Berlin. Münchens Ex-OB Christian Ude spricht über seine Erfahrungen mit Olympia-Konzepten, die Chancen für Hamburg und Tipps an Olaf Scholz.

Der ehemalige Münchner Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) kennt sich aus mit Olympiabewerbungen. Bei der Vergabe der Winterspiele 2018 unterlag die bayrische Landeshauptstadt dem südkoreanischen Mitbewerber Pyeongchang, für 2022 scheiterte ein erneuter Versuch an dem Willen der Bürger. Im SID-Interview spricht Ude über die Hamburger Bewerbung, die Chancen auf einen erfolgreichen Bürgerentscheid und das Internationale Olympische Komitee (IOC).

Frage: Herr Ude, mit wie viel Wehmut haben Sie die Olympiaentscheidung zwischen Berlin und Hamburg mitverfolgt?

Christian Ude: Natürlich kommen Erinnerungen an die zwei Anläufe in München wieder ins Gedächtnis. Mit dem Ergebnis für Hamburg habe ich offen gesagt gerechnet, weil ich weiß, wie viele kritische Stimmungen es in Berlin gibt. Da ist Hamburg viel optimistischer. Das hat sich ja durch die Demoskopie auch bewahrheitet.

Hätten Sie sich auch persönlich für Hamburg entschieden?

Ude: Es war ja keine Entscheidung für eine Stadt, sondern es war eine Reaktion auf Meinungsumfragen. Die Bevölkerung in Hamburg hat mehr Lust auf große Herausforderungen als das ohnehin schon reichlich strapazierte Berlin.

Also hätte die Berliner Kampagne eigentlich ohnehin nichts machen können?

Ude: Nein. Ich denke, dass es an einer Skepsis liegt, die sich in Berlin aus vielfältigen Erfahrungen speist. Während Hamburg sich eine größere und stärkere Rolle wünscht. Da kommt eine Olympiabewerbung sehr gelegen.

Von Berliner Seite wurde immer wieder betont, man hätte international größere Chancen...

Ude: Das ist jetzt eine Debatte über verschüttete Milch. Ich glaube, dass Berlin als Hauptstadt natürlich eine besondere Ausstrahlungskraft hat, aber genauso auch größeren Bedenken begegnet. Die Entscheidung der Bevölkerung hat ja widergespiegelt, wie man vor Ort dazu steht. Der DOSB war gut daran beraten, sich an der Meinung der Bevölkerung zu orientieren. Ein sachliches Argument gegen Hamburg habe ich noch nicht gehört. Es ist ein sehr gut überlegtes Konzept auf der Höhe der Zeit. Jetzt gilt es, die Kräfte auf die Bewerbung zu konzentrieren und nicht jetzt schon anzufangen, die ersten Haare in der Suppe zu suchen.

Zeitplan Olympia-Bewerbung

21. März

Außerordentliche DOSB-Mitgliederversammlung in Frankfurt mit Kür des deutschen Bewerbers. Die Mitglieder können nur noch dem Präsidiumsvorschlag Hamburg zustimmen oder ihn ablehnen. Eine Wahl findet nicht mehr statt. Die Zustimmung gilt als sicher.

Voraussichtlich September

Hamburg stimmt in einem Bürgerentscheid über Olympische Spiele ab.

15. September 2015

Ende der Anmeldefrist beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC).

7. bis 9. Oktober

IOC-Info-Seminar für die Bewerberstädte für 2024.

8. Januar 2016

Abgabe der Bewerbungsunterlagen und finanziellen Garantien beim IOC - das etwa 80-seitige sogenannte Mini Bid Book.

April/Mai 2016

Benennung der offiziellen Kandidaten durch das IOC.

5. bis 21. August 2016

Die Kandidatenstädte nehmen im Rahmen des Beobachterprogramms des IOC an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro teil.

Januar 2017

Kandidaten müssen das erforderliche „Bid-Book“ einreichen.

Februar/März 2017

Besuche der IOC-Evaluierungskommission in den Kandidatenstädten.

Juni 2017

Bericht der IOC-Evaluierungskommission, Kandidatenstädte stellen sich den IOC-Mitgliedern vor.

Sommer 2017

Wahl des Ausrichters der Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 auf der 129. IOC-Session in Lima/Peru.

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Was für Chancen können Olympische Spiele einer Stadt eröffnen?

Ude: Das weiß man glaube ich in keiner Stadt besser als in München. Olympische Spiele können für die Stadt ein großer Schritt nach vorne sein, weil sich die gesamte Stadt intensiv einen längeren Zeitraum mit ihrer Zukunft beschäftigt. Diese Bündelung aller Kräfte, kann eine Riesenchance sein. Bedenken und Zweifel dürfen aber nicht die Oberhand gewinnen.

Jetzt steht der Bürgerentscheid in Hamburg an. Aus ihrer Erfahrung: Können Sie ihrem Parteikollegen Olaf Scholz Tipps geben?

Ude: Ich gebe einen Hinweis, der auf den begrenzten Handlungsspielraum der Kommunen verweist: Nach meiner festen Überzeugung, die sogar Kritiker der Olympiabewerbung teilen, ist das Projekt München 2022 nicht an Fehler in der Bewerbung gescheitert, sondern an der internationalen Stimmung. Wir hatten zu Beginn sogar 70 Prozent Zustimmung bei Meinungsumfragen, aber dann kam der Umschwung durch die Entscheidungen des internationalen Sports für Sotschi und Katar. Und es kamen Erfahrungen und Hintergrundberichte über die Vorgehensweise des IOC. Das war der entscheidende Punkt. Man könnte zugespitzt sagen: Die bayrische Bewerbung ist nicht in München und Garmisch-Partenkirchen gescheitert, sondern in Sotschi und Katar.

