Hamburg. Die Ex-Boxweltmeisterin Regina Halmich über sexuelle Übergriffe, Gleichberechtigung und ihre Kinderlosigkeit.

Harte Action im Boxring – dafür stand Regina Halmich, seit sie im März 1994 ihren ersten Profikampf bestritt. Doch erst seit dem Showkampf mit TV-Moderator Stefan Raab im Jahr 2001 interessierte sich eine breite Öffentlichkeit für die Fliegengewichtsweltmeisterin aus Karlsruhe. 7,35 Millionen Menschen sahen damals live zu, wie sie den großmäuligen Entertainer verdrosch. 7,74 Millionen waren es gar, die sechs Jahre später den Rückkampf schauen wollten. Und die Quoten bei Halmichs „echten“ Kämpfen lagen zwischen dem doppelten „Schlag den Raab“ in ähnlichen Bereichen. Kurz: Halmich war mit nur einer Niederlage in 56 Kämpfen nicht nur Herrin der Ringe, sondern auch Deutschlands „Quoten-Queen“, als sie am 30. November 2007 in ihrer Heimatstadt ihre Karriere beendete.

Zehn Jahre sind seitdem vergangen, das Kämpfen aber hat Regina Halmich nie aufgegeben. Die 41-Jährige, die hauptberuflich als Moderatorin, Boxexpertin und -trainerin arbeitet, setzt sich als Botschafterin oder Schirmherrin verschiedener Organisationen für Tier- und Umweltschutz ebenso ein wie für die Wahrung von Kinderrechten. Und sie kämpft gegen Gewalt gegen Frauen und für die Stärkung des weiblichen Geschlechts in der Gesellschaft. Darüber sprach sie mit dem Abendblatt.

Hamburger Abendblatt: Frau Halmich, zehn Jahre nach Ihrem Rücktritt liegt das Frauenboxen in Deutschland am Boden. Ihnen als Pionierin dieses Sports muss das Herz bluten.

Regina Halmich: Ich bin sehr traurig darüber. Vor allem, weil das Frauenboxen international boomt. Leider hat sich die Entwicklung in Deutschland total umgekehrt, und ich muss zugeben, dass ich von der Qualität, die hier geboten wird, teilweise geschockt bin. Das kann ich mir kaum noch anschauen, und das ist nicht die Schuld der Boxerinnen. Es liegt einfach daran, dass keiner mehr Geld investieren möchte, wie es zu meinen Zeiten mein Promoter Klaus-Peter Kohl und das ZDF getan haben. Da war es kein Problem, wenn meine Gegnerin mal 40.000 Euro gekostet hat. Das verdient heute ja selbst eine Weltmeisterin nicht mal mehr ansatzweise.

Als Sie anfingen mit Profiboxen, wollte auch niemand etwas davon wissen. Auch Sie haben anfangs nichts verdient. Warum haben Sie den Schritt in eine solche Männerdomäne dennoch gewagt?

Halmich: Weil etwas in mir war, das mich getrieben hat. Ich hatte große Lust darauf, mich im Ring zu messen, und ich habe mich von meinen Träumen, einmal die beste Boxerin der Welt zu sein, leiten lassen. Natürlich habe ich anfangs draufgezahlt und musste mich immer wieder rechtfertigen, aber kurz vor dem Aufgeben ist immer wieder eine neue Tür aufgegangen. Ich hatte das Glück, dass der Hamburger Universum-Stall mir die Chance gegeben hat. Diese Türen öffnen sich heute nicht mehr, deshalb überlegen junge Frauen sehr genau, ob sie auf das Profiboxen setzen sollen.

Um sich unter all den Alphamännern zu behaupten, die in Boxgyms trainieren, muss man da als Frau nicht ein ganz spezieller Typ sein?

Halmich: Mir hat es wenig Probleme bereitet, mit Männern zu trainieren, denn ich kannte es nie anders. Im Bulldog-Gym in Karlsruhe, wo ich angefangen habe, waren 80 Prozent Jungs. Da hat man schnell gelernt zurückzuschlagen, körperlich und auch verbal. Ich hatte da nie eine Hemmschwelle, und diese Erfahrungen haben mir die Angst genommen. Ich kann aber verstehen, dass viele junge Mädchen mit körperlicher Auseinandersetzung heute viel vorsichtiger umgehen.

