Dortmund. Keine 24 Stunden nach dem Anschlag sollten die Fußballprofis des BVB wieder funktionieren. Sie wären zu gern vorher gefragt worden.

Sie hatten dieses Gefühl offenbar alle gehabt, aber so richtig aussprechen konnten und wollten sie das erst, als die Sache vorüber war. Dieses Fußballspiel, das zu den Highlights vieler Karrieren hätte gehören können, dieses Viertelfinale der Champions League gegen die AS Monaco, das einen Tag später stattfinden musste, weil ein Sprengstoffanschlag dem Leben der Spieler von Borussia Dortmund gegolten hatte. Und nicht einmal 24 Stunden danach sollten sie schon wieder Fußballspielen als das Wichtigste empfinden, sollten sie wieder in den Bus steigen, sollten sie einfach wieder funktionieren. Wie auf Knopfdruck.

Mit jedem Spieler, der da am Mittwochabend nach dieser übergroßen Aufgabe und der 2:3-Niederlage das Stadion wieder verließ, wurde klarer, welche Tortur, welche Zumutung all das für sie gewesen war. Sie hatten sich den Umständen gebeugt, waren angetreten, auch um ein gesellschaftliches Zeichen gegen die Diktatur des Terrors zu setzen. Aber für die Menschen, die da in den schwarz-gelben Trikots gesteckt hatten, war das alles nicht zu verarbeiten gewesen. Tapfer hatten sie sogar noch um ein besseres Ergebnis gekämpft. Aber als es überstanden war, erhoben die traurigen Dortmunder Helden Anklage.

Schnelle Neuansetzung: BVB-Trainer Tuchel übt scharfe Kritik

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    Sokratis (28) zum Beispiel. Der Verteidiger zählt zu den erfahrensten Akteuren im Kader der Borussia. Er ist bekannt dafür, dass er keine Kompromisse macht, dass er tut, was getan werden muss. Maximal entschlossen, nie zweifelnd. Mit Tränen in den Augen stand er nach dem Schlusspfiff vor den eigenen Fans, die Applaus spendeten für diese Leistung. Weniger für die fußballerische Leistung denn für die menschliche. Als es vorbei war, sagte der Grieche: „Wir sind keine Tiere, sondern Menschen.“

    Aber so hatte sich das offenbar für ihn und seine Mannschaftskameraden angefühlt: wie vom Europäischen Fußball-Verband Uefa an der Kette in die Manege des millionenschweren Zirkus geführt zu werden, um dort die üblichen Kunststückchen zu vollbringen. Allez-hopp. Niemand hatte die, die es am meisten betraf, um ihre Meinung gebeten. So berichteten es Trainer Thomas Tuchel (43) und auch die Spieler. Eine Bombe war explodiert, hatte den Mitspieler Marc Bartra beträchtlich verletzt. Aber am Bus stehend, seien sie vor vollendete Tatsachen gestellt worden.

