Dortmund. Warum musste die Mannschaft einen Tag nach dem Attentat spielen? Jetzt sind neue Details bekannt. Zwei Profis wollten nicht auflaufen.

Die dramatische Situation vor dem BVB-Spiel gegen AS Monaco in der Champions League: Immer neue Details werden bekannt, wie emotional die Stunden vor dem 2:3 in Dortmund abliefen. Wie Tränen in der Umkleidekabine flossen und zwei Profis tatsächlich nicht im Signal-Iduna-Park auflaufen wollten – oder zumindest Bedenken hatten. Doch der Reihe nach.

Das Attentat vor dem Mannschaftshotel L’Arrivée in Dortmund-Höchsten war Dienstag gerade erst passiert und das Motiv noch nicht ersichtlich, da traf sich umgehend ein Sicherheitsrat von Club, Uefa und Behördenvertretern in einem abgeschotteten Raum im Stadion, um die Frage zu klären: Wann soll das Spiel gegen Monaco stattfinden?

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    Der erste Vorschlag: noch am selben Abend. BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke war dagegen. Das sei den Spielern nicht zuzumuten, weil die Informationslage unübersichtlich sei. Dann machte die Uefa den Vorschlag: am nächsten Tag um 16 Uhr. Wieder wehrte sich der BVB: Man könne in einem so wichtigen Spiel nicht vor einem halb vollen Stadion auflaufen.

    Ratlosigkeit machte sich breit. Eine Entscheidung musste her. Der Druck stieg. In ein, zwei Wochen? Das war nicht möglich. Der BVB spielt Bundesliga, im DFB-Pokal gegen Bayern, womöglich kommt die Mannschaft in der Champions League weiter. Alle Teilnehmer dieser Taskforce sahen den Konflikt von Interessen und Terminen.

    Pressestimmen nach dem Spiel Dortmund – Monaco

    The Telegraph (England)

    Dieses Spiel war zu viel Bürde für benommene Dortmunder. Es müssen Fragen nach der Ansetzung des Spiels gestellt werden. Schließlich sind diese elf jungen Männer das Ziel eines Mordanschlags gewesen. Nun wurde von ihnen erwartet, Kylian Mbappe so zu verteidigen als wäre das nie passiert. Unter diesen Umständen hat Dortmund eine grandiose Leistung gebracht.

    L'Equipe (Frankreich)

    Es war ein schwieriger, unvergesslicher Tag. Er hat uns gelehrt, dass die Leidenschaft für den Fußball stärker ist als die Angst. Die Uefa leidet unter der Last, nicht immer Antworten haben zu können. In Heysel wurde 1985 trotz 39 Toten gespielt. Am Dienstag, dem 11. September 2001, fanden die Champions League-Spiele statt, und erst die am Mittwoch wurden aus Solidarität abgesagt. Monaco hat wahrscheinlich kein normales Spiel gewonnen. Dortmund hat nicht normal spielen können.

    Oest France (Frankreich)

    Die Uefa, zu sehr konzentriert auf ihren Spielkalender und die finanziellen Folgen, hätte das Spiel nie und nimmer auf den nächsten Tag ansetzen dürfen. Der geringste Zwischenfall hätte einen immensen Skandal produziert. Die rund tausend monegassischen Fans und die Anhänger von Borussia haben eine Lektion in Fair Play, Solidarität und Lebensqualität erteilt.

    L'Alsace (Frankreich)

    Musste man gestern Abend in Dortmund ein Fußballspiel austragen, keine 24 Stunden nach dem sehr wahrscheinlich terroristischen Anschlag auf den Team-Bus des deutschen Clubs? Die Frage ist legitim, vor allem mit Blick auf die Spieler, von denen man annehmen kann, dass sie schockiert sind. Gestern, heute oder morgen, dieses Match in Dortmund musste gespielt werden. Der Anschlag vom Dienstag hat die sportliche Begegnung zu einem Symbol gemacht. Egal, was das Ergebnis ist. Nichts wäre schlimmer, als aufzuhören zu leben und sich einzuigeln, um nicht zum Opfer von Terrorakten zu werden. Widerstehen heißt weiterleben.

