Hamburg/Lausanne. Putin hält Olympia-Ausschluss seines Landes für „politisch motiviert“. Fußball-Weltverband wegen Mutko in der Kritik.

Russische Athleten werden auf Geheiß von Staatspräsident Wladimir Putin trotz der Strafe durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) an den Winterspielen 2018 in Pyeongchang (Südkorea/9. bis 25. Februar) teilnehmen. Einen Tag, nachdem das IOC Russland wegen systematischen Dopings während der Winterspiele 2014 in Sotschi ausgeschlossen und nur nachweislich sauberen Athleten einen Start unter neutraler Flagge in Aussicht gestellt hatte, verzichtete Putin auf einen Boykott seines Landes.

„Wir werden bestimmt keinen Boykott verkünden“, sagte er am Mittwoch bei einem Besuch eines Autowerks in Nischni Nowgorod vor Arbeitern, bezeichnete die IOC-Entscheidung aber als „politisch motiviert. Daran gibt es für mich keinen Zweifel.“ Russland werde seine Olympioniken nicht daran hindern, am Wettbewerb teilzunehmen, ergänzte der Präsident, dessen Land bei den Winterspielen einige Einschränkungen in Kauf nehmen muss. Am kommenden Dienstag soll es dazu ein Treffen der Spitzenvertreter aus Sport und Politik geben.

Zuvor hatten Medien und Sportler gekränkt auf die Entscheidung reagiert. „Die Sanktion ist hart und in gewisser Weise demütigend“, schrieb „Sport Express“. Und bei „Iswestija“ lebte schon wieder der Trotz auf: „Ohne Russland geht es nicht. Russische Athleten werden die Ehre ihres Mutterlandes unter jeder Fahne verteidigen.“ Besonders irritierend war allerdings Putins Einschätzung, es sei „wichtig, dass die Ergebnisse der Kommission belegen, dass es niemals ein staatlich unterstütztes Dopingsystem gegeben hat.“ Genau das hatte Samuel Schmid, Leiter der zuständigen IOC-Kommission, als Begründung für die verhängten Sanktionen angeführt: „Die Exekutive sieht es als erwiesen an, dass es ein Dopingsystem gegeben hat. Wir haben eine solche Form des Betrugssystems vorher noch nie gesehen“, sagte er.

Mehrzahl der russischen Sportler wird starten

Russische Sportler dürfen in Pyeongchang starten, wenn sie sauber sind. Ob sie es sind, das entscheidet ein Gremium unter der Leitung der ehemaligen französischen Sportministerin Valérie Fourneyron, die auch Vorsitzende der neu geschaffenen unabhängigen Behörde für Doping-Testverfahren (ITA) ist. Wie aus IOC-Kreisen verlautete, ist aber anzunehmen, dass am Ende nicht nur fünf oder zehn, sondern – wie schon bei den Sommerspielen 2016 in Rio de Janeiro – die Mehrzahl der russischen Athleten in Südkorea starten werden.

Zwar darf in Pyeongchang zunächst keine russische Hymne erklingen und keine russische Flagge wehen, doch damit könnte es schon bei der Schlussfeier wieder vorbei sein. Das IOC behält sich vor, die Suspendierung gegen das NOK noch vor dem Ende der Spiele aufzuheben. Entscheidend dabei ist nicht, ob Russland seinen Antidopingkampf verbessert, sondern ob die Athleten die Sanktionen einhalten, also sich keine Landesfarben auf die Wangen schmieren.

Am Ende soll sich die olympische Familie zur Abschlussfeier doch wieder in den Armen liegen. Der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach will das Riesenproblem nicht noch bis zu den Sommerspielen 2020 in Tokio mitschleppen. Man wolle einen „Strich unter die schädigende Episode ziehen“, sagte der 63-Jährige.

Mit großem Interesse wird unterdessen erwartet, wie der Fußball-Weltverband Fifa auf die IOC-Maßnahmen reagiert. So wurde am Dienstagabend Witali Mutko, der als Drahtzieher des Betrugssystems gilt, auf Lebenszeit für alle olympischen Veranstaltungen gesperrt. Das Dumme ist nur: Mutko, ein Freund von Staatschef Putin, ist der Cheforganisator der Fußball-WM in Russland (14. Juni bis 15. Juli 2018). „Darf ein Doping-Strippenzieher eine Fußball-WM organisieren?“, fragte die Deutsche Presse-Agentur treffend und bekam von der Fifa die skandalöse Antwort: Ja, er darf.

DOSB legt sich mit der Fifa an

Fifa-Präsident Gianni Infantino ignoriert das IOC-Urteil von Lausanne „Diese Entscheidung hat keinen Einfluss auf die Vorbereitungen für die Weltmeisterschaft 2018“, ließ der Weltverband verbreiten und vergrößerte damit am Mittwoch den Skandal um den WM-Chef noch. Am vergangenen Freitag, also vier Tage vor der sporthistorischen IOC-Entscheidung, war Infantino gemeinsam mit Mutko bei der WM-Auslosung in Moskau aufgetreten und spielte, was die Dopinganschuldigungen im Wintersport betraf, alle Vorwürfe herunter: „Du bist ein echter Bob- und Skeleton-Experte. Von dir können wir noch viel lernen.“

Alfons Hörmann, Präsident des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB), reagierte fassungslos auf die Fifa-Haltung. „Für mich ist es schwer vorstellbar, dass einer, der auf dem olympischen Boden nicht mehr willkommen ist, eine prägende und entscheidende Rolle bei der Fußball-Weltmeisterschaft spielt. Das wäre ein verhängnisvolles Signal des Fußballs gegenüber dem Weltsport“, sagte er bei Sky.

DOSB und DFB fordern Fifa zum Handeln auf

Reinhard Grindel blitzte schon vor Monaten mit seiner Forderung nach unabhängigen Dopingkontrollen bei der WM in Russland ab und wurde dafür vom Fifa-Präsidenten vor der Weltpresse brüskiert. „Gianni Infantino hat das öffentlich mit der Bemerkung abgetan, es sei gut, dass ich jeden Tag eine neue Idee habe“, sagte der Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB). „Ich bleibe deshalb gerade vor dem Hintergrund der IOC-Entscheidung dabei, dass die Fifa das Dopingkon­trollsystem bei der WM einer unabhängigen Institution überantworten sollte.“ Infantino müsse dazu jetzt Vorschläge unterbreiten.

Auch die Fifa-Ethikkommission zögert mit ihrer Stellungnahme und blamiert sich damit weltweit. „Wir müssen vorsichtig mit einer Vorverurteilung sein“, hatte Infantino gesagt. „Wir dürfen nicht alles schwarzmalen, was aus dem Osten kommt, und sagen: Bei uns gibt es keine Korruption und kein Doping.“