Nach der Trennung von Hürdensprinterin Carolin Nytra ist Sebastian Bayer nach Hamburg gezogen. Von hier nimmt der Weitsprung-Europameister vom HSV Anlauf auf die Titelverteidigung.

Hamburg. Den großen Star werden die Landesmeisterschaften an diesem Wochenende in der Hamburger Leichtathletikhalle nicht präsentieren können. Sebastian Bayer hätte wirklich gern vorbeigeschaut, aber seine Großmutter wird 80, da darf er einfach nicht fehlen. Gesprungen wäre der Europameister ohnehin nicht. Nicht etwa, weil er keine so guten Erinnerungen an diesen Wettbewerb hat. Im vergangenen Jahr hat er sich etwas das Knie vertreten, und so richtig ist Bayer die Beschwerden dann in der ganzen Saison nicht mehr losgeworden.

In diesem Jahr wird man Bayer in der Halle als Athleten erst gar nicht erleben. Es gibt ja auch nicht dieses große Ziel wie 2013, als er um jeden Preis zum dritten Mal hintereinander Weitsprung-Europameister werden wollte und seinem Körper nicht die Erholungspausen gönnte, die er wohl gebraucht hätte. Bayer, 27, hat seine Lehren daraus gezogen: „Ich will lieber im Training ein gutes Fundament legen und dann draußen angreifen.“

Den norddeutschen Meisterschaften am übernächsten Wochenende will er trotzdem einen Besuch abstatten. Er hat es ja nicht mehr weit zur Leichtathletikhalle in der Winterhuder Krochmannstraße. Vor zehn Tagen ist er im Wohnheim am Olympiastützpunkt in Dulsberg eingezogen. Von hier will er Anlauf nehmen zu einem neuen Leben, in Hamburg, der Stadt, die ihn zu reizen begann, als er vor vier Jahren einen Vertrag mit dem HSV eingegangen ist: „Für mich war seither klar, dass ich einmal hierher ziehen will.“

Nur wäre er seinen Umzug gern etwas weniger überstürzt angegangen. Die Trennung von seiner Freundin, der Hürdensprinterin Carolin Nytra, hat den Gang der Dinge doch ziemlich beschleunigt. Noch länger in Mannheim zu bleiben war für Bayer keine Alternative, weil er immer die Hälfte des einstigen Leichtathletik-Traumpaars geblieben wäre: „Ich war dort zwar sportlich bei Caros Trainer Rüdiger Harksen sehr gut aufgehoben. Aber ich brauchte den Abstand.“ Also muss er sich nebenbei noch mit der Suche nach einer Wohnung beschäftigen: gern drei Zimmer, gern modern, gern nahe an den Winterhuder Leichtathletik-Trainingsstätten. Und gern ohne Parkplatznot. Dann muss Bayer sich endlich nicht mehr fragen lassen, warum er eigentlich nicht in Hamburg wohne, wo er doch für den HSV starte.

Im Grunde hatte er ja seine Lebensplanung in den mehr als sechs gemeinsamen Jahren der Nytras untergeordnet. 2008 folgte er der gebürtigen Hamburgerin nach Bremen, zwei Jahre später nach Mannheim, weil sie die Nähe zu mit ihrem Trainer suchte. Bayer blieb als Sportler stets autonom. Seit er 2003 seine Heimatstadt Aachen verlassen hat, hat er eine Fernbeziehung zu seinen Trainern geführt. Sie haben ihm die Pläne geschrieben, er hat sie abgearbeitet. Bayer kannte es nicht anders.

Jetzt muss er sich erst einmal wieder daran gewöhnen, Uwe Florczak bei der Arbeit immer um sich herum zu haben. Der Hamburger Bundestrainer ist seit gut zwei Jahren auch sein persönlicher Coach. „Für uns beide bedeutet das eine große Umstellung“, sagt Bayer. Er selbst müsse akzeptieren lernen, dass er bei seiner Trainingssteuerung nicht mehr jede Entscheidung allein treffen könne. Und Florczak müsse akzeptieren lernen, dass Bayer zu manchen Trainingsfragen über die Jahre seine eigene Vorstellung entwickelt habe. Zum Beispiel dass man eine Ausdauereinheit auch mal allein bestreiten kann. Aber da das Verhältnis von großem Vertrauen geprägt sei, sei das kein Problem.

Im Gegenteil: „Bei meinem Trainer zu sein ist eine Riesenchance für mich“, sagt Bayer, „und es ist supercool, Teil einer so starken Trainingsgruppe zu sein.“ Nadja Käther, die sich an diesem Wochenende erstmals im Dreisprung versucht, und ihr HSV-Kollege Mario Kral gehören zu den besten Deutschen in Bayers Disziplin. Lange aneinander gewöhnen müssen sie sich nicht, man kennt sich bestens aus gemeinsamen Trainingslagern.

Erst am 13. Januar ist die Gruppe von einem Aufenthalt in Teneriffa zurückgekehrt. Bislang stand für Bayer in diesem Jahr nur Kraft- und Lauftraining auf dem Programm. „Sebastians Körperbild macht einen sehr guten Eindruck“, sagt Florczak, „vor allem seine Schnelligkeit ist immer wieder beeindruckend.“ Die Sprünge werden erst nach und nach gesteigert, jede Woche um zehn bis 15 Zentimeter. Bis März, wenn es in Bayers Traumland Südafrika zum nächsten Trainingslager geht, soll die Belastung dann maximiert werden.

Die Trainingswerte lassen auf große Weiten hoffen

Vorsicht ist zwar angebracht, aber derzeit lassen alle Werte auf bessere Weiten hoffen als 2013, als gesundheitliche Rückschläge die ganz großen Sprünge verhinderten. Eigentlich, sagt Florczak, habe Bayer mit dem neunten Platz bei der WM in Moskau noch das Beste aus der Situation gemacht. Nur war er eben weit entfernt von der Form des Vorjahrs, als er Europameister wurde und Olympiafünfter und sogar der deutsche Rekord von Lutz Dombrowski (8,54 Meter) in Reichweite schien.

In der öffentlichen Wahrnehmung geht ein neunter Platz in der Leichtathletik nun einmal unter, Bayer weiß das. Schon für seinen zweiten Halleneuropameistertitel 2011 hätten sich nur noch wenige interessiert, weil er ihn, anders als zwei Jahre zuvor, eben nicht mit der sensationellen Europarekordweite von 8,71 Metern gewonnen hatte.

Auch deshalb habe er sich von vornherein auf die Freiluftsaison beschränkt und seinen Trainingsplan nach deren Höhepunkt ausgerichtet. In Zürich bei der Europameisterschaft im August Gold zu gewinnen, das würde Bayer sogar noch mehr bedeuten als der Sieg in Helsinki 2012. Anders als damals gibt es diesmal keinen Konkurrenten, der den Wettbewerb auslässt, um sich auf Olympische Spiele zu konzentrieren. Aber auch des Schauplatzes wegen: „Zürich ist die Leichtathletikstadt schlechthin, mit einem wunderschönen Stadion und einem großartigen Publikum.“

Wie lange Bayer in Hamburg bleibt, könnte auch von seinem Abschneiden in Zürich abhängen. Sein Vertrag mit dem HSV endet in diesem Jahr.