Die Deutsche Handball-Nationalmannschaft feiert mit 27:26 gegen Russland ihren zweiten Sieg bei der WM in Katar. „Nicht ganz so überzeugende Vorstellung wie im ersten Spiel“, kritisiert Ex-Trainer Heiner Brand.

Doha. Präsident Bernhard Bauer applaudierte Matchwinner Uwe Gensheimer, sein Stellvertreter Bob Hanning fiel seinem Berliner Vereinstrainer Dagur Sigurdsson überglücklich in die Arme: Mit dem 27:26 (9:13)-Zittersieg gegen den dreimaligen Weltmeister Russland haben sich die deutschen Handballer bei der WM in Katar so gut wie sicher ins Achtelfinale geworfen.

„Das war ein leidenschaftlicher Kampf bis zur letzten Sekunde. Wir haben das Spiel umgebogen, da wir in der zweiten Halbzeit alles auf die Platte gebracht haben. Das gibt noch mehr Selbstvertrauen und eine breite Brust für das Spiel gegen Dänemark am Dienstagabend“, sagte Bauer nach dem zweiten Sieg im zweiten WM-Spiel. Nach dem 29:26-Auftakterfolg gegen Polen folgt gegen Vizeweltmeister Dänemark morgen (19 Uhr, Sky live) die nächste Bewährungsprobe. Schon ein Unentschieden könnte dann reichen, um Gruppensieger zu werden. „Insgesamt war das aber eine nicht ganz so überzeugende Vorstellung wie im ersten Spiel“, meinte der ehemalige Weltmeister-Trainer Heiner Brand.

Überragender Akteur gegen die Russen war Jubilar Gensheimer. Der Kapitän krönte in Doha sein 100. Länderspiel mit neun Toren und leistete sich nur einen Fehlversuch. „Das war eine ganz große Leistung“, sagte der frühere Weltklassetorhüter Henning Fritz bei Sky. „Die kämpferische Leistung war insgesamt überragend. Wir haben uns in der zweiten Hälfte in allen Bereichen gesteigert. Über die Außenpositionen waren wir sehr effektiv.“ Gensheimer wurde zu Recht zum Spieler der Partie gewählt, doch der Linksaußen der Rhein-Neckar Löwen dachte schon an die nächsten Aufgaben: „Dieser Sieg kann uns für den weiteren Verlauf einen Schub geben. Weil wir gesehen haben, dass wir mit einem Rückstand umgehen und so ein Spiel drehen können.“

Auswahl offenbarte Schwächen

Trotz der starken Leistung des Gummersbachers Carsten Lichtlein am Freitag gegen Polen vertraute Sigurdsson zunächst Silvio Heinevetter im Tor. Der Isländer begründete die Personalie kurz vor Spielbeginn in der Lusail Multipurpose Hall mit seinem „Bauchgefühl“. Dieses ließ ihn nicht im Stich. Heinevetter parierte nach 59 Sekunden den ersten Siebenmeter und bot gegen den WM-Siebten auch in der Folge eine gute Leistung. Im Gegensatz zum Spiel gegen Polen offenbarten die Deutschen vor 3500 Zuschauern im Angriffsspiel zunächst jedoch große Schwächen. Von der aggressiven russischen Deckung ließen sie sich oft den Schneid in den Zweikämpfen abkaufen, der Rückraum entwickelte zu wenig Druck.

Die deutsche Abwehr stand in ihren wechselnden Formationen zwar sicher, die Unzulänglichkeiten im Angriff wurden damit allerdings im ersten Durchgang nicht kompensiert. Bis zur Pause hatte der deutsche Rückraum durch den Kieler Steffen Weinhold (2) und den Göppinger Michael Kraus (1) lediglich drei Tore erzielt – zu wenig, um internationalen Ansprüchen zu genügen. Die Schwächen seiner Kollegen trieben auch Heinevetter zur Verzweiflung, nach dem Gegentreffer zum 7:9 (23. Minute) hüpfte der Berliner wie ein Rumpelstilzchen durch seinen Kreis. Sigurdsson versuchte derweil in den Auszeiten beruhigend auf seine Mannschaft einzuwirken und mit taktischen Umstellungen Einfluss zu nehmen.

Sein Team kam nach der Pause wie verwandelt aufs Feld zurück. Die Anspiele auf Kreisläufer Patrick Wiencek funktionierten besser, der Rückraum entwickelte mehr Druck. Der Lohn war der Ausgleich durch Patrick Groetzki (14:14/35.). Damit hatte die DHB-Auswahl nach fünf Minuten in der zweiten Halbzeit ein Tor mehr erzielt als zwischen Minute 15 und 30. Die von Oleg Kuleschow trainierten Russen hielten , angetrieben vom Berliner Konstantin Igropulo, aber weiter kräftig dagegen – teils auch mit überharten Methoden. Daraus resultierten nach Zeitstrafen zahlreiche Überzahl-Situationen, die Deutschen jetzt konsequenter nutzten. Stefan Kneer sorgte für die erste Führung (18:17/41.), doch die Partie blieb bis zum Ende umkämpft.

Unnötige Spannung kurz vor Abfiff

Sigurdsson brachte für die Schlussphase Lichtlein, der sich mit einer sensationellen Fußabwehr glänzend einführte (45.). Groetzkis herrlicher Heber bedeutete die erste Drei-Tore-Führung (23:20/47.). Den Vorsprung ließ sich das deutsche Team auch in doppelter Unterzahl (52.) nicht mehr nehmen, auch wenn die Russen noch einmal auf 26:27 verkürzten (58.) und in den letzten 28 Sekunden in eigener Überzahl die Chance zum Ausgleich mit einem Fehlpass vergaben. Kraus hatte zuvor mit zwei tapsigen Stürmerfouls, die zweimal einen schnellen Ballverlust zur Folge hatten, die Begegnung noch einmal unnötig spannend gemacht.

Der Bundestrainer war deshalb nur bedingt zufrieden. „Einen besseren Turnierauftakt hätte es nicht geben“, sagte der Isländer, „aber gegen die Russen haben wir lange Zeit nicht unseren gewohnten Rhythmus gefunden und am Schluss ein bisschen Glück gehabt. Nach der Pause haben wir wieder mit höherem Tempo gespielt, das war schließlich ausschlaggebend.“

Tore, Deutschland: Gensheimer (Rhein-Neckar Löwen) 9 (4 Siebenmeter), Groetzki (Rhein-Neckar Löwen) 6, Wiencek 4, Weinhold (beide Kiel) 2, Drux (Berlin) 2, Kraus (Göppingen) 2, Strobel (Balingen) 1, Kneer (Rhein-Neckar) 1; Russland: Igropulo 6 (3), Dibirow 5, Atman 4, Schipurin 3, Kowalew 3 (1), Tschitnikow 2, Gorbok 2, Schischkarew 1. SR: Kliko/Johansson (Schweden). Zeitstrafen: 7; 8.