Hamburg. Jetzt soll endlich der Kampf um einen richtigen Titel kommen. Jack Culcay glänzte. In Hamburg feierte ein Skandalboxer eine Premiere.

Der Nikolaustag war bereits angebrochen, als sich ein Gefühl festzusetzen begann: Dass es mit dem Profiboxen in Deutschland doch nicht so schlecht steht, wie es in den vergangenen Monaten zu befürchten war. Es lief die elfte Runde der Interimsweltmeisterschaft zwischen Titelverteidiger Jack Culcay und seinem irischen Herausforderer Dennis Hogan, als Szenenapplaus aufbrandete unter den übrig gebliebenen der 3326 Besucher, die in der Wilhelmsburger Inselparkhalle bis weit nach Mitternacht ausgeharrt hatten. Die Fans klatschten begeistert für zwei Kämpfer, die sich Zeh an Zeh gegenüberstanden und mit Schlagserien eindeckten, und das in einem Tempo, als hätten sie gerade erst mit der Arbeit begonnen.

Stehende Ovationen für einen Kampf im Halbmittelgewicht – im Boxland Deutschland, in dem sich viele Zuschauer lieber über niveauarmes Schwergewichtsgeschiebe ärgern, als sich an technisch feinster Klinge der kleineren Gewichtsklassen zu begeistern, ist das kein alltägliches Gut. Umso höher war die Leistung zu bewerten, die Culcay bei seinem einstimmigen Punktsieg über den ebenfalls 30 Jahre alten Hogan ablieferte, und die Promoter Kalle Sauerland später zu Recht als „die beste Leistung in Jacks Profikarriere“ adeln sollte. 119:109, 117:111, 116:112 lauteten die – etwas zu hohen – Wertungen der Punktrichter.

Jack Culcay: Punktsieg gegen Dennis Hogan
Jack Culcay: Punktsieg gegen Dennis Hogan © WITTERS | TayDucLam

Seit sechs Jahren ist der gebürtige Ecuadorianer, der nach dem Gewinn der Amateur-WM 2009 beim seit 2012 insolventen Hamburger Universum-Stall anheuerte, nun Profi. 20 Siege aus 21 Kämpfen hatte er seitdem zusammengeboxt, doch weil ständige Trainerwechsel und damit verbundene Umstellungen von Taktik und Technik ihn mehrmals aus dem Konzept brachten, hatte „Golden Jack“ seine Identität nie gefunden. Das Duell mit Hogan jedoch dürfte genau dieser Kampf gewesen sein, der ihm gefehlt hat, um den Schritt in die erweiterte Weltspitze zu vollziehen.

„Jack hat heute nicht nur gewonnen, er hat geglänzt“, freute sich Kalle Sauerland, und das stimmte. Anders als in vielen vorangegangenen Auftritten, in denen der Neu-Berliner regelmäßig so stark nachgelassen wie er begonnen hatte, schaffte es Culcay in Wilhelmsburg, sich aus einem kleinen Zwischentief in den Runden sieben und acht eindrucksvoll herauszuziehen und in den Schlussrunden ein Feuerwerk seines Könnens abzubrennen. Da waren Schlagserien in höchster Präzision zu sehen, mit Aufwärtshaken, Körper-Kopf-Kombinationen, vor allem aber mit einem linken Haken über Hogans hängende Rechte, der wie ferngesteuert immer wieder am Kopf des zähen Iren landete.

Vor der letzten Runde bekreuzigte sich der in Australien lebende Zimmermann. Doch weil der liebe Gott nicht jedem irischen Boxer in Deutschland helfen kann und er mit der Überraschung, die Tyson Fury am vorvergangenen Wochenende mit dem Punktsieg gegen Wladimir Klitschko über das Schwergewichtsboxen gebracht hatte, wohl schon genug zu tun gehabt hatte, musste Hogan anerkennen, dass er trotz aller Mühen chancenlos gewesen war. „Ich habe alles versucht, aber Jack war so beweglich, dass ich nie in den Kampf gefunden habe“, sagte er.

Der Triumphator blieb auch im Angesicht seines größten Sieges so unaufgeregt, wie man ihn kennt. „Ich bin sehr zufrieden, weil ich das umsetzen konnte, was ich im Training geübt habe. Dennoch gibt es einiges, was ich verbessern muss. Ich muss noch mehr trainieren“, sagte Culcay auf der in seine Umkleidekabine verlegten Pressekonferenz. „Nein“, rief da Trainer Ulli Wegner, „das, was du machst, reicht.“ Culcays Konter: „Dann muss ich eben besser trainieren.“

Was das nächste Ziel ist, daran ließ Wegner keinen Zweifel. „Wir wollen nicht nur die Weltspitze erreichen, sondern sie auch bestimmen.“ Will Culcay diese Herausforderung allerdings bestehen, muss er sein Angriffsverhalten noch effektiver gestalten. Auf der Mitgliederversammlung des Weltverbands WBA in zehn Tagen in Panama-City dürfte festgelegt werden, wann WBA-Champion Erislandy Lara (Kuba) zur Pflichtverteidigung gegen Interims-Titelträger Culcay anzutreten hat. Allerdings könnte sich Kalle Sauerland auch ein Duell mit WBO-Weltmeister Liam Smith (England) oder US-Legende Shane Mosley, 44, vorstellen. „Jack braucht große Kämpfe, und mit seinem Stil ist er für die USA interessant.“ Anscheinend, so der Eindruck aus Hamburg, aber endlich auch für Deutschland.

Dass Sauerland auch in der nach Klitschkos Niederlage in Bewegung kommenden Schwergewichtsszene mitreden möchte, wurde im Rahmenprogramm deutlich. Im unterhaltsamsten Kampf des Abends prügelte der neu verpflichtete Brite Dereck Chisora, 31, den Ungarn Peter Erdos knapp fünf Runden lang brachial durch den Ring, ehe sein technischer K.-o.-Sieg feststand. Der Bulgare Kubrat Pulev, 34, schlug den US-Veteranen Maurice Harris nach 1:59 Minuten mit einem rechten Haken zur kurzen Rippe k.o. Noch beeindruckender war der Sieg des Schweden Adrian Granat, 24. Der Gastboxer des Hamburger EC-Stalls setzte sich in Runde eins gegen den britischen Ex-Europameister Michael Sprott durch. Alle drei bewiesen, dass sie zu den Athleten zählen, die ein Wort mitreden könnten, wenn die Pfründe des wankenden Dominators Klitschko verteilt werden.