    Sprengsätze detonieren nahe BVB-Bus

    Schock in Dortmund: Am 11. April 2017 detonierten auf der Fahrt zum Stadion neben dem Mannschaftsbus des BVB drei Sprengsätze. Das Champions-League-Spiel gegen AS Monaco am Abend wurde daraufhin abgesagt.
    Schock in Dortmund: Am 11. April 2017 detonierten auf der Fahrt zum Stadion neben dem Mannschaftsbus des BVB drei Sprengsätze. Das Champions-League-Spiel gegen AS Monaco am Abend wurde daraufhin abgesagt. © dpa | Marcel Kusch
    BVB-Profi Marc Bartra wurde bei dem Vorfall schwer verletzt, der Fußballer wurde noch am Abend operiert. Außerdem wurde ein Polizist verletzt.
    BVB-Profi Marc Bartra wurde bei dem Vorfall schwer verletzt, der Fußballer wurde noch am Abend operiert. Außerdem wurde ein Polizist verletzt. © dpa | Ina Fassbender
    Bei der Attacke durchschlug ein Teil des Sprengsatzes eine Scheibe des Mannschaftsbusses.
    Bei der Attacke durchschlug ein Teil des Sprengsatzes eine Scheibe des Mannschaftsbusses. © dpa | Bernd Thissen
    Die Polizei gab an, „mit starken Kräften vor Ort“ zu sein.
    Die Polizei gab an, „mit starken Kräften vor Ort“ zu sein. © REUTERS | Kai Pfaffenbach
    Die Mannschaft sollte zunächst mit einem anderen Bus zum Stadion gebracht werden. Mehrere Spieler hielten sich vor der Unterkunft auf.
    Die Mannschaft sollte zunächst mit einem anderen Bus zum Stadion gebracht werden. Mehrere Spieler hielten sich vor der Unterkunft auf. © dpa | Carsten Linhoff
    Der BVB informierte die Fans im Stadion über den Vorfall.
    Der BVB informierte die Fans im Stadion über den Vorfall. © REUTERS | Ralph Orlowski
    Die hielten sich zusätzlich über ihre Smartphones auf dem Laufenden.
    Die hielten sich zusätzlich über ihre Smartphones auf dem Laufenden. © dpa | Federico Gambarini
    Die Fans verließen das Stadion nach der Absage des Spiels ohne Zwischenfälle.
    Die Fans verließen das Stadion nach der Absage des Spiels ohne Zwischenfälle. © dpa | Federico Gambarini
    Fans des AS Monaco hatten zuvor ihre Anteilnahme mit „Dortmund! Dortmund!“-Sprechchören gezeigt.
    Fans des AS Monaco hatten zuvor ihre Anteilnahme mit „Dortmund! Dortmund!“-Sprechchören gezeigt. © Getty Images | Lukas Schulze
    Das Spiel wurde einen Tag nach dem Vorfall nachgeholt, der BVB verlor 2:3 gegen den AS Monaco.
    Das Spiel wurde einen Tag nach dem Vorfall nachgeholt, der BVB verlor 2:3 gegen den AS Monaco. © dpa | Carsten Linhoff
    Zunächst gab es keine heiße Spur zu den Tätern. Die Ermittler konzentrierten sich auf das, was an handfesten Spuren am Tatort gefunden wurde: Reste des bei dem Anschlag verwendeten Sprengstoffs und der Zünder, dazu die drei am Tatort gefundenen gleichlautenden Bekennerschreiben.
    Zunächst gab es keine heiße Spur zu den Tätern. Die Ermittler konzentrierten sich auf das, was an handfesten Spuren am Tatort gefunden wurde: Reste des bei dem Anschlag verwendeten Sprengstoffs und der Zünder, dazu die drei am Tatort gefundenen gleichlautenden Bekennerschreiben. © dpa | Ina Fassbender
    Fans hatten den Schriftzug „Keine Bombe kriegt uns klein! BVB wird ewig sein“ an einem Zaun geschrieben.
    Fans hatten den Schriftzug „Keine Bombe kriegt uns klein! BVB wird ewig sein“ an einem Zaun geschrieben. © dpa | Friso Gentsch
    Bei dem Anschlag hätte es weit schlimmere Verletzungen geben können: Die Bildkombo zeigt durch umherfliegende Metallstifte beschädigte Autos, einen Splitter, der sich in einen Zaun gebohrt hat und einen Splitter des Sprengsatzes am Boden.
    Bei dem Anschlag hätte es weit schlimmere Verletzungen geben können: Die Bildkombo zeigt durch umherfliegende Metallstifte beschädigte Autos, einen Splitter, der sich in einen Zaun gebohrt hat und einen Splitter des Sprengsatzes am Boden. © dpa | David Young
    Erst zuletzt kamen die Ermittler dem Deutschrussen Sergej W. auf die Spur.
    Erst zuletzt kamen die Ermittler dem Deutschrussen Sergej W. auf die Spur. © REUTERS | Kai Pfaffenbach
    Zehn Tage nach dem Anschlag war das der Durchbruch:
    Zehn Tage nach dem Anschlag war das der Durchbruch: © dpa | Ina Fassbender
    Am Morgen des 21. April nahm die Polizei den 28-jährigen Sergej W. als Tatverdächtigen nahe Tübingen fest.
    Am Morgen des 21. April nahm die Polizei den 28-jährigen Sergej W. als Tatverdächtigen nahe Tübingen fest. © dpa | Christoph Schmidt
    Im Prozess hat der Angeklagte die Tat gestanden, aber jede Tötungsabsicht bestritten. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst“, sagte der 28-jährige am 8. Januar 2018 vor dem Dortmunder Schwurgericht.
    Im Prozess hat der Angeklagte die Tat gestanden, aber jede Tötungsabsicht bestritten. „Ich bedauere mein Verhalten zutiefst“, sagte der 28-jährige am 8. Januar 2018 vor dem Dortmunder Schwurgericht. © picture alliance / Revierfoto/Re | dpa Picture-Alliance / Revierfoto
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    „Bei aller Größe des Wettbewerbs sind wir trotzdem Menschen. Das ist und das darf nichts Normales werden. Wir haben unfassbares Glück gehabt, das wissen wir alle. Da darf man nicht so einfach zur Tagesordnung übergehen“, meinte Dortmunds Kapitän Marcel Schmelzer: „Ich glaube, wir wären alle gerne gefragt worden, weil es uns betroffen hat und nicht die Leute, die es im Büro entschieden haben, dass das Spiel stattfinden muss. Wir hätten uns sehr, sehr, sehr darüber gefreut, wenn es an einem anderen Tag hätte stattfinden können.“

