Vor der zweiten Saisonhälfte der Handball-Bundesliga scheint der THW Kiel seine Nordrivalen bereits abgeschüttelt zu haben. Und die Dominanz des Rekordmeisters droht sogar noch zu wachsen.

Neumünster. Am Mittwoch hat Ljubomir Vranjes das Training sausen lassen und seine Mannschaft stattdessen zum Abendessen eingeladen. Es hätte sicher genug zu üben gegeben nach fünf Wochen, in denen die Handballmannschaft der SG Flensburg-Handewitt nicht mehr beisammen war. Aber bevor man zum Tagesgeschäft übergehen konnte, galt es erst einmal, die jüngste Vergangenheit zu bewältigen. „Man merkt schon, dass der Kopf vieler Spieler noch bei der EM in Dänemark ist“, erzählt Trainer Vranjes. Gegen Ende des Abends habe man aber auch seinen dänischen Spielern das verlorene EM-Finale vom vergangenen Sonntag nicht angemerkt: „Sie haben wieder so gelacht wie früher. Das war wichtig.“

Wie jedes Jahr um diese Zeit bleibt den besten Profihandballern lächerlich wenig Zeit, um nach dem Saisonhöhepunkt in den Vereinsalltag zurückzufinden. Vranjes hat mit Mühe und Not fünf gemeinsame Trainingseinheiten untergebracht, um die Mannschaft des Tabellenzweiten bestmöglich auf das Bundesliga-Spitzenspiel am Mittwoch gegen die drittplatzierten Rhein-Neckar Löwen vorzubereiten. Zwischendurch sind acht seiner Spieler am Sonnabend noch beim All-Star-Game vertreten.

Auch der THW Kiel entsendet acht Spieler zu dem Einlagespiel nach Leipzig. Der Titelverteidiger startet sogar schon am Dienstag in die zweite Saisonhälfte, wenn auch aus einer vergleichsweise komfortablen Poleposition heraus. In der Tabelle kann nur Flensburg bis auf zwei Punkte einigermaßen folgen, ansonsten scheint der 19. Meisterschaft keiner mehr im Wege zu stehen. Das wollte selbst Trainer Alfred Gislason beim Handball-Treff, zu dem die Vereinigung Schleswig-Holsteinischer Sportjournalisten am Donnerstag nach Neumünster geladen hatte, nicht anders sehen: „Hätten wir am zweiten Weihnachtstag gegen den HSV verloren, hätte ich gesagt, die Hamburger sind jetzt Favorit“, sagte der Isländer. Nun aber stehe man mit vier Minuspunkten viel besser da, als er zu Saisonbeginn angesichts des Umbruchs in seiner Mannschaft gehofft habe.

Das hätte, wenige Meter weiter rechts auf dem Podium, Martin Schwalb auch gern behauptet. Stattdessen musste der HSV-Trainer gestehen, dass ihn die 24:35-Niederlage in Kiel immer noch ärgere: „Es ist nicht schön, nach einem solchen Spiel in eine lange Pause zu gehen.“ Im Wissen nämlich, dass fünf Punkte und 55 Tore Rückstand auf den THW kaum aufzuholen sein werden mit einer Mannschaft, die noch auf der Suche nach ihrer inneren Mitte ist. Gislasons Sorge ist, dass er eine erste Sieben habe, hinter der eine Leistungslücke klaffe, weshalb ein Ausfall oder zwei das Team schon aus dem Tritt bringen könne. Schwalbs Sorge ist, dass er trotz 17 Topspielern eine erste Sieben erst gar nicht habe, zumindest „keine, die funktioniert. Man merkt jetzt doch, wie sehr die Abgänge von Igor Vori und Marcin Lijewski schmerzen. Das waren wichtige Achsen in unserem Spiel“.

Die Frage ist also weniger, ob Kiel in dieser Saison noch zu stoppen ist – dies ist, anders als in vielen Vorjahren, zumindest nicht auszuschließen. Die Frage ist vielmehr, ob die Kieler Dominanz in den nächsten Jahren nicht ähnlich erdrückend wird wie die des FC Bayern im hiesigen Fußball. Zumindest die Personalstrategie – sich selbst zu stärken, indem man den Gegner schwächt – weist gewisse Parallelen auf. Zur nächsten Saison muss der HSV seinen frisch gekürten Welthandballer Domagoj Duvnjak zum THW ziehen lassen, die Flensburger verlieren Steffen Weinhold, ihren Topmann im rechten Rückraum, an den Nordrivalen.

Nicht nur Kiels Manager Klaus Elwardt gab sich alle Mühe, diesen Eindruck zu zerstreuen. Der THW sei eine starke Mannschaft, sagte Schwalb, „aber große Sprünge sind nicht mehr möglich“. Duvnjak abgeben zu müssen sei zwar schmerzlich. Doch habe Joan Cañellas auch bei der EM gezeigt, dass er die Spielmacherposition ähnlich gut auszukleiden versteht. Im Übrigen sei es doch immer so gewesen: „Wenn einer weggeht, wächst ein anderer nach.“ Und auch der Flensburger Geschäftsführer Dierk Schmäschke versprach, kommende Saison wieder „eine schlagkräftige Mannschaft“ aufzustellen. Das sei schließlich schon in der laufenden Serie gelungen, obwohl man den Rückraumschützen Petar Djordjic nicht vom Wechsel zum HSV abhalten konnte.

Gislason erklärt den HSV zum Champions-League-Favoriten

Djordjic wiederum tat sich schwer, in Hamburg Fuß zu fassen. Ihm und den anderen Neulingen habe es gut getan, in den vergangenen Wochen einmal konzentriert zu trainieren und „hart an der Belastungsgrenze“ zu arbeiten, erzählte Schwalb. Die Tage zwischen den ersten Spielen, am Mittwoch in Velenje (Slowenien) und am Sonnabend darauf in Wetzlar, verbringt die Mannschaft gemeinsam in Hessen. „Das hilft, sich auf die zweite Saisonhälfte einzustimmen.“

Noch gibt es ja Ziele: einen der drei Champions-League-Startplätze zu sichern. Und wer weiß, vielleicht sogar noch einmal die Champions League zu gewinnen. Gislason traut es den Hamburgern zu: „Der HSV hat die besten Chancen, weil sein Kader der ausgeglichenste ist.“ Na bitte!