev, aber auch Angelique Kerber, Julia Görges, um nur einige Beispiele zu nennen, wussten früh, dass sie nur eines im Leben wollen: möglichst perfekt Tennis zu spielen.

Gibt es einen Zeitpunkt, an dem man als Trainer erkennt, der oder die kann es schaffen?

Herbert Horst: Ich habe viele junge Menschen erlebt, die konnten das Tennis-Abc, hatten früh die kognitiven, die technischen, die taktischen Fähigkeiten für das Spiel. Doch nach der Pubertät und bis zum Ende der Schulzeit kann so viel geschehen, dass am Ende nur die wenigsten durchhalten. Und das sind die, die es unbedingt wollen.

Oder die Eltern?

Herbert Horst: Die Eltern sind natürlich wichtig für diesen Weg. Sie können eine Triebfeder sein. Das sieht man aktuell bei Alexander Zverev, der in einem offenbar gut funktionierenden familiären Umfeld arbeitet. Und die Williams-Schwestern aus den USA wären ohne ihren engagierten Vater und die Mutter sicherlich nicht so lange in der Weltspitze. Aber noch einmal: Die Kinder müssen wollen, nicht die Eltern.

Zverev hat nach der Trennung von seinem Trainer Ferrero gesagt, der Spanier habe ihn zu einem anderen Typ Spieler formen wollen. Er sei aber nicht nur Deutscher, sondern auch Russe, brauche die Emotionalität. Ist so etwas entscheidend?

Herbert Horst: Natürlich gibt es kulturelle Unterschiede. Das Umfeld, wie man erzogen wurde, die Gewohnheiten, die man gelernt hat, die Sprache, all das gehört dazu. Ich glaube aber nicht, dass das Woher über Erfolg oder Misserfolg entscheidet. Am Ende ist es eine Typ- und Talentfrage. Ob der Trainer passt oder nicht, das muss man ausprobieren.

Alexander Zverev ist erst 20 Jahre alt und schon Weltranglistenfünfter. Was macht er richtiger als andere?

Herbert Horst: Wenn Sie sich den Altersdurchschnitt bei den Frauen und Männern ansehen, ist es eigentlich normal, dass man sein bestes Tennis erst mit Mitte bis Ende 20 spielt. Aber grundsätzlich ist Alexander Zverev eine Ausnahme im Welttennis, weil er unglaublich viel Talent hat – so wie auch Federer, Nadal oder die Williams-Schwestern Ausnahmen sind. Sie alle haben inzwischen sogar schon eine Drei im Pass stehen.

Zverev ist in Krisensituationen ein Schlägerzerstörer. Taugt so einer zum Vorbild?

Herbert Horst: Natürlich ist es nicht richtig, Schläger kaputt zu hauen. Aber Kinder brauchen sportliche Vorbilder, an denen sie sich orientieren können. Ein Zverev zeigt, wohin man kommen kann, wenn man will und dafür intensiv arbeitet.

Eines ihrer aktuellen Talente, die 14 Jahre alte Noma Akugue, die gerade Hamburger Meisterin in ihrer Altersklasse geworden ist, beantwortet die Frage nach einem Vorbild mit: „Nein, ich habe keines.“ Solche Antworten hört man beim Nachwuchs auch in anderen Sportarten öfter. Ist das eine Generationenfrage?

Herbert Horst: Mag sein, dass ein Vorbild zu haben früher wichtiger war. Heute sucht man sich punktuell aus, was man brauchen kann. Die Rückhand Federers, die Power von Serena Williams, das Selbstbewusstsein eines Zverevs. Das passt zur Entwicklung in unserer Gesellschaft, sich das Beste heraussuchen zu können, weil wegen der Globalisierung und durch die Vernetzung der Menschen so viel mehr Wissen möglich ist.

Gleichzeitig steigt die Möglichkeit zur Ablenkung. Ist es heute schwieriger für Kinder, sich für das Eine zu entscheiden?

Herbert Horst: Ich glaube nicht, dass es heute noch einen 17-Jährigen geben wird, der wie Boris Becker Wimbledon gewinnen kann. Die Möglichkeiten, sich anderweitig zu beschäftigen als mit Spitzensport, sind so vielfältig, dass man es schon sehr wollen muss, um durchzukommen.