So erlebte Abendblatt-Reporter Alexander Laux die dramatische Absage des Länderspiels zwischen Deutschland und den Niederlanden.

Kurz vor 23 Uhr geht es für den Journalisten-Kollegen und mich vom niedersächsischen Innenministerium Richtung Parkplatz. Die Pressekonferenz mit Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), Liga-Präsident Reinhard Rauball und Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius ist eine Stunde vorbei. Regenschauer fallen vom Himmel, es ist ungemütlich. Jetzt bloß weg hier. Doch am Schützenplatz sind alle Eingänge verbarrikadiert. Ein Polizist in dunkler Kampfmontur und Schnellfeuerwaffe in den Händen fordert uns auf, uns auszuweisen. Nach kurzer Rücksprache mit seinem Vorgesetzten ruft er einen weiteren Beamten zu sich und sagt: „Wir begleiten sie zu ihren Autos.“

Nur noch wenige Autos stehen auf dem riesigen Areal. Im Halbdunkel ist schon die HDI-Arena zu sehen. Auf halber Strecke raunt der Polizist seinem Partner zu: „Ich habe keine Lust, vom Sprengstoff gekitzelt zu werden. Wir sind ganz schön nah dran...“ Was er meint, behält der Polizist für sich. Und plötzlich wird jeder Schritt auf dem Asphalt zum Wagnis.

Szenen, wie man sie aus Spielfilmen kennt

Es gab einige solcher Momente am Dienstagabend, die ich bisher nur von Spielfilmen kannte. So viele Waffen aus kurzer Distanz habe ich noch nie gesehen. Männer und Frauen mit Maschinengewehren oder Pistolen im Anschlag. Laute, bestimmte, ja scharfe Anweisungen, in denen häufig aber auch die eigene Angst und Bedrohung mitschwang.

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Ich begleite die deutsche Fußball-Nationalmannschaft seit 15 Jahren. Als Jugendlicher war ich ein Fan, und ja, auch als Journalist habe ich (heimlich) mitgejubelt bei Triumphen wie zuletzt dem WM-Titel oder mitgelitten bei schmerzlichen Niederlagen, besonders nach dem 0:2 gegen Italien im WM-Halbfinale 2006. Aber egal ob Sieg oder Niederlage, eines waren Länderspiele mit Deutschland immer: Festtage.

Es machte Spaß, bei Auswärtsspielen durch die Stadt zu schlendern, die Fans beider Teams auf den großen Plätzen zu sehen oder in den Kneipen. Man saugte die Vorfreude auf das Ereignis auf und spürte die Energie, wenn sich das Stadion mit Menschen und Energie füllte.

In Hannover jedoch ist an diesem 17. November etwas kaputtgegangen – die Unbeschwertheit des Spiels. Ganz sicher werden sich viele Menschen auf dem Nachhauseweg gefragt haben: Wie soll ich diese Bilder wieder aus dem Kopf bekommen?

Dass es kein normales Länderspiel werden sollte, war schon am Tag in der Stadt spürbar. Kaum einmal Gesänge, die Fans verzichteten größtenteils auf Trikots oder bunte Hüte. Spätestens aber auf der Anfahrt zum Schützenplatz war dem letzten Anhänger der Nationalmannschaft klar, dass, um ein Zeichen für Freiheit und Demokratie zu setzen, ein unfassbar großes Aufgebot an Sicherheitskräften nötig war. Kurz vor der Einfahrt auf den Parkplatz patrouillierten Polizisten mit ihren furchteinflößenden Waffen, die Autos standen quer, so dass die Fußballfans nur im Schritttempo passieren konnte. Am Rand kontrollierten Beamte zwei Fahrzeuge aus den Niederlanden, ließen den Kofferraum öffnen.

In Wembley wurde gespielt

Bewegendes Länderspiel in Wembley

Er hat seine Cousine bei den Anschlägen verloren: Nationalspieler Lassana Diarra
Er hat seine Cousine bei den Anschlägen verloren: Nationalspieler Lassana Diarra © REUTERS | John Sibley
Prinz William legt einen Kranz nieder
Prinz William legt einen Kranz nieder © dpa | Andy Rain
Gespielt wurde später auch: Yohan Cabaye und Gary Cahill
Gespielt wurde später auch: Yohan Cabaye und Gary Cahill © Getty Images | Shaun Botterill
Eine Besucherin in Wembley
Eine Besucherin in Wembley © REUTERS | Dylan Martinez
Premierminister David Cameron (l.) mit Prinz William
Premierminister David Cameron (l.) mit Prinz William © dpa | Andy Rain
Lucas Digne, Laurent Koscielny und Hugo Lloris
Lucas Digne, Laurent Koscielny und Hugo Lloris © REUTERS | John Sibley
Paul Pogba, Lassana Diarra und Eliaquim Mangala
Paul Pogba, Lassana Diarra und Eliaquim Mangala © Getty Images | Paul Gilham
Vor dem Spiel sangen alle Zuschauer die französische Nationalhymne
Vor dem Spiel sangen alle Zuschauer die französische Nationalhymne © REUTERS | Carl Recine
Auch die Engländer zeigten sich betroffen: Wayne Rooney, Joe Hart und Harry Kane
Auch die Engländer zeigten sich betroffen: Wayne Rooney, Joe Hart und Harry Kane © REUTERS | Darren Staples
Gemischte Mannschaften vor dem Anpfiff
Gemischte Mannschaften vor dem Anpfiff © REUTERS | John Sibley
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Gegen 18.45 Uhr plötzlich Blaulicht, Sirenen auf den Straßen. Etliche Polizeifahrzeuge sausten an unserer Autoschlange vorbei Richtung Stadion. Irgendetwas stimmte hier nicht. Vor dem Stadion standen tauschende Menschen, warteten darauf, in die Arena gelassen zu werden. Ganz automatisch kam bei mir der Gedanke hoch: Was ist, wenn jetzt einer unter denen ist, der einen Sprengstoffgürtel um den Körper geschnallt hat? Die Stimmung war anders als sonst, bildete ich mir ein. Die Verunsicherung war förmlich spürbar.

