Hamburg/Gavirate. Sylvia Pille-Steppat war einst Hamburgs schnellste Marathonläuferin. Nun will sie es im Rudern zu den Paralympics schaffen.

Lili Wang – der Name war Sylvia Pille-Steppat bislang nicht untergekommen. Gegen alle anderen ist sie bereits bei den Weltmeisterschaften im vergangenen September in Frankreich gerudert, und bis auf die Koreanerin Sejeong Kim, die unmittelbar vor ihr als Neunte ins Ziel kam, hat sie damals alle deutlich hinter sich gelassen. Es sieht also gar nicht schlecht aus für die Paralympics im September in Rio de Janeiro. Zwei Startplätze in der Einerklasse AS sind bei der Qualifikationsregatta auf dem Lago di Varese in Italien am Sonnabend noch zu vergeben.

Wenn da nicht diese Lili Wang wäre, die unbekannte Chinesin, die dem ersten Augenschein nach eine große Unbekannte ist. „Sie sieht ziemlich kräftig aus“, sagt Pille-Steppat. Wie kräftig Wang wirklich ist, wird man nach den Vorläufen an diesem Donnerstagvormittag genauer wissen.

Sylvia Pille-Steppat sieht nicht unbedingt kräftig aus. Ihre Figur ist auch mit 48 Jahren noch die der schnellsten Hamburger Marathonläuferin, die sie einmal war, bevor sie 2002 an Multi­pler Sklerose erkrankte und nach und nach die Kontrolle über ihren Körper verlor. Ihren aktuellen Gesundheitszustand bezeichnet sie als „relativ stabil“. Nur dass die Beweglichkeit der Hände bisweilen eingeschränkt sei, was es schwer mache, die Ruderblätter zu drehen.

Und doch fühle sie sich deutlich fitter als noch vor der WM. Pille-Steppat hat mit ihrem Trainer Michael Damm vom Wilhelmsburger RC den Aufwand noch einmal deutlich gesteigert und ihre Seminartermine als Architektur-Dozentin entsprechend angepasst. Den Effekt hat sie im Trainingslager im Januar in Frankreich gemerkt: „Ich habe die Einheiten viel besser weggesteckt als im Vorjahr. Das Training tut mir richtig gut.“ Zudem ist Pille-Steppat seit Februar nicht mehr auf ein Leihboot angewiesen. Die Ruder-Club-Deutschland-Stiftung Rudern hat ein Spitzenmodell für sie angeschafft, mit Bein-, Brust- und Beckengurt, wie in ihrer Klasse vorgeschrieben.

Das könnte ein Vorteil sein gegenüber der Konkurrenz, die ja nicht groß ist. Sieben Ruderinnen sind am Start, nur eine scheidet im Hoffnungslauf am Freitag aus. In ganz Deutschland gibt es erst neuerdings eine weitere Einerfahrerin, Tanja Baier aus München. „Viele Behinderte können sich gar nicht vorstellen, dass sie auch rudern können“, sagt Jochen Weber, der beim Deutschen Ruderverband den Handicap-Bereich koordiniert. Wer etwa nach einem Unfall auf den Rollstuhl angewiesen sei, bekomme als Erstes einen Basketball in die Hand gedrückt. Weber würde gern einen Artikel in der „Apotheken Umschau“ platzieren, um auf das Pararudern aufmerksam zu machen. Ihm selbst fehlten als Freizeittrainer die Möglichkeiten, Athleten anzuwerben.

Sylvia Pille-Steppat fand erst vor drei Jahren zu ihrem zweiten Leistungssport, mit dem sie jetzt kurz vor dem großen Ziel steht. Und sie wird ihn so schnell nicht aufgeben, selbst wenn Lili Wang schneller sein sollte.