Zumal es ja bei Verbalattacken nicht immer bleibt. Sie haben früher öfters geschildert, dass die Jungs Ihnen in die Dusche folgten und Sie auch mal unsittlich anfassten.

Halmich: Das stimmt, aber ich habe das nie überbewertet und mit Humor genommen. Es ist zum Glück auch nie etwas Schlimmes vorgefallen. Der Ton unter Männern, zumal in einer so testosterongesteuerten Gemeinschaft, die ein Boxgym nun einmal ist, ist rauer, aber auch ehrlicher. Ich komme damit besser klar als mit der Art vieler Frauen, vordergründig freundlich und nett zu sein, hintenrum dann aber zu lästern. Wenn einer mal einen anzüglichen Spruch gemacht hat, hat er einen zurückbekommen. Und wenn ich einen Klapps auf den Hintern bekam, gab es eben einen zurück. Irgendwann war das nicht mehr spannend, und dann haben sie es auch gelassen.

Wie bewerten Sie die Vorfälle von damals unter dem Eindruck der aktuellen „#Me too“-Debatte zum Thema sexuelle Gewalt gegen Frauen?

Halmich: Ich bin da zwiegespalten. Ich bin mir sicher, dass jede Frau in Deutschland schon einmal von Anzüglichkeiten betroffen war. Ich konnte immer Contra geben, aber ich verstehe, dass viele Frauen das nicht so können. Deshalb ist das Verhalten von Männern, die Frauen gegen ihren Willen anfassen oder verbal belästigen, grundsätzlich nicht in Ordnung. Dennoch sollte sich jetzt nicht jede Frau, die mal einen Klapps auf den Hintern bekommen hat, öffentlich zu Wort melden.

Was meinen Sie damit?

Halmich: Verstehen Sie mich nicht falsch, das Thema ist sehr ernst zu nehmen. Aber es sollten nur die sich melden, die sich nicht anders zu wehren wissen, oder die schweres Unrecht erfahren haben. Ansonsten, das ist meine Befürchtung, driftet diese „#Me too“-Debatte ab und führt dazu, dass die sehr wichtige Diskussion Menschen eher abstumpft, weil sie das Gefühl bekommen, dass sich viele nur zu Wort melden, um mal wieder in den Medien vorzukommen. Wir müssen aufpassen, dass nicht jedes Wort oder auch eine Berührung, die als Kompliment gemeint sind, als sexistisch abgestempelt werden. Denn mein Eindruck ist, dass das die Männer gerade sehr verunsichert. Irgendwann sagen die gar nichts mehr.

Das Schweigen der großen Mehrheit der Männer zu dieser Debatte wurde teils sehr harsch kritisiert. Wie denken Sie darüber?

Halmich: Ich kann die Männer ein Stück weit verstehen, denn die allermeisten sind ja keine sexistischen Monster. Was also sollen sie sagen außer, dass sie Übergriffe ablehnen, was für sie eine Selbstverständlichkeit ist? Und man darf auch nicht vergessen, dass sich viele Frauen durchaus bewusst sind, wie sie aus ihrer äußerlichen Schönheit Vorteile ziehen können. Deshalb empfehle ich einen wachsamen, gleichzeitig aber etwas unaufgeregteren Umgang mit dem Thema.

Haben Sie das Gefühl, dass Ihnen Ihr Status als ehemalige Profiboxerin geholfen hat oder noch hilft, kein Opfer sexueller Gewalt zu werden?

Halmich: Ich spüre schon, dass viele Männer mir enormen Respekt entgegenbringen, obwohl ich körperlich nun wahrlich nicht furchteinflößend wirke. Manchmal sehe ich es in den Männerköpfen richtiggehend rattern. Dann fragen die sich, wenn sie mich kleine Person sehen, ob ich sie wirklich k.o. schlagen könnte. Ich denke schon, dass mir das manchmal geholfen hat. Und ich bin das beste Beispiel dafür, dass man vielen Menschen ihre wahre Stärke nicht ansieht.

Mussten Sie denn Ihre Boxkenntnisse schon einmal außerhalb eines Rings einsetzen?