    Corriere della Sera (Italien)

    Die Dummheit des Terrorismus hat Dortmund gestern ein wunderbares Fußballfest beschert, das die Beziehung zwischen Deutschen und Franzosen gefestigt hat. Wer den Alltag im Westen mit Terrorismus auf den Kopf stellen wollte, ist gescheitert. Mit einer Verspätung von 21 Stunden hat das Spiel stattgefunden. Attentate verursachen Angst, aber auch mehr Zusammenhalt zwischen den möglichen Opfern, wie das Match in Dortmund klar bezeugt.

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    Innerhalb von Minuten setzte sich die Einsicht durch, dass zu der menschlichen Seite, was den Spielern zuzumuten ist, zwei weitere Ebenen kamen. Die gesellschaftspolitische, gegen den Terror ein Zeichen zu setzen, dass man trotzdem spielt. Und eine pragmatische: Das Spiel muss zeitnah stattfinden.

    Ratlosigkeit in der Runde. Für alle war die Lage belastend. Zwei Terminvorschläge waren abgelehnt worden, also schaltete sich die Uefa-Vertretung aus dem Hauptsitz in Nyon ein. Und entschied: am nächsten Tag um 18.45 Uhr. Ein Teilnehmer der Runde erzählt, dass Watzke meinte: Es geht ja nicht anders.

    Watzke stellte Spielern Einsatz frei

    Darum ist nicht falsch, was Trainer Thomas Tuchel meinte: Der Termin kam aus Nyon. Es gibt aber auch keinen Zwist mit der Uefa: Tatsächlich wurde vor Ort in Dortmund mit den Beteiligten über den neuen Spieltermin gesprochen. Aber es musste eine Entscheidung her. Richtig oder falsch – das gibt es in einer solchen Situation nicht.

    Am nächsten Morgen trat Watzke vor die Mannschaft und erklärte den Hintergrund. Inzwischen war bekannt geworden, dass es sich um einen gezielten Bombenanschlag auf die Mannschaft gehandelt hat. Jedem einzelnen Spieler soll er angeboten haben: Wer sich nicht in der Lage fühle, unter diesen Umständen aufzulaufen, dürfe auf einen Einsatz verzichten. Es drohe dadurch kein Nachteil, im Gegenteil: größte Unterstützung.

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    Bartra fällt vier Wochen aus

    Wie die Redaktion aus Mannschaftskreisen erfuhr, waren die Spieler von der Geste beeindruckt. Der Verein fand die richtige Antwort auf die Verletzung des Kollegen Marc Bartra, der in der Nacht an der Hand und am Arm notoperiert worden war und laut Tuchel etwa vier Wochen ausfällt. 25 Spieler sagten sofort: Wir spielen! Zwei Spieler (Namen der Redaktion bekannt) äußerten Bedenken.

    Sie würden zwar spielen wollen, sagten sie. Aber nicht jetzt. Der Zeitpunkt sei ungünstig. Diese Aussagen deckten sich mit den Äußerungen von Tuchel, der nicht nur die psychologische Belastung für die Spieler erkannte, sondern auch den gemeinsamen Erfolg gefährdet sah. Am Ende fuhren ausnahmslos alle Spieler mit zum Signal-Iduna-Park und waren einsatzbereit. Watzke war dazu für eine Stellungnahme nicht ereichbar.

    Kalt gelassen haben die Umstände keinen Spieler. Die Profis hatten feuchte Augen, bevor sie auf den Rasen zum Aufwärmen liefen und das Bartra-Shirt trugen. Hinterher, nach dem 2:3, weinten Spieler in der Umkleidekabine, als der Druck der vergangenen 24 Stunden von ihnen ablief. Das Spiel so kurz nach dem Attentat: die vermutlich größte Leistung der jungen BVB-Mannschaft.