Wie der deutsche Präsident Thomas Bach das Internationale Olympische Komitee umkrempeln will – und was das für Hamburgs Bewerbung um die Spiele 2024 oder 2028 bedeutet.

Man kann das Wirken von Thomas Bach in seinem ersten Jahr als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) am besten mit einem kurzen Aufenthalt Anfang November 2013 in New York beschreiben: ein öffentlichkeitswirksamer Auftritt vor der Uno-Vollversammlung, in einem verschwiegenen Nebenraum eines italienischen Restaurants in Manhattan das Treffen mit Bossen des Fernseh-Giganten NBC.

Beide Termine mündeten wenige Monate später in bemerkenswerte Abschlüsse. Bach vereinbarte mit den Vereinten Nationen gemeinsame Entwicklungs- und Hilfsprogramme. Mit dem TV-Netzwerk verlängerte er den Vertrag für die US-Rechte bis 2032.

7,65 Milliarden Dollar (5,83 Milliarden Euro) ab 2022 für insgesamt drei Sommer- und Winterspiele festigen das finanzielle Fundament der olympischen Weltorganisation sogar über Bachs Regentschaft hinaus, die maximal bis 2025 reichen kann. So nebenbei fielen zusätzliche 100 Millionen Dollar ab, die sich bestens eignen für die Gründung eines globalen digitalen TV-Kanals. Er soll nach den Vorstellungen des 60 Jahre alten Wirtschaftsanwalts aus dem fränkischen Tauberbischofsheim den olympischen Sport zwischen den Spielen im Gespräch halten.

Die Kreation eines solchen Senders ist Teil einer umfassenden „Agenda 2020“, die er ganz schnell nach seiner Wahl zum obersten Olympier am 7. September vor einem Jahr ausgerufen hat. Im Zentrum steht die Weiterentwicklung des IOC als Weltorganisation, um sich im 21. Jahrhundert in einem schwieriger gewordenen gesellschaftspolitischen Umfeld behaupten und legitimieren zu können. Bach stellte das IOC vor der Uno-Vollversammlung nicht wie seine Vorgänger als apolitisch dar, aber als politisch neutrale, autonome, selbstbewusste, zu Partnerschaften bereite Organisation, die sehr wohl weiß, dass ihre Entscheidungen auch politische Auswirkungen haben können. Den politischen Führern empfahl er angesichts der zunehmend kriegerischen Welt, „die olympische Botschaft des guten Willens, des Dialogs, der Toleranz und des Friedens zu respektieren“.

Kern seiner Pläne ist die Reform der Olympischen Spiele, des ideellen Herzstücks des IOC – und dessen Geschäftsmodells. Das IOC hat es durch Fehlentwicklungen selbst beschädigt, nicht verdient hat es aber das von Teilen der Öffentlichkeit gezeichnete Zerrbild: Korrupt und raffgierig sei es, es sauge mit Knebelverträgen die Ausrichter Olympischer Spiele aus und stelle seine enormen Einkünfte in Prunk und Überfluss dar. Um den Eindruck aller Schlechtigkeit zu untermauern, fehlt nicht selten der Zusatz einer Gleichsetzung mit dem zu Recht höchst umstrittenen Fußball-Weltverband Fifa, bei dem Korruption als systemimmanent bezeichnet werden kann.

Nachdem der Belgier Jacques Rogge 2001 die Nachfolge des umstrittenen Spaniers Juan Antonio Samaranch als Präsident angetreten hatte, hielt er es für geboten, die eine oder andere Reisekostenabrechnung von Kollegen selbst zu überprüfen. Es war der Nachhall zum Skandal um den amerikanischen Olympiabewerber Salt Lake City, der sich die Winterspiele 2002 gekauft hatte. Die Ermittler kamen auf Zuwendungen in Form von Barem, Geschenken, Flugtickets und Stipendien über 1,2 Millionen Dollar, zehn Olympier wurden ausgeschlossen. Es war eine Zäsur. Sie fand im Jahr 2000 ihren Ausdruck in einem umfassenden Reformprogramm. Zu ihm gehörte die Einführung verschärfter Regeln und die Schaffung einer mehrheitlich unabhängig besetzten Ethikkommission als Kontrollorgan. Seitdem ist das IOC ohne Korruptionsfall geblieben, was nicht heißt, dass die Organisation korruptionsfrei ist. Doch systemische Korruption ist nicht belegbar. Im Gegensatz zu seinem großmächtigen Vorgänger Samaranch war sein untadeliger Nachfolger Rogge nie bereit, für jeden seiner mehr als 100 Kollegen und Kolleginnen die Hand ins Feuer zu legen.

