Berlin. Nach dem verpassten Ticket für Rio deutet Bundestrainer Heynen Gedanken über Rücktritt an. Diesen hat Star Grozer schon vollzogen.

Der Star der deutschen Volleyball-Nationalmannschaft brauchte besonders viel Trost. Ein Teamkollege nach dem anderen tätschelte dem deprimiert auf dem Parkett der Schmeling-Halle sitzenden Georg Grozer den Kopf, ehe ihn Sebastian Schwarz schließlich auf die Beine zog. Mit beiden Füßen auf dem Boden der Tatsachen angekommen, formulierte der 31-Jährige wenig später das, womit schon zu rechnen gewesen war: „Eigentlich wollte ich nach Rio aufhören, doch das hat sich ja jetzt erledigt. Ich trete aus der Nationalmannschaft zurück, zumindest für ein, zwei Jahre, das habe ich meiner Frau versprochen.“

Deutschland, WM-Dritter von 2014, gehört nicht zum Trio für Rio. Beim europäischen Qualifikationsturnier in Berlin sicherte sich Olympiasieger Russland durch einen 3:1-Finalerfolg über Europameister Frankreich das direkte Ticket zu den Olympischen Spielen im August. Der unterlegene Finalist sowie Weltmeister Polen haben noch die gute Gelegenheit, sich bei einem weiteren Turnier in Japan Ende Mai zu qualifizieren. Die Polen brauchten fast zweieinhalb Stunden, ehe sie sich im Spiel um Platz drei gegen Deutschland mit 3:2 (20:25, 25:22, 16:225, 28:26, 16:14) dazu durchgerungen hatten. Während sie mit ihren vielen Fans unter den 7200 Zuschauern feierten, haderte die unterlegene Mannschaft mit dem bitteren Los, diese Partie verloren zu haben.

Matchball im vierten Satz vergeben

„Wir hätten es so verdient gehabt“, klagte Zuspieler Lukas Kampa. Das ist wohl richtig, galt jedoch nicht minder für den Kontrahenten. Ein Quäntchen Glück, aber auch ihr nimmermüder Teamspirit sicherte den Polen den knappen Triumph. Bis auf den dritten Durchgang waren alle Sätze hart umkämpft. Bei einer 2:1-Satzführung vergaben die Deutschen im vierten Abschnitt eine Vier-Punkte-Führung plus Matchball. Im Tiebreak schienen sie wieder auf gutem Wege zu sein, ehe Bartosz Kurek „einen Ball aus Kreuzberg zurückholte“, wie Kampa es beschrieb. So hieß es 12:12 statt 13:11, ein letztes Mal in diesem hochklassigen wie verrückten Spiel kippte das Momentum zugunsten Polens.

Viele Tränen und die „riesige Enttäuschung“ (Mittelblocker Marcus Böhme) waren verständlich. In Peking 2008 und London 2012 war ein Großteil dieses Teams dabei. Am tiefsten saß der Schmerz offenbar bei Grozer, der in Berlin nicht immer überzeugt hatte, im Spiel um Platz drei jedoch mit 23 Punkten der Beste in seiner Mannschaft vor Christian Fromm (21) war. Auch Denys Kaliberda (12), Böhme und Philipp Collin (je 10), so etwas wie die positive Überraschung des Turniers, trugen viel zum guten deutschen Spiel bei. Allein: Auf der anderen Seite stand eben keine Laufkundschaft, sondern der Weltmeister. Trotzdem hatten die Deutschen nach knapp zwei Stunden Matchball, den ausgerechnet Collin per Aufschlag ins Netz flattern ließ. Auf diesen Netzen stand übrigens „GOlympia“. Daraus wird nun für seine Mannschaft „NOlympia“.

„Wir haben uns nichts vorzuwerfen“, sagte Grozer. „Vielleicht haben wir im vierten Satz den Sieg verschenkt. Aber wir haben wirklich alles gegeben.“ Natürlich habe er sich einen anderen Abschied gewünscht, „doch das kann man sich nicht aussuchen. Es fällt mir sehr schwer, jetzt darüber zu reden.“ Der in Südkorea spielende Profi will sich nun etwas mehr Zeit für seine Familie nehmen.

Hamburger Hübner Trainerkandidat?

Der Star des deutschen Volleyballs ist die erste schwere Personalie, die der Verband DVV verkraften muss. Die nächste deutet sich an. Zwar sagte Bundestrainer Vital Heynen, 46, dies sei nicht der richtige Moment, etwas zu verkünden, „aber meine Gedanken habe ich mir schon gemacht“. Der Vertrag des Belgiers läuft nach den Olympischen Spielen aus. Sein Interesse zu verlängern, scheint nicht allzu groß zu sein, so war es aus manchen seiner jüngsten Äußerungen herauszuhören. DVV-Präsident Thomas Krohne sagte dazu: „Natürlich würden wir gern mit Heynen weiter zusammenarbeiten. Er ist einer der besten Trainer der Welt.“ Ein möglicher Nachfolger wäre der Hamburger Stefan Hübner, 40, vom Bundesligaclub SVG Lüneburg, der wie bei der WM 2014 und auch in Berlin als Co-Trainer Heynen unterstützte.

Krohne und seine Mitstreiter haben einiges an Arbeit geleistet, um das Qualifikationsturnier in Berlin auszurichten. Es war ein voller Erfolg, mit insgesamt fast 30.000 Zuschauern gut besucht. Aber was nun? Vor den DVV-Männern hatten auch die deutschen Frauen zuvor schon beim Turnier in der Türkei die Qualifikation für Rio verpasst, die Tiefschläge nehmen zu. Weitere Rücktritte könnten folgen.

Oder überlegt es sich Heynen doch noch einmal anders? Zumindest er ist auch noch dem Scheitern mit ganzem Herzen bei der Sache. Für die Zeit des Turniers in Japan, wo die Polen sich das Rio-Ticket abholen wollen, hat er einen Plan: „Ich werde mich irgendwo im Wald verstecken.“