    Auch Schmelzer ist mit seinen 29 Jahren ein erfahrener Mann, er hat viel mitgemacht mit diesem BVB. Aber in einem solchen Ausnahmezustand war er noch nie. Das Training am Mittwochvormittag habe ihnen gut getan, das ja. Es habe sie abgelenkt, es habe sich gut angefühlt, etwas zu tun, nicht nur zu denken. Aber „obwohl du dich aufs Spiel vorbereiten willst, redest du trotzdem nur über dieses eine Thema“, berichtet der Kapitän.

    Pressestimmen nach dem Spiel Dortmund – Monaco

    The Telegraph (England)

    Dieses Spiel war zu viel Bürde für benommene Dortmunder. Es müssen Fragen nach der Ansetzung des Spiels gestellt werden. Schließlich sind diese elf jungen Männer das Ziel eines Mordanschlags gewesen. Nun wurde von ihnen erwartet, Kylian Mbappe so zu verteidigen als wäre das nie passiert. Unter diesen Umständen hat Dortmund eine grandiose Leistung gebracht.

    L'Equipe (Frankreich)

    Es war ein schwieriger, unvergesslicher Tag. Er hat uns gelehrt, dass die Leidenschaft für den Fußball stärker ist als die Angst. Die Uefa leidet unter der Last, nicht immer Antworten haben zu können. In Heysel wurde 1985 trotz 39 Toten gespielt. Am Dienstag, dem 11. September 2001, fanden die Champions League-Spiele statt, und erst die am Mittwoch wurden aus Solidarität abgesagt. Monaco hat wahrscheinlich kein normales Spiel gewonnen. Dortmund hat nicht normal spielen können.

    Oest France (Frankreich)

    Die Uefa, zu sehr konzentriert auf ihren Spielkalender und die finanziellen Folgen, hätte das Spiel nie und nimmer auf den nächsten Tag ansetzen dürfen. Der geringste Zwischenfall hätte einen immensen Skandal produziert. Die rund tausend monegassischen Fans und die Anhänger von Borussia haben eine Lektion in Fair Play, Solidarität und Lebensqualität erteilt.

