Auftaktspringen der Vierschanzentournee muss abgebrochen werden. Neustart am heutigen Montag.

Oberstdorf. Perfektes Winterwetter für eine ausgelassene Schneeballschlacht, dachte sich Skisprung-Held Simon Ammann und balgte sich mit kleinen Fans oben am Schanzenturm in Oberstdorf. Bester Zeitvertreib bei eigentlich nervenaufreibender Warterei. Das Auftaktspringen der Vierschanzentournee hätte längst in Gange sein sollen. Die 24.500 Zuschauer auf den Tribünen feierten währenddessen bei drei Minusgraden tapfer weiter, um bloß nicht einzufrieren. Andere stapften bibbernd aus dem Stadion. Viele von ihnen hatten schon seit vier bis fünf Stunden in der Kälte ausgeharrt, um sich gebührend auf den prestigeträchtigen Wettbewerb einzustimmen. Alleine: Es flog kein Springer von der Schanze. Nicht im Probedurchgang und auch nicht zum eigentlichen Start um 16.30 Uhr. Der Wind als Spielverderber.

18.03 Uhr war es, als ein verrückter und schwieriger Wettkampf begann, ein zähes Springen, das dem nicht würdig war. Unbefriedigend für alle – für die Athleten bei ihrem Saison-Highlight, für die wartenden Zuschauer im Stadion und die Millionen vor dem Fernsehbildschirm. Um 19.12 Uhr, nach gerade einmal elf Springern in mehr als einer Stunde, machte die Jury dem Treiben ein Ende: Abbruch. „Ich bin erleichtert“, sagte Bundestrainer Werner Schuster. Es ist das erste Mal, dass ein Tournee-Auftaktspringen in Oberstdorf abgebrochen werden musste. Montag um 17.30 Uhr soll der Wettbewerb nachgeholt werden.

„Wir haben die Athleten heute überstrapaziert“, gab FIS-Renndirektor Walter Hofer zu. „Wir haben versucht, uns auf das prognostizierte Wetter zu verlassen. Das ist zu keinem Zeitpunkt eingetreten. Irgendwann muss man auf die Bedürfnisse der Athleten Rücksicht nehmen“, begründete Hofer den Abbruch. „So etwas habe ich bei der Tournee noch nie erlebt“, sagte Martin Schmitt. Der TV-Experte für Eurosport war immerhin 18-mal dabei.

Am Ende war es einfach zu gefährlich. Und unfair. Eine Windlotterie hätte das so wichtige erste der vier Springen stark beeinflusst, eine Vorentscheidung für den Gesamtsieg getroffen und womöglich auch den ein oder anderen Springer an den Rande eines Sturzes gebracht – das darf nicht sein. „Es hat keinen Sinn mehr gemacht“, sagte Schuster: „Man hätte würfeln können. Für den Sport ist es die richtige Entscheidung, aber für die vielen Menschen hier tut es mir sehr leid.“ Sie hatten auf einen glanzvollen Start der deutschen Adler um Severin Freund gehofft. 13 Jahre nach Sven Hannawalds Tournee-Triumph fühlt sich der 26-Jährige dafür bereit, um den Sieg mitzukämpfen.

Zumindest auf den ersten Blick hätten die Bedingungen am Sonntag in Oberstdorf auch nicht besser sein können. Statt Wintersport im Grünen wie zuletzt in Engelberg/Schweiz ragte aus der weißen Winterwunderlandschaft des kleinen Örtchens die beleuchtete Schattenbergschanze im Schneefall hervor. Pünktlich zum Auftakt der Tournee hatte der Winter eingesetzt. Dabei war die Schanze zuvor wegen des warmen Wetters mit 3500 Kubikmetern Kunstschnee präpariert worden.

Jetzt türmten sich in der Innenstadt die beiseite geräumten Schneeberge einen knappen Meter hoch. Perfektes Wetter für die Zuschauer – und auch die Springer stört ein bisschen Schneefall herzlich wenig. Die Anlaufspur muss bei derlei Bedingungen zwar immer wieder mit Laubbläsern freigepustet werden, aber darauf waren die Helfer vorbereitet. Der wechselhafte und starke Wind jedoch bereitete schon am Morgen Sorgen. Ohne Probedurchgang sollte es deshalb direkt losgehen. Es ging sofort um alles. Dachten alle.

Nachdem der erste Sportler endlich gesprungen war, war es mit der Euphorie jedoch schnell wieder vorbei. Erst 30 Minuten später segelte der zweite Athlet den Hang hinunter.

Zu wechselhaft und stark wehte der Wind. Die erste Schrecksekunde war nur eine Frage der Zeit. Und sie kam schnell. Marinus Kraus geriet kurz nach dem Absprung bei sehr viel Aufwind ins Rudern, schlingerte durch die Luft – ein Raunen ging durchs Publikum. Nur mit Mühe und einer guten akrobatischen Einlage rettete sich der Deutsche heil hinunter. „Die Bedingungen sind kritisch. Ich war an der Grenze mit dem Sprung“, sagte er. „Da muss man Glück haben, dass man nicht auf die Nase fällt.“ Werner Schuster atmete auf dem Trainerturm tief durch. Das war knapp.

„Ich bin froh, dass er auf beiden Beinen gelandet ist“, sagte Schuster, wollte aber nicht alles auf die Bedingungen schieben. „Es war sein erster Tourneesprung, Marinus hatte große Ambitionen, da will man nicht zu passiv agieren.“ Kraus, so Schuster, habe auch Fehler im Sprung gehabt. Bei derart schwierigen Bedingungen aber verzeiht das Flugsystem keine Schwächen.

Und ein aggressiver Sprungstil, wie Kraus ihn hat, ist nicht gerade prädestiniert für solch schwierige Verhältnisse wie an diesem Tag in Oberstdorf. Auf ein Neues am heutigen Montag.