Das Abendblatt begleitet vier Hamburger Athleten, bis sie bei den Olympischen Spielen an den Start gehen können.

Nicht einmal vier Monate sind es noch, bis in Rio de Janeiro am 5. August die Olympischen Sommerspiele 2016 eröffnet werden. Und während in Brasilien über schleppende Ticketverkäufe, mangelhafte Baufortschritte und das grassierende Zika-Virus diskutiert wird, arbeiten mehr als 40 Mitglieder des Teams Hamburg daran, sich für den Höhepunkt ihres Jahres vorzubereiten oder sich überhaupt erst dafür zu qualifizieren.

Vier von ihnen – Beachvolleyballerin Laura Ludwig, Hockey-Ass Lisa Altenburg, Ruderer Eric Johannesen und Boxer Artem Harutyunyan – begleitet das Abendblatt ein halbes Jahr lang auf ihren Wegen. Wir wollen in loser Folge aufzeigen, wie hart die Athleten trainieren, wie sie sich vorbereiten, wann aus Vorfreude Anspannung wird und was die wichtigsten Etappen sind auf dem Weg nach Rio.

Artem Harutyunyan

Er könnte derjenige aus dem Quartett sein, der am entspanntesten durch die Vorbereitung geht, schließlich ist der 25 Jahre alte Halbweltergewichtsboxer (Klasse bis 64 Kilogramm) als Einziger bereits fest für Rio qualifiziert. Doch von Lockerheit ist wenig zu spüren im Gespräch mit dem gebürtigen Armenier, und das hat einen einleuchtenden Grund. Sein ein Jahr älterer Bruder Robert, mit dem er bis auf die Lebensgefährtin alles teilt, hat im Leichtgewicht (bis 60 kg) sein Ticket nach Brasilien noch nicht sicher. Es ist der große Traum der Brüder, in Rio gemeinsam um Gold zu kämpfen, und so ist Artem, der sich als Weltmeister der Profiserie APB des olympischen Weltverbands Aiba im August 2015 in Hamburg direkt qualifiziert hat, in diesen Tagen in Gedanken bei Robert.

Körperlich kann er es nicht sein, denn während der Ältere im türkischen Samsun vom 9. April an im Europa-Qualifikationsturnier antritt, muss der Jüngere bei einem internationalen Turnier in Serbiens Hauptstadt Belgrad an der Umstellung auf den olympischen Kampfmodus arbeiten. Dreimal drei Minuten dauert in Rio ein Kampf, als APB-Kämpfer war Artem zuletzt dagegen den bei den Profis üblichen Modus mit zwölf Runden à drei Minuten gewohnt. „Wir haben das Training darauf ausgerichtet, kürzer zu trai­nieren, aber dafür intensiver. Ich denke, dass ich mich körperlich schon umgestellt habe, jetzt fehlt mir aber für den Kopf noch die Wettkampfhärte“, sagt er.

Die holt er sich zunächst in Belgrad, dann Anfang Mai wahrscheinlich bei einem weiteren Turnier auf Teneriffa und Ende Mai in Kanada. Den Riss des Trommelfells, der ihn um die Teilnahme am prestigeträchtigen Chemie-Pokal Anfang März in Halle an der Saale gebracht hatte, hat der Athlet vom TH Eilbeck ausgeheilt. „Ich bin voll im Rhythmus“, sagt er, „und mit jedem Tag steigt die Vorfreude auf Rio!“

Dass in Brasilien erstmals Profis bei den eigentlich für Amateure reservierten Olympischen Spielen antreten dürfen, wenn der Weltverband Aiba am 1. Juni die geplante Statutenänderung beschließt, findet Artem Harutyunyan gut. „Für mich ist das ein weiterer Anreiz, denn das gibt mir die Chance, wirklich die besten Boxer der Welt zu schlagen, um Olympiasieger zu werden“, sagt er. Und für ihn, der mittlerweile beide Welten kennt, könnte das sogar ein Vorteil werden.

Laura Ludwig

Einen Vorteil hat Laura Ludwig in jedem Fall: Die Beachvolleyballerin vom HSV weiß aus eigener Erfahrung, was sie im Olympiarevier am weltberühmten Traumstrand im Stadtteil Copacabana erwartet. Vom 9. bis zum 13. März war die 30-Jährige mit ihrer Partnerin Kira Walkenhorst in Rio beim Grand-Slam-Turnier am Start. Die 1:2-Niederlage gegen die späteren Sieger Kerri Walsh und April Ross aus den USA beendete das Praxisseminar zwar im Viertelfinale, dennoch waren die Erkenntnisse immens wichtig.