    L'Alsace (Frankreich)

    Musste man gestern Abend in Dortmund ein Fußballspiel austragen, keine 24 Stunden nach dem sehr wahrscheinlich terroristischen Anschlag auf den Team-Bus des deutschen Clubs? Die Frage ist legitim, vor allem mit Blick auf die Spieler, von denen man annehmen kann, dass sie schockiert sind. Gestern, heute oder morgen, dieses Match in Dortmund musste gespielt werden. Der Anschlag vom Dienstag hat die sportliche Begegnung zu einem Symbol gemacht. Egal, was das Ergebnis ist. Nichts wäre schlimmer, als aufzuhören zu leben und sich einzuigeln, um nicht zum Opfer von Terrorakten zu werden. Widerstehen heißt weiterleben.

    Corriere della Sera (Italien)

    Die Dummheit des Terrorismus hat Dortmund gestern ein wunderbares Fußballfest beschert, das die Beziehung zwischen Deutschen und Franzosen gefestigt hat. Wer den Alltag im Westen mit Terrorismus auf den Kopf stellen wollte, ist gescheitert. Mit einer Verspätung von 21 Stunden hat das Spiel stattgefunden. Attentate verursachen Angst, aber auch mehr Zusammenhalt zwischen den möglichen Opfern, wie das Match in Dortmund klar bezeugt.

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    Die Hymne der Königsklasse kündet sonst von feierlichen Abenden. Nuri Sahin nutzte sie eine Zeit lang als Klingelton auf seinem Handy. Doch als sie im Stadion erklang, war das nur der Hinweis für die Dortmunder Profis, dass da gleich ein Spiel angepfiffen wird, von dem sie der Meinung waren, dass es niemals würde angepfiffen werden dürfen.

    „Wir sind alle Menschen. Was passiert ist, das wünsche ich niemandem“, schilderte jener Nuri Sahin (28) mit beinahe erstickender Stimme. Die lange gemeinsame Zeit beim BVB hat aus Sahin und Schmelzer Freunde gemacht, weil sie gleich über die Dinge denken, weil sie die gleiche soziale Kompetenz haben, weil sie sich um ihre Mannschaftskameraden kümmern und so aus ihnen eine Einheit machen. Im Bus saßen sie nebeneinander, als die Bomben detonierten.

    Tragödie war nur Zentimeter entfernt

    „Mein ganzes Leben werde ich die Bilder nicht mehr vergessen, den Gesichtsausdruck von Schmelle“, sagte Sahin. Metallsplitter wurden nach dem Anschlag in den Kopflehnen gefunden. Die Tragödie war nur Zentimeter entfernt. Der Schrecken wird dadurch nicht kleiner, im Gegenteil, er entwickelt sich über den Moment des Unglücks hinaus. „Erst als ich am Dienstag nach Hause kam und meine Frau und mein Sohn vor der Türe standen, da habe ich realisiert, wie viel Glück wir hatten“, sagt Nuri Sahin: „Das war nicht schön heute.“

    Die Uefa wies den Vorwurf zurück, dass der Verein bei der Ansetzung übergangen worden sei. „Die Uefa war am Mittwoch mit allen Parteien in Kontakt und hat niemals eine Information erhalten, die angedeutet hat, dass eines der Teams nicht spielen wollte“, teilte der Kontinentalverband auf Anfrage mit. Die Entscheidung, das Spiel am Mittwoch anzupfeifen, sei „in Kooperation und kompletter Zustimmung mit Clubs und Behörden“ getroffen worden.

    Unterstützung bekamen die Dortmunder von Hoffenheims Trainer Julian Nagelsmann. "Ich würde mir wünschen, dass man künftig die wirtschaftlichen Interessen hinten anstellt und mehr Menschlichkeit zeigt", sagte er am Donnerstag: "Der Termin war nicht ganz glücklich gewählt." Nagelsmann hätte sich einen anderen Zeitpunkt für die Ansetzung gewünscht, "auch wenn dann eben die Zuschauer nicht ins Stadion kommen können und es vielleicht keine TV-Übertragung gibt".

    Sahin gibt bewegendes Interview:

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