Christian Reif und Sebastian Bayer verbindet außer dem Weitsprung wenig. Ihre Rivalität aber macht sie stärker – und könnte in Moskau in der ersten deutschen WM-Medaille in dieser Disziplin gipfeln.

Hamburg. Ihr Kontakt wird sich auch an diesem Freitag auf das Nötigste beschränken: Sicher gibt es einen Händedruck, vielleicht ein nettes Kompliment oder eine gut gemeinte Aufmunterung. Was man unter Kollegen eben so macht, je nachdem, wie der Wettkampf läuft. Warum sollten Sebastian Bayer und Christian Reif es auch diesmal anders handhaben, nur weil das Schicksal sie wie schon vor zwei Jahren gemeinsam in das Finale einer Leichtathletik-Weltmeisterschaft geführt hat (17.30 Uhr)? Die beiden eint schließlich nicht viel mehr, als dass sie außergewöhnlich begabte Weitspringer sind.

Damit, dass es im Grunde nicht existiert, wäre auch schon das Wesentliche gesagt über ihr Verhältnis. Aber nicht alles. Dass der Europameister Bayer, 27, vom HSV und sein Vorgänger Reif, 28, aus Rehlingen einander nicht sehr viel abgewinnen können, würden sie selbst wohl nicht bestreiten. Doch ob sie ohne einander sehr viel gewinnen würden, diese Frage ist noch offen. Sie wurde von beiden in der Vergangenheit gern charmant übergangen.

Inzwischen aber, da beide im fortgeschrittenen Leichtathletikalter angekommen sind, bekommt man allmählich einen Eindruck von der Wertschätzung, die jeder dem Konkurrenten entgegenbringt. Bayer sagt: „Christians Stärke macht meine eigene Leistung wertvoller, wenn ich ihn besiege.“ Und Reif ließ in einem Interview mit der „Süddeutschen Zeitung“ kürzlich durchblicken, dass seine starke Form viel mit der Niederlage zu tun habe, die er bei den deutschen Meisterschaften gegen Bayer und den Leverkusener Alyn Camara erlitten hat: „Das war ein Wachrütteln.“

Camara hatte es mit seinem Titelgewinn und seiner Jahresbestleistung von 8,29 Meter geschafft, die acht Jahre währende Doppelmonarchie im deutschen Weitsprung stürzen. In der Qualifikation aber blieb der 23-Jährige mit 7,77 Meter hängen. Also müssen eben wieder die beiden Etablierten die Hoffnungen auf die erste deutsche WM-Medaille in dieser Disziplin schultern.

Reif hat derlei noch nie als Last empfunden. „Ich fühle mich gut und gehe voller Selbstbewusstsein in dieses Finale“, sagte er nach seinem 8,09-Meter-Sprung in der Qualifikation. Bayer, dem 7,95 Meter zum Finale reichten, äußerte sich gewohntermaßen vorsichtiger: „Von Platz eins bis Platz zwölf ist alles drin.“

So ähnlich hatten die beiden schon vor einem Jahr vor den Olympischen Spielen geklungen. Damals aber wirkte es fast bizarr. Reif hatte aufgrund einer Verletzungsserie im ganzen Jahr nur vier Wettkampfsprünge absolvieren können. Trotzdem verkündete er, dass es im gesamten Feld niemanden gebe, an dessen Weiten er nicht heranreiche. Bayer wirkte neben ihm fast kleinlaut. Dabei war er es doch, der soeben zum Europameister gekürt worden war. Am Ende wurde er Fünfter, während Reif in der Qualifikation, obschon gleichauf mit Bayer, das Finale verpasste.

Es sind auch solche Äußerlichkeiten, an denen die charakterlichen Unterschiede durchscheinen. Auf der einen Seite ist da der markige Reif, der sich nicht scheut, einen Großen der Zunft wie Usain Bolt öffentlich infrage zu stellen. Auf der anderen der eher bedächtige Bayer, der seine durchaus kritische Einstellung zum Thema Doping nur stark gefiltert preisgibt, um sich nicht selbst angreifbar zu machen.

Den angriffslustigen Bayer kann man im Wettkampf erleben. Seit der Heim-WM 2009 in Berlin, als ihn eine Fußverletzung behinderte, hat er kein wichtiges Finale verpasst. Der Hamburger Bundestrainer Uwe Florczak, der seit 2011 auch sein Privatcoach ist, sagt: „Sebastian hat die Fähigkeit, sich unheimlich zu fokussieren.“ Gleiches ließe sich auch über Reif behaupten.

Die sportlichen Unterschiede liegen in den individuellen Qualitäten. Bayer zehrt mehr von der Beweglichkeit, Reif mehr von der Kraft. Das Ergebnis ist fast das Gleiche: Bayers Bestweite liegt seit 2009 bei 8,49 Meter, Reif wurde im Jahr darauf mit 8,47 Meter Europameister. Im Idealfall ist beiden zuzutrauen, dass sie am Freitag den deutschen Rekord von 8,54 Meter brechen, mit dem Lutz Dombrowski an gleicher Stelle vor 33 Jahren Olympiasieger wurde.

Nach der WM werden sich ihre Wege wohl erst einmal wieder trennen. Der eine, Reif, ist im Begriff, ein Sportmanagement-Studium abzuschließen, um sich ein Standbein für die Zeit nach der aktiven Karriere aufzubauen. Der andere, Bayer, setzt als Soldat auf staatliche Förderung, um sich ganz auf den Sport konzentrieren zu können.

Beide planen bis zu den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro. Und insgeheim wird jeder von beiden hoffen, dass ihm der andere als Konkurrent so lange erhalten bleibt.