Halmich: Gott sei Dank noch nie. Ich bin oft mit meinem Hund im dunklen Park unterwegs, und da trifft man durchaus mal zwielichtige Gestalten. Aber ich habe eine große Klappe und strahle aus, dass ich keine Angst habe. Dennoch bin ich sehr froh, dass es bislang noch nie zu einer körperlichen Auseinandersetzung gekommen ist.

Würden Sie Frauen dazu raten, Selbstverteidigung oder einen Kampfsport zu erlernen?

Halmich: Definitiv. Und zwar nicht nur mal einen Kurs mitmachen, sondern dauerhaft, denn in Gefahrensituationen muss man automatisch reagieren, und das geht nur, wenn man regelmäßig trainiert.

Dann teilen Sie die Befürchtung von Kritikern, dass Kampfsport eher Aggressionen schürt, wohl nicht.

Halmich: Nein, ich bin vom Gegenteil überzeugt. Natürlich gibt es Ausnahmen, die das, was sie lernen, falsch anwenden. Aber zu mindestens 95 Prozent ist das nicht so. Männer und Frauen werden durch Kampfsport ruhiger und selbstbewusster.

Macht es Ihnen Angst, dass die Bewaffnung in der Gesellschaft fortschreitet? Von Verhältnissen wie in den USA, wo 300 Millionen Schusswaffen in Umlauf sind, sind wir zwar noch entfernt, dennoch rüsten sich immer mehr Frauen mit Pfefferspray oder Elektroschockern aus. Ist das sinnvoll?

Halmich: Ich kann den Gedanken dahinter nachvollziehen, aber meines Erachtens ist das nicht der richtige Weg, weil diese Waffen eine Sicherheit vorgaukeln, die sie nur dann geben, wenn man sie vorschriftsmäßig verwendet, was in einer emotionalen Ausnahmesituation aber fast niemand beherrscht. Außerdem tragen sie oft zur Eskalation der Gewalt bei. Und das macht mir am meisten Angst: Die gewachsene Brutalität, und dass die Hemmschwelle deutlich geringer geworden ist.

Es gibt viele Menschen, die unter dem Eindruck der Flüchtlingsströme befürchten, das ein archaisches Frauenbild auch in unserer Gesellschaft wieder mehr Zuspruch erhalten könnte. Teilen Sie diese Sorgen?

Halmich: Nein, die Frauen in Deutschland werden sich ihre Rolle in der Gesellschaft nicht mehr nehmen lassen. Auch wenn wir noch nicht gleichberechtigt sind, ist unsere Position stabil. Es hat sich doch sehr viel getan in den vergangenen Jahren. Aber es ist selbstverständlich auch noch viel zu tun.

Was ist für Sie das drängendste Problem, wenn es um Gleichberechtigung von Mann und Frau geht?

Halmich: Die Bezahlung von gleicher Arbeit klafft zwischen den Geschlechtern oft noch weit auseinander. Da gibt es eine Menge zu optimieren. Und es müssen mehr Frauen in Führungspositionen. Ich war eigentlich immer gegen eine Frauenquote, weil ich der Meinung bin, dass man aufgrund seiner Qualifikation eingestellt werden sollte und nicht wegen seines Geschlechts. Aber da das nicht zu funktionieren scheint, wäre eine Quote als Starthilfe wahrscheinlich gar nicht so verkehrt.

Sie haben 2001 gegen Stefan Raab gekämpft. Das ewige Duell Frau gegen Mann fasziniert die Menschen. Sehen Sie Raab und sich als Wegbereiter der Gleichberechtigung, weil Sie einen viel größeren und schwereren Mann besiegt und damit gezeigt haben, dass Frauen überall mithalten können?

Halmich: In einer solchen Kategorie habe ich nicht gedacht, und Stefan auch nicht. Er war ein Meister der Inszenierung, und mit diesem Kampf haben wir einen Nerv getroffen. Er war mein Durchbruch in der breiten Öffentlichkeit, aber er hätte mir nichts genutzt, wenn ich danach nicht weiterhin große Kämpfe gemacht hätte, die die Menschen faszinierten. Deshalb bin ich auf die Phase danach deutlich stolzer als auf den Showkampf selbst. Und Stefan hat nur an die Show gedacht, nicht daran, die Rolle der Frauen zu stärken. Wenn er gekonnt hätte, dann hätte er mich k.o. geschlagen.