Am eigenen Zerrbild trägt das IOC durch seine über Jahrzehnte mangelhafte Öffentlichkeitsarbeit eine Teilschuld. „Wir müssen viel mehr erklären, erklären, erklären“, sagt Bach. Beispielsweise, dass und wie mehr als 90 Prozent der Einnahmen des IOC in den olympischen Sport zurückfließen, dass es die Masse der ihm angeschlossenen 35 internationalen Sportverbände am Leben erhält.

Und was den Vergleich der beiden wichtigsten Weltsport-Organisationen angeht: Auf der einen Seite ein ehrenamtlich geführtes IOC, das von seinen Einkünften 1,5 Milliarden Dollar an die nächste Olympiastadt Rio de Janeiro weiterreicht – als München 1972 die Sommerspiele ausrichtete und das IOC noch bettelarm war, musste der Veranstalter die Last von zwei Milliarden Mark allein schultern. Auf der anderen Seite eine vom Schweizer Joseph Blatter regierte Fifa, die ihrer Führungsriege im Geheimen Millionenhonorare zuschanzt und Brasilien an seiner Rekordeinnahme aus der Fußball-WM von 4,5 Milliarden Dollar nur mit 100 Millionen Dollar teilhaben lässt. Ganz davon abgesehen, dass in den vergangenen Jahren ein Drittel des 25-köpfigen Exekutivkomitees wegen korrupter Delikte ausgewechselt werden musste. Und die Säuberung ist noch nicht abgeschlossen.

Das eigentliche Problem des IOC besteht in dem weit verbreiteten Eindruck, das Olympia an einer Maßlosigkeit seiner Spiele Schaden genommen hat: immer größer, immer höhere Kosten, Belastungen und Überlastungen der veranstaltenden Städte und Länder mit der Konsequenz, dass dem IOC die Bewerber auszugehen drohen.

Diese Sicht bedarf der Differenzierung. Die Sommerspiele 2012 in London mit Gesamtkosten von 14,6 Milliarden Euro sind ein Musterbeispiel dafür, wie Olympische Spiele in Demokratien in Transparenz – selbst nach dem bisher vom IOC vorgegebenen Muster – erfolgreich veranstaltet werden können. Hamburg orientiert sich daher bei seiner Bewerbung für 2024 oder 2028 stark am Londoner Vorbild. In der kürzlich vorgelegten Schlussbilanz erweisen sich die Stadtentwicklungskosten, mit denen die Briten-Metropole auf einer ehemaligen Brache einen neuen Stadtteil erschlossen hat, als nachhaltig angelegtes Kapital. Alle Zahlen belegen, dass London und Großbritannien zu Gewinnern geworden sind.

Ganz im Gegensatz zu Sotschi, den 40-Milliarden-Euro-Winterspielen, als größtes Beispiel für eine Fehlwahl des IOC. Die enormen Erschließungskosten für die Stadt und die Region wirken wie ein Fanal. Sie sind das Produkt einer von Korruption angetriebenen Verfünffachung der zunächst angegebenen Ausgaben mit katastrophalen, voraussehbaren Auswirkungen auf Natur und Umwelt. In jedem Fall wirkt Sotschi als noch lange nachwirkendes, abschreckendes Beispiel mit dem Ergebnis, das von acht Interessenten für die Winterspiele 2022 nur drei übrig geblieben sind, wobei mit Oslo (Norwegen) der geeignetste Kandidat noch abzuspringen droht. Das IOC hat in seiner ersten Benotung Peking und das kasachische Almaty als mangelhaft bewertet.