Lang ist's her: Christian Ude 2007 bei der Vorstellung des Hamburger Olympia-Konzeptes für 2018
Lang ist's her: Christian Ude 2007 bei der Vorstellung des Hamburger Olympia-Konzeptes für 2018 © Witters

Worauf muss Hamburg denn achten?

Ude: Es kommt meines Erachtens in den nächsten Wochen und Monaten darauf an, ob der internationale Sport die gigantische Zustimmung, die er einmal hatte, wieder zurückerobert. Oder ob sich bei den Bürgern der Eindruck breit macht, eine Bewerberkommune sei Spielball von Interessen der internationalen Sportindustrie. Die planerische Konzeption in Hamburg ist meiner Meinung nach voll überzeugend. Die wirtschaftliche Kraft der Stadt auch ausreichend. An Sachargumenten kann man gar nicht mehr aufhäufen, als in Hamburg schon aufgetürmt wurde. Die entscheidende Frage ist, ob die Einstellung der Bevölkerung zu den Gremien des internationalen Sports positiver wird oder aufgrund der letzten Erfahrungen negativ bleibt.

Kurz vor dem Bürgervotum entscheidet das IOC über den Ausrichter für die Winterspiele 2022 zwischen Peking und Almaty. Könnte das nochmal ein Knackpunkt sein?

Ude: Natürlich wird es das Ansehen des IOC belasten, wenn es kritikwürdige Vorgänge gibt. Es bleibt aber der Bevölkerung überlassen, welche Konsequenzen sie daraus zieht. Wenn der Austragungsort nicht demokratisch genug ist, kann man daraus ja auch den Schluss ziehen, demokratische Städte müssen sich endlich bewerben, damit sie zum Zug kommen. Man kann aber auch den Schluss ziehen, beim IOC haben auch bedenkliche Austragungsorte eine Chance - also sieht man den ganzen Laden skeptisch. Ich glaube, dass da die Diskussion in Deutschland noch geführt werden muss. Es wäre verhängnisvoll, wenn die großartige olympische Idee autoritären Systeme überlassen wird, weil sich demokratische Gesellschaften aus Kritik heraus nicht mehr bewerben wollen.

Wie geht man denn mit den Gegnern einer Bewerbung am besten um?

Ude: Man muss die Kritiker zunächst einmal ernst nehmen. Sie artikulieren Bedürfnisse, die zweifellos vorhanden sind und in der Berichterstattung nicht immer zum Zuge kommen. Sie artikulieren Kritik an den Kommerzialisierungsprozessen oder an den Kosten, die auch ihre Berechtigung hat. Sie als Sportmuffel oder rückständige Kleingeister zu verhöhnen, wäre vollkommen falsch. Vielleicht beleidigt man damit die Bevölkerungsmehrheit, ohne es zu ahnen. Die Kritik muss ernst genommen werden. Was die notwendigen Investitionen angeht, durch überzeugende finanzierbare Konzepte. Die gibt es meiner Meinung nach in Hamburg. Was das Kritik am Verfahren angeht, durch mehr Glaubwürdigkeit und Transparenz. Da ist das IOC selbst gefragt. Aber IOC-Präsident Thomas Bach kennt die deutschen Erfahrungen und weiß, was sich ändern muss. Was den Zwang der Kommunen angeht, sich den Kommerzialisierungswünschen des IOC zu beugen, da muss es echte Reformen geben. Eine Verhandlungsrunde auf Augenhöhe statt ein Diktat des IOC, das sagt: Friss oder stirb.

Sie haben ja im Rahmen der Münchener Olympiabewerbung auch das Parkett des IOC schon betreten. Was hat Sie denn bei der Werbung für München 2018 trotz ihrer jahrelangen Erfahrung in der Politik noch überrascht? Worauf muss sich Hamburg eventuell einstellen?

Ude: Überraschend war für mich die Bedeutung, die der olympische Zirkus an sich beansprucht. Wie viel an Aufwand getrieben wird, um das IOC ins richtige Licht zu tauchen. Und wie wenig davon mit dem Sport und den Ausrichterstädten zu tun hat. Da würde ich mir mehr Bescheidenheit wünschen. Und ich würde mir wünschen, dass der riesige Aufwand, der mit der Evaluierungskommission getrieben wird, dann auch dazu führt, dass ihr Votum ernst genommen wird. Bei den letzten Entscheidungen hatte ich schon gelegentlich den Eindruck, dass für viele IOC-Mitglieder die Entscheidung längst gefallen war, bevor der olympische Zirkus seine Vorstellung eröffnet hat.

Beziehen Sie das nur auf München 2018?

Ude: Ich hab nur die beiden Entscheidungen hintereinander näher verfolgt und kann mich vor allem darauf beziehen. Ich bin aber natürlich auch über die Medien unterrichtet, was es bei Sommerspielen schon für Erfahrungen gegeben hat.

Sie hatten mit Katarina Witt ein sehr prominentes Aushängeschild der Bewerbung. Fällt Ihnen da für Hamburg jemand vergleichbares ein?

Ude: Ich kann nur darauf verweisen, dass Katarina Witt für uns eine hervorragende Botschafterin war. Es ist toll, wenn man eine Sportlerpersönlichkeit gewinnen kann, die weltweit bekannt ist. Die auch jeder Gastgeber gerne einlädt und der Medienwelt vorstellt. Es ist Sache der Hamburger, einen geeigneten Repräsentanten zu finden. Wobei man nicht nur bedenken sollte, was man selbst gerne sieht und hört. Sondern, dass es auch wichtig ist, dass der Botschafter dazu beiträgt, die deutsche Bevölkerung zu mobilisieren und international eine 'bella figura' macht. (sid)