Es war also nichts gespielt?

Halmich: Überhaupt nicht, wir haben es beide ernst genommen. Es mag für die, die im Boxen nur eine große Show sehen, komisch klingen, aber ich liebe diesen Sport vor allem für seine Ehrlichkeit. Die Faszination ist für mich, in einem fairen Zweikampf auf Augenhöhe zu ermitteln, wer der Bessere ist. Diesen Respekt vor dem Gegner vermittelt nichts besser als das Boxen, denn dort geht es nicht um Geschlecht, Herkunft oder Bildung, sondern darum, die Rolle des Gegners zu respektieren und sich mit ehrlichen Mitteln gegen ihn zu behaupten. Deshalb leistet das Boxen auch in der Integration von sozial schwächeren Menschen eine so wichtige Arbeit, ohne die die Gesellschaft noch verrohter wäre.

Die Sorge um den sozialen Frieden scheint Sie sehr umzutreiben.

Halmich: Meine größte Sorge ist die Zerstörung unserer Umwelt. Wir müssen den Ausstieg aus der Kohleenergie schaffen, den Plastikmüll deutlich reduzieren und die Massentierhaltung stoppen. Wenn uns das innerhalb der nächsten zehn Jahre nicht gelingt, dann sehe ich schwarz für die Erde. Ich mache mir aber auch Sorgen darüber, dass sich die Gesellschaft dahin entwickelt, Dinge unnötig zu verkomplizieren. Was heutzutage von Frauen und Männern verlangt wird, ist schon enorm. Frauen sollen nach der Geburt eines Kindes möglichst schnell wieder in körperlicher Topform sein und in den Beruf zurückkehren. Männer sollen heute nicht nur der Familienernährer sein, sondern sich auch um Haushalt und Kinder kümmern. Dieses Überperfekte, das sehr verbreitet ist, ängstigt mich manchmal.

Haben Sie sich deshalb gegen eigene Kinder entschieden?

Halmich: Das hat mit Sicherheit eine Rolle gespielt, ja. Ich habe für mich erkannt, dass ich Familie und Karriere nicht so unter einen Hut bekommen hätte, dass ich damit glücklich gewesen wäre. Natürlich hätte ich die Kinder auch bei einer Nanny lassen können, aber das ist nicht mein Bild von einer Familie. Deshalb habe ich den Kinderwunsch beiseite geschoben. Und ich bereue es auch nicht, weil ich durch meine vielen beruflichen Tätigkeiten ein sehr abwechslungsreiches Leben habe.

Haben Sie mal darüber nachgedacht, sich für Ihre Ziele politisch zu engagieren, um mitgestalten zu können?

Halmich: Ich bin ein politischer Mensch, habe 2009 als Gesandte der CDU Horst Köhler zum Bundespräsidenten gewählt. Und Angela Merkel imponiert mir sehr. Gar nicht so wegen ihrer Politik, denn ich bin nicht auf die CDU festgelegt, sondern weil sie sich in einer Männerdomäne so klasse behauptet. Dennoch sehe ich mich nicht in der Politik als irgendeine Frauenbeauftragte. Ich habe keine Lust auf endlose Diskussionen mit starrsinnigen Männern, die nichts bringen. Ich tue lieber das, wobei ich das Gefühl habe, direkt etwas bewirken zu können.

Viele Sportler tun sich sehr schwer, den richtigen Zeitpunkt für den Rücktritt zu finden. Wie oft haben Sie diesen Schritt bereut, und was ist heute die Bühne, die Ihnen innere Befriedigung gibt?

Halmich: So ein Gefühl, wie es einem ein gewonnener Weltmeisterschaftskampf gibt, habe ich nie wieder erlebt. Da muss ich ehrlich sein, und natürlich fehlt es einem auch mal. Ich kann bis heute dieses Gefühl, die Stärkste sein zu müssen, nicht ganz ausblenden, und manchmal nervt es sehr, nicht locker lassen zu können. Aber es gibt viele andere Dinge, die mich erfüllen. Anderen Menschen durch mein Engagement etwas mitgeben zu können, das ihnen hilft, das macht großen Spaß und ist sehr befriedigend. Deshalb bin ich sehr zufrieden mit meinem Leben.