„Wir haben uns von Spiel zu Spiel verbessert. Uns fehlt natürlich noch Konstanz, und wir müssen an den Drucksituationen arbeiten. Aber technisch sind wir bereits gut in Form“, sagt die gebürtige Berlinerin, die in Rio ihre dritten Spiele erleben könnte, während Walkenhorst vor ihrer Ringe-Premiere stünde. Dafür muss das Duo nach dem letzten Qualifikationsturnier, das vom 7. bis zum 12. Juni am Hamburger Rothenbaum ausgespielt wird, unter den besten 17 der Weltrangliste stehen, außerdem dürfen maximal zwei Paare aus demselben Land aufschlagen. National sind die beiden Spitze, weltweit stehen sie derzeit auf Position drei.

Ludwig, die mal einen brasilianischen Partner hatte, kennt das Gastgeberland der Spiele bestens. Sechsmal war sie bereits dort. Sie liebt Rio, auch wenn die Stadt sich ihr gut vier Monate vor der Eröffnungs­feier so chaotisch präsentierte, wie es viele befürchtet hatten. Die Wasserqualität, die vor allem Segler und Ruderer bei ihren Tests bemängelten, ist für sie kein Faktor, obwohl drei Kolleginnen, die an der Copacabana baden waren, sofort an Durchfall erkrankten. „In Ipanema, wo wir vor dem Grand-Slam-Turnier eine Woche trainiert haben, war ich auch im Meer baden, und alles war gut. Während Olympia gehen wir einfach nicht ins Wasser“, sagt sie.

Mehr Sorgen bereiten ihr dagegen die Entfernungen zwischen dem olympischen Dorf und der Spielstätte. Als sie die Strecke zu Testzwecken – allerdings noch ohne die während der Spiele geplante Extrafahrspur – mit dem Auto zurücklegten, brauchten sie dafür schlappe zwei Stunden. „Das ist natürlich nicht tragbar während der Wettkampfphase“, sagt sie. Also wird man sich wohl ein Apartment in Ipanema mieten, von wo aus das Beachvolleyballstadion in zehn Minuten per Fahrrad erreichbar ist. Ihr Zimmer im Athletendorf wollen sie trotzdem nicht aufgeben. „An freien Tagen werden wir dort hinfahren und die Atmosphäre aufsaugen. Sonst ist es doch nicht Olympia“, sagt sie.

An das Nomadenleben ist Laura Ludwig ja gewohnt. Oft bleiben ihr nur wenige Tage Zeit, um zwischen Turnieren in ihrer Wohnung in Hamm die Wäsche zu waschen. Dass sie nach dem Brasilien-Trip drei Wochen am Stück in Deutschland trainieren konnte, hat sie als Luxus empfunden. „Es war gut für den Kopf, auch mal Freunde treffen zu können und nicht nur an den Sport zu denken“, sagt sie.

Damit ist es nun jedoch vorbei. Ende dieser Woche geht es ins zweiwöchige Trainingslager nach Los Angeles, anschließend schon wieder nach Brasilien zu den Fortaleza Open (Start 23. April). Nach der Rückkehr am 2. Mai bleibt eine Woche Zeit in Hamburg, bevor Turniere in Antalya (Türkei) und Moskau anstehen. „Es ist gut, dass wir in den Spielrhythmus kommen“, sagt sie.

Lisa Altenburg

Spielrhythmus? Davon konnte Lisa Altenburg nur träumen in den vergangenen Wochen. Für die Hockey-Nationalstürmerin vom Uhlenhorster HC stand einzig Regeneration auf dem Trainingsplan, hatte sie sich doch im Januar beim Zentrallehrgang mit den deutschen Damen in Singapur einen Ermüdungsbruch im rechten Fuß zugezogen. Sechs Wochen lang war nicht einmal Lauftraining möglich, der Fuß durfte nicht belastet werden.