Olympische Spiele nur noch in großen, wohlhabenden Demokratien oder in diktatorisch oder autokratisch regierten Ländern, nicht in Schwellenländern und damit für lange Zeit auch nicht in Afrika, dem einzigen Kontinent ohne olympische Ausrichtung – Bach will heraus aus dieser Sackgasse: „Wir wollen die Tür öffnen für mehr Städte und mehr Länder bei der Bewerbung um Olympische Spiele.“ In der Vergangenheit seien Kandidaturen „wie die Expansion einer Franchise“ gehandhabt worden, „das wollen wir anders gestalten. Wir möchten die Kandidaten auffordern, mehr nachzudenken, kreativer zu sein. Uns zu zeigen, wie sich Olympische Spiele in ihr soziales, ökologisches, ökonomisches Umfeld einfügen lassen.“ Insgesamt gehe es um die „Individualisierung“ einer Bewerbung, die flexible Lösungen erlaube, um weniger Vorgaben. Die Summe der Anstrengungen soll zur Kosteneinsparung führen. Allerdings sagt Bach auch: „Gewisse Rahmenbedingungen müssen bleiben, die Qualität muss gesichert sein.“

Zu den Grundsätzen gehört die Gleichzeitigkeit der Wettkämpfe, die Unterbringung der Athleten in einem olympischen Dorf und die Beibehaltung der Begrenzung auf 10.500 Sportler. Heftig umstritten ist hingegen ein Vorschlag, die Größe eines Dorfes durch Rotationen zu verkleinern. Schon bisher verlassen Athleten die Spiele nach Beendigung ihrer Wettkämpfe. Offenbar keine Chance hat die in einem 71 Seiten umfassenden „Gedankenentwurf“ enthaltene Vorstellung einer gemeinsamen Bewerbung „mehrerer Städte in einem Land, mehrerer Städte in zwei oder mehreren Ländern“. Das schließt auch eine gemeinsame Bewerbung von Berlin und Hamburg aus.

Vom Tisch ist auch eine „Lex Rogge“. Bachs Vorgänger hatte Leipzigs Ausscheiden bereits in der Vorrunde der Bewerbung für die Sommerspiele 2012 nachträglich gerechtfertigt mit der Aussage, eine Stadt müsse mindestens zwei Millionen Einwohner haben.

Folgende Veränderungen zeichnen sich ab, müssen aber noch durch das Sieb von Kommissionen kommen, ehe sie der Vollversammlung des IOC am 8./9. Dezember in Monte Carlo zur Beschlussfassung vorgelegt werden:

Verteilung der Lasten von der Stadt auf die Region. Dabei könnten nach dem Muster des Fußballs auch in anderen Ballsportarten zumindest Vorrundenspiele ausgelagert werden.

Bevorzugung von temporären Bauten.

Abgrenzung zwischen den Kosten für die Organisation, den Wettkampfstätten- und den Stadtentwicklungskosten. Unterscheidung zwischen privaten und öffentlichen Investitionen.

Reduzierung der Bewerbungskosten durch Kostenbeteiligung des IOC. Eine Verminderung des Aufwands auch dadurch, dass die weltweite Präsentation der Olympiakandidaten stark eingeschränkt wird.

Überprüfung der Nachhaltigkeit von Bewerbern auch durch die Schaffung einer eigenen IOC-Kommission. Nach einem Vorschlag mehrerer NOKs, darunter der Deutsche Olympische Sportbund, soll die Nachhaltigkeit in einem umfassenden Sinn begriffen werden: Umwelt, Menschenrechte, sozial, ethisch, finanziell.

Begleitung der Bewerbungen durch das IOC, frühe und ständige Überprüfung des Kostenmanagements.

Thomas Bach ist „sehr zufrieden“ mit dem Zwischenstand. „Der Aufschlag ist gemacht, die Richtung ist vorgegeben.“ Auf die Frage, ob aus seiner Reform dennoch nur ein Reförmchen werden könnte, antwortet der IOC-Präsident mit einem „Nein“.