Hamburg/Berlin. Ex-Weltmeister erhebt nach Kündigung schwere Vorwürfe und will in Eigenregie weiterboxen. Geschäftsleitung erläutert neues Konzept.

Dem Halbmittelgewichtsboxer Jack Culcay ist nicht nachzusagen, dass er in seiner seit acht Jahren währenden Profikarriere durch große Reden auf sich aufmerksam gemacht hätte. Umso erstaunlicher sind die Worte, die der 32-Jährige wählt, um seine Weigerung zu erklären, mit dem Sauerland-Team über eine Neugestaltung seines zum Jahresende gekündigten Vertrags zu verhandeln.

„Sauerland hat Versprechen nicht eingehalten. Die vertraglich vereinbarte Anzahl an Kämpfen habe ich nicht bekommen, man hat mich monatelang hingehalten und sich nicht um mich gekümmert. Für mich ist deshalb klar, dass es keine gemeinsame Zukunft mehr geben kann“, sagt der gebürtige Ecuadorianer.

Man mag das als Wirkungstreffer empfinden für Deutschlands führendes Profiboxunternehmen mit Sitz in Hamburg und Berlin, das zuletzt auch die von ähnlichem Getöse begleiteten Abgänge der Berliner Halbschwergewichtler Enrico Kölling (27) und Stefan Härtel (30) hatte hinnehmen müssen.

Sortler kritisieren Abwesenheit der Inhaber

Beide schlossen sich dem nationalen Konkurrenten SES aus Magdeburg an – und teilten öffentlich die Kritik, die Athleten und Mitarbeiter intern seit Monaten äußern: Dass die Geschäftsleitung sich zu wenig um das Tagesgeschäft kümmere und ein Zukunftskonzept nicht erkennbar sei.

Frederick Ness kennt diese Vorwürfe, ganz von der Hand weisen will er sie nicht. Der Hamburger Geschäftsführer weiß, dass einigen Sportlern die Abwesenheit der drei Inhaber sauer aufstößt. Während sich Stallgründer Wilfried Sauerland (77) meist an seinem ersten Wohnsitz in Südafrika befindet, spielt sein Sohn Kalle als Mitinitiator der „Muhammad Ali Trophy“ seit Monaten mehr in der Champions League als auf nationalem Terrain. Kalles Bruder Nisse, der aus London die englischen und skandinavischen Sauerland-Ableger leitet, soll deshalb verstärkt in Deutschland präsent sein.

„Wir haben das Problem erkannt“, sagt Ness. Dennoch weist der 49-Jährige Vorwürfe, man habe sich zu wenig um die Sportler gekümmert, zurück. „Jack und Arthur Abraham sind die Ausnahmen, weil die Gespräche mit ihnen stets von einem Mitglied der Sauerland-Familie geführt wurden. Für alle anderen war und bin ich der Ansprechpartner.“

Profiboxen steckt n Deutschland in der Krise

Tatsächlich steht der Fall Culcay exemplarisch für die Problematik, in der das Profiboxen in Deutschland aktuell steckt. Der Amateurweltmeister von 2009 war in einer Zeit Profi geworden, in der die Branche noch florierte. Der Hamburger Universum-Stall, bei dem Culcay 2009 startete, hatte als Exklusivpartner das ZDF, das 20 Millionen Euro jährlich für die Übertragungsrechte zahlte, und zusätzlich einen Deal mit ProSieben, das Talente wie Culcay im Hauptprogramm aufbaute.

Sauerland, der Ende 2014 die ARD als TV-Partner verlor, arbeitet heute für einen Bruchteil früherer Summen mit Sport 1 zusammen, das an diesem Sonnabend von 20 Uhr an aus Ludwigsburg sendet, wo im Hauptkampf Supermittelgewichtshoffnung Vincent Feigenbutz gegen Ryno Liebenberg (Südafrika) antritt.