Die dadurch gewonnene Zeit nutzte die Torjägerin, um für die zweieinhalb Jahre alte Tochter Sophie da zu sein. Und für einen einwöchigen Urlaub in Südafrika, den sie mit ihrem Mann Valentin, der als Bundestrainer der Herren in Brasilien dabei ist, allein verbrachte. Die Tochter kennt es ja, bei den Großeltern zu bleiben. „Das war eine sehr wichtige Zeit, weil wir sehr selten die Möglichkeit haben, zu zweit Urlaub zu machen. An Rio habe ich während der ganzen Zeit nicht gedacht“, sagt sie. Weil das Aufbautraining gut verlief und die Ärzte sie wieder spielfähig geschrieben hatten, wollte die Angreiferin an diesem Dienstag im Bundesligaspiel gegen den Stadtrivalen Harvestehuder THC ihr Comeback für den UHC geben. Und beim Lehrgang in Köln mit Testspielen gegen England in der kommenden Woche wollte sie auch im Nationalteam wieder mitmischen. Doch daraus wird nun nichts.

Bei einer abschließenden Untersuchung wurde am vergangenen Freitag festgestellt, dass der Ermüdungsbruch nicht ausgeheilt ist. Weil die Gefahr besteht, dass der Knochen auf konservativem Weg nicht heilt, entschied sich Lisa Altenburg dafür, Olympia nicht zu gefährden. In dieser Woche wird ihr deshalb eine Platte in den Fuß eingesetzt, die den Knochen stützt. Weitere sechs Wochen darf sie im Anschluss an die Operation keine Belastungen riskieren, danach soll alles stabil sein. „Ich hoffe, dass ich dann endlich Ruhe damit habe“, sagt sie.

Eric Johannesen

Seine Ruhe, die hätte Eric Johannesen auch gern. Aber das Programm, das der Achter-Olympiasieger von London 2012 abspult, sieht abseits der zu einem professionellen Training gehörenden Regenerationsphasen keine Pausen vor. Außerhalb der Trainingseinheiten, die der 27-Jährige vom RC Bergedorf von Mittwoch bis Sonntag mit dem 21-köpfigen Leistungskader des Deutschen Ruder-Verbands am Bundesstützpunkt in Dortmund durchzieht, arbeitet er im Rahmen seines dualen Studiums in Business Administration zwei Tage pro Woche für den Schiffsversicherungsmakler Georg Duncker. „Ich bin froh, dass der Bundestrainer mir die Möglichkeit gibt, nach Hamburg zu pendeln, denn die Treffen mit Familie und Freunden sind für mich sehr wichtig“, sagt er.

Wer in Rio im bereits qualifizierten Deutschland-Achter sitzen wird, entscheidet Bundestrainer Ralf Holtmeyer nach den deutschen Kleinboot-Meisterschaften, die vom 15. bis zum 17. April in Köln anstehen. Alle Kadermitglieder treten dort im Zweier an, Eric Johannesen mit dem Trierer Richard Schmidt. Wer sich dort durchsetzt, darf auch in Brasilien ran.

Beim letzten Test vor Ostern in Köln verloren Johannesen/Schmidt nur knapp gegen Felix Drahotta und Anton Braun (Rostock/Berlin). „Es müsste schon Schlimmeres passieren, damit es nicht mit Rio klappt“, sagt Eric, „aber ich darf mich jetzt nicht ausruhen.“

Zumal er beim Ergometertest in Dortmund nach dem dreiwöchigen Trainingslager Ende Februar/Anfang März im spanischen Sevilla mit seiner Leistung nicht zufrieden war. Seine persönliche Bestmarke von 5:48 Minuten über 2000 Meter wollte er angreifen, am Ende blieb er zwei Sekunden darüber. Auch wenn er auf Backbord der Zweitbeste war und insgesamt die drittbeste Zeit schaffte, hat er sich über seinen Auftritt geärgert. „Ich bin etwas schlecht über die dritten 500 Meter gekommen. Normalerweise bin ich da konstant, diesmal hatte ich Schwankungen. Aber das ist eben die Tagesform, die entscheidet“, hat er analysiert.

Und weil Eric Johannesen eben genau weiß, dass die Tagesform bei Einzelsportlern manchmal dazu führt, dass das große Ziel, das eben noch vor Augen schien, außerhalb der Reichweite gerät, hält er sich mit Vorfreude auf die Sommerspiele in Rio bewusst zurück. „Daran denke ich wirklich erst, wenn ich mein Ticket sicher habe.“