Die Hostessen durften nicht mal ihre Mäntel holen

Dann ging nichts mehr. Alle Eingänge dicht, auch an Tor 3, dort, wo die Bundeskanzlerin eigentlich in einigen Minuten einfahren sollte. Ich kam nicht mehr rein in die Arena.

„Wir dürfen niemanden hier mehr hereinlassen“, sagte ein Polizist, der über Funk die aktuellen Informationen erfuhr. „Ich habe gehört, dass das Spiel wohl abgesagt wird.“ Einige Tausend Zuschauer waren zu diesem Zeitpunkt bereits in der Arena, darunter etliche Journalisten. Nur eine Minute später nickte der Polizist: „Bestätigt, das Spiel fällt aus.“

Höflich, aber mit bestimmten Worten wurden die Menschen aufgefordert, so erfuhr ich später von Kollegen, das Stadion zu verlassen – und zwar unverzüglich. Den Hostessen ließ man nicht einmal mehr Zeit, Jacken oder Mäntel zu holen. „Alle raus hier!“

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Die Enttäuschung war in den Gesichtern aller zu sehen, aber erstaunlich ruhig und langsam verließen die Zuschauer die Arena. Von Panik keine Spur.

Die Polizisten machten klare Ansagen

Oder war es ganz einfach so, als ob man nicht nicht wirklich fassen konnte, was da gerade vor sich ging? Fühlte nicht nur ich mich wie in einem schlechten Spielfilm?

Vor dem Stadion, wo die Imbissbuden und das Zelt des Fanclubs der Nationalmannschaft standen, bildeten sich Gruppen von Menschen, die wissen wollten, was hier vor sich geht. Wie im Automatikmodus nahm ich die Ansage eines Polizisten auf, der die Zuschauer über ein Megafon aufforderte: „Bitte gehen Sie nach Hause! Das Spiel ist abgesagt, es gibt keinen Grund mehr für Sie, länger hier zu bleiben.“

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Dann war plötzlich auch der Zugang zum Schützenplatz gesperrt. „Gehen Sie hier die Straße entlang. Zum Platz kommen Sie jetzt nicht mehr.“

Nur einen Steinwurf entfernt sammelte sich die DFB-Spitze im Hotel Courtyard Marriott, einige Journalisten und Fans warteten. Augenblicke später wieder die Lautsprecheransage von der Polizei: „Wenn Sie kein Hotelgast sind, verlassen Sie bitte den Vorplatz.“ Sicherheitskräfte kontrollierten den Zugang.

Gegen 20.15 Uhr – eigentlich sollte in einer halben Stunde der Anpfiff erfolgen, herrschte eine fast schon gespenstische Stille rund um das Stadion, eine tiefe Traurigkeit hat sich wie ein dunkler Schleier über die Stadt Hannover gelegt.

Journalisten wurden gründlich gefilzt

Wir erfuhren von der angesetzten Pressekonferenz mit de Maizière, nur 1,3 Kilometer entfernt vom Stadion und marschierten los. Vor dem Gebäude – wieder Polizisten mit Gewehren. „Treten Sie einen Meter zurück“, erklang der scharfe Befehlston. Stau am Eingang, weil jeder Journalist ganz genau vor dem Betreten des Konferenzraum gefilzt wurde. „Tut mir leid, aber das ist angesichts der Umstände notwendig“, sagte der Beamte, der mich so genau abtastete, dass er sich sogar Reste eines Papiertaschentuchs zeigen ließ.

Gerade noch rechtzeitig zu Beginn der Pressekonferenz schaffte ich es in den Raum. Einen Satz von Rauball strich ich mir dick an: „Mein Eindruck ist: Der Fußball in Deutschland hat mit dem heutigen Tag in vielen Facetten eine andere Wendung bekommen.“

Der Fußball war vor der WM 2006 identitätsstiftend für die Deutschen, er lud ein zum gemeinsamen Feiern. Millionen standen auf den Fanmeilen. Nach dieser Nacht der Angst fällt es schwer zu glauben, dass es im Sommer bei der EM in Frankreich wieder zu fröhlichen und friedlichen Festtagen kommen kann.

Die Unsicherheit wird ab jetzt ein ständiger Begleiter des Fußballs sein, die nur ganz schnell abzuschütteln sein wird.