Börsen, die Culcay in seiner Anfangszeit selbst für Vier-Runden-Aufbaukämpfe verdiente, kann aktuell kein deutscher Promoter mehr zahlen. Dazu kommt, dass die Gewichtsklasse, in der der Wahl-Berliner antritt, in Deutschland zu wenige Menschen interessiert. Die Einschaltquoten bei seinen Kämpfen entsprachen nicht im Ansatz seiner sportlichen Klasse.

Trennung ist nachvollziehbar

Dasselbe galt für die Ticketverkäufe, was auch daran liegt, dass der zurückhaltende Topathlet zu konturlos daherkommt, um ihn als polarisierenden Typen vermarkten zu können. Aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist die Trennung deshalb nachvollziehbar. „Wir haben Jack über Umwege immerhin zum WM-Titel gebracht. Mehr war nicht möglich“, sagt Frederick Ness.

In den kommenden drei Jahren wolle man gemeinsam mit Sport 1 daran arbeiten, neue Gesichter aufzubauen. Exweltmeister Arthur Abraham (37/Supermittel) darf seine Karriere in Ehren beenden. Die anderen unter Vertrag stehenden Kämpfer – Tyron Zeuge (25), Denis Radovan (25), Leon Bunn (25), Leon Bauer (19), Vincent Feigenbutz (22/alle Supermittel), Patrick Wojcicki (26), Araik Marutjan (25/beide Mittel), Artur Mann (27/Cruiser) und Albon Pervizaj (22/Schwer) – sind allesamt einer neuen Garde zuzurechnen: leistungswillig, gut vermarktbar und bereit, auch für kleines Geld in den Ring zu steigen.

Neue Stars, veränderter Trainerbereich

„Die deutschen Boxer müssen sich der Realität stellen. Wir brauchen Jungs, die in ihren Gewichtsklassen gute Perspektiven haben, die in ihrer Heimat lokale Stars und bereit sind, aktiv an ihrer Vermarktbarkeit mitzuarbeiten“, sagt Kalle Sauerland, der zeitnah weitere Verpflichtungen ankündigte, um die in Sport 1 geplanten zwölf nationalen Kampfabende pro Jahr bestücken zu können. Kandidaten sind die Weltergewichtler Deniz Ilbay (23), der bereits 20 Profikämpfe bestritt, und Abass Baraou (23), Bronzegewinner der Amateur-WM 2017.

Zudem soll der Trainerbereich neu aufgestellt werden. Ende Juni, wenn die Zusammenarbeit mit Kult-Cheftrainer Ulli Wegner (75) ausläuft, wird Georg Bramowski (58) der einzige angestellte Coach sein. Die Boxer sollen dann, wie in England oder den USA, dezentral an ihren Heimatorten mit von ihnen mitfinanzierten Trainern arbeiten. „Für dieses Modell habe ich große Sympathie“, sagt Sauerland. Mit Culcay hätte er gern weitergearbeitet, zu deutlich geringeren Konditionen allerdings, „weil er auch sportlich keine WM-Perspektive mehr hat“.

Culcay will in Eigenregie weiterboxen

Der Boxer selbst bezeichnet das nach der Kündigung eingegangene neue Angebot als „lächerlich“. Er vermutet, dass Sauerland ihn nach der umstrittenen WM-Niederlage gegen Demetrius Andrade (USA) im März 2017 sieben Monate später mit der Absicht in die USA geschickt habe, ihm nach der Pleite gegen den Polen Maciej Sulecki kündigen zu können – bei zwei Niederlagen innerhalb eines Jahres ist das vertragsgemäß.

„Die wollten, dass ich verliere, um mich loszuwerden“, sagt er. Deshalb werde er mithilfe eines Berliner Privatinvestors in Eigenregie weiterboxen, mit seinem Bruder Michael als Trainer und im Mittelgewicht. „Ich werde beweisen, dass es falsch ist, nicht auf mich zu setzen.“