Berlin. Boxkampf zeigt: Zwischen Marco Huck und Oleksandr Usyk liegen Lichtjahre. Doch ein Karriereende zieht der Berliner nicht in Betracht.

Freunde des schwarzen britischen Humors hatten in der Nacht zu Sonntag einen Anlass, sich der Genialität der Komikertruppe Monty Python zu entsinnen. Wie Marco Huck so vor der versammelten Boxjournaille saß und versuchte, den Ausgang des vorangegangenen Kampfes zu seinen Gunsten umzudeuten, da erinnerte er an den schwarzen Ritter, der im „Ritter der Kokosnuss“ König Artus ein Unentschieden anbietet, obwohl dieser ihm alle Gliedmaßen abgeschlagen hat.

Nun hatte Huck seine Arme und Beine und zum Glück auch alle anderen Körperteile noch immer an den Stellen, wo sie hingehörten. Aber dass er nach einer technischen K.-o.-Niederlage gegen den Ukrainer Oleksandr Usyk, die ihm deutlich seine Grenzen aufgezeigt hatte, ernsthaft der Meinung war, den WBO-Weltmeister im Cruisergewicht „mit meinen Schlägen deutlich beeindruckt“ zu haben und dass er mit ein wenig mehr Nachsetzen „das Ding auch hätte gewinnen können“, das bewies einmal mehr, dass Profiboxer nach harten Kämpfen Schwierigkeiten damit haben können, ihr eigenes Empfinden mit der Realität in Einklang zu bringen.

Zehnte Runde des Boxkampfes wurde mit Prügelstrafe beendet

Die Fakten eines Abends, der einen sportlich großartigen Auftakt in die neue World Boxing Super Series (WBSS) um die Muhammad-Ali-Trophy markierte, hatten 5890 Fans in der Berliner Max-Schmeling-Halle nachprüfen können. Huck, ehemals Weltmeister im Limit bis 90,7 Kilogramm, zeigte eine couragierte Leistung, die ihm nach dem verheerenden Punktniederlagen-Desaster gegen den Letten Mairis Briedis im April nicht mehr allzu viele zugetraut hatten. Als jedoch Ringrichter Robert Byrd (USA) nach 2:18 Minuten der zehnten Runde die Prügelstrafe beendete, musste der neutrale Boxfan einsehen, dass eine weitere Ära im deutschen Faustkampf ihr Ende gefunden hat.

Huck hatte alles aus sich herausgeholt, er hatte mutig versucht, Usyk mit Einzelschlägen unter Druck zu setzen. Aber weil der Olympiasieger von 2012 für jeden Treffer, den sein Gegner landete, drei, vier eigene Hände zu Kopf und Körper feuerte, sah der 32-Jährige letztlich aus wie Usain Bolt bei seinem letzten WM-Einzelsprint: Wie ein Mann, der zwar noch über große Teile der Distanz mithalten, aber die Weltspitze nicht mehr erschrecken kann. Und dass Usyk, dieses begnadete Bewegungstalent, eben jene Weltspitze verkörpert, daran konnte es keinen Zweifel geben. Zwei Jahre jünger nur ist der Mann, der von der Klitschko-Firma K2 vermarktet wird, doch in der Sonnabendnacht lagen Lichtjahre zwischen ihm und Huck.

Punktabzug wegen Nachschlagens

Was auch immer der Herausforderer versuchte, Usyk hatte auf alles nicht nur eine Antwort, sondern stellte mit seinem leichtfüßigen Stil selbst Fragen, die Huck nicht zu kontern vermochte. Wie schwitzende Kinder an einem heißen Sommertag den Eiswagen, so umtanzte der Ukrainer den Berliner, und unter dem Jubel seiner Fans, die erstaunlicherweise deutlich in der Überzahl waren, traf er nach Belieben mit seiner rechten Führhand. In seiner Verzweiflung griff Huck zu Tiefschlägen, in Runde acht wurde ihm wegen Nachschlagens, als Usyk nach einem Stolperer am Boden kniete, sogar ein Punkt abgezogen.

Dass der Besiegte später sein zu seltenes Nachsetzen mit „zu großer Aufregung“ erklären wollte, klang angesichts der Erfahrung aus 46 Profi- und 21 WM-Kämpfen ebenso seltsam wie die Einschätzung, Usyk „mit meinen Schlägen schwer getroffen“ zu haben. „Wenn er damit die Tiefschläge meint, dann stimmt das“, kommentierte der als Favorit für das neue Turnierformat an Position eins der Setzliste platzierte Osteuropäer süffisant. Promoter Kalle Sauerland, für den WBSS-Veranstalter Comosa als Head of Boxing eingesetzt, rechnete Usyk hoch an, dass er nach Hucks Nachschlagen nicht liegen geblieben war. „Da hätte der Kampf schon abgebrochen werden können, wenn er eine Verletzung simuliert hätte. Aber er ist aufgestanden und wollte weitermachen. Das zeichnet einen wahren Champion aus“, sagte Sauerland.

Marco Huck muss sich Fragen nach seiner Zukunft stellen

Während Usyk nun am 30. September entspannt nach Riga schauen kann, wenn WBC-Champion Briedis und der Kubaner Mike Perez seinen Halbfinalgegner ermitteln, musste sich Huck den Fragen nach seiner Zukunft stellen. Auch wenn er bekannte, zunächst einmal Urlaub machen „und alles sacken lassen“ zu wollen – ein Karriereende zieht er nicht in Betracht. „Ich habe mich gegen einen sehr starken Gegner wacker geschlagen. Immer wenn ich kämpfe, sind die Fans begeistert“, sagte er.

Trainer Conny Mittermeier hatte ebenfalls die nötigen Ansätze gesehen, um noch einmal einen neuen Anlauf vertreten zu können. „Marco hat Usyk zu viel schlagen lassen und ist zu wenig nachgegangen. Aber immer wenn er dazwischengehauen hat, hat es gut ausgeschaut“, sagte der Stuttgarter. Ulli Wegner, als Cheftrainer einst Hucks Weltmeistermacher, hatte eine andere Meinung: „Marco braucht mehr Führung“, sagte der 75-Jährige – und meinte damit seine Führung. Auch die jedoch hätte gegen Usyks Übermacht kaum mehr auszurichten vermocht. Deshalb bleibt festzuhalten, dass Marco Huck vor allem eins braucht, wenn er nicht wie der schwarze Ritter enden will: die Einsicht, dass es für ganz oben nicht mehr reicht.