HSV-Handball-Trainer Martin Schwalb spricht im Interview über die Abwehrprobleme des Champions-League-Siegers, fehlende Anerkennung in Hamburg und die Rückkehr von Präsident Andreas Rudolph.

Hamburg. Es mag das traditionsärmste aller Nordderbys in der Handball-Bundesliga sein, doch für den HSV Hamburg steht an diesem Mittwoch in der Partie bei der TSV Hannover-Burgdorf (20.15 Uhr/Sport1) einiges auf dem Spiel. Nach dem 35:35-Unentschieden gegen Lemgo am Sonnabend kann sich der Champions-League-Sieger keinen weiteren Punktverlust erlauben, will er nicht vorzeitig aus dem Meisterschaftsrennen ausscheiden. Aber wenn es nach Trainer Martin Schwalb geht, wird sich seine Mannschaft keine weitere mentale Auszeit leisten.

Hamburger Abendblatt: Herr Schwalb, welchem Ihrer Spieler werden Sie am Mittwoch einen freien Tag gönnen?

Martin Schwalb: Diese Entscheidung wird mir vermutlich abgenommen. Adrian Pfahl hat Probleme mit seinem operierten linken Ellbogen. Wir werden das kurzfristig entscheiden.

Gegen Lemgo hatte es Matthias Flohr getroffen. Würden Sie die Entscheidung rückblickend noch einmal fällen?

Schwalb: Ich glaube nicht. Sein Fehlen hat sich schon bemerkbar gemacht. Matti ist eine Maschine, mit seinem Kampfgeist erfüllt er eine Vorbildfunktion. Allerdings hatte ich mir von den anderen schon erwartet, dass sie es allein wuppen. Darüber war ich schon enttäuscht. So viele Gegentore darf man nicht bekommen.

Bekommt der HSV in dieser Saison aber regelmäßig.

Schwalb: Er wirft aber auch die meisten Tore. Wir waren immer eine Mannschaft, die über das schnelle Spiel gekommen ist und deshalb oft sehr torreiche Ergebnisse abgeliefert hat. Man darf allerdings nicht vergessen, dass wir in den vergangenen beiden Jahren für die Abwehr sehr wichtige Spieler wie die Gille-Brüder oder Igor Vori verloren haben. Das war ein über Jahre gewachsenes Gebilde. Für die Neuen ist es nicht einfach, da reinzuwachsen. Da passieren schon mal Dinge, die so gar nicht abgesprochen sind. Aber das ist in diesem Stadium ganz normal.

Es scheint aber auch ein Einstellungsproblem zu geben.

Schwalb: In diesem Spiel ja, aber normalerweise passiert uns so etwas ja nicht. Auch einer Spitzenmannschaft muss so ein Aussetzer angesichts der Vielzahl der Spiele einmal zugestanden sein. Die Bayern gewinnen gegen Braunschweig auch nur mit zwei Toren Unterschied.

Das hätte Ihnen sicher auch gereicht.

Schwalb: Sogar ein Tor, wenn Kentin Mahé das letzte Ding reinmacht. Wenn es in letzter Sekunde gut geht wie den Kielern gegen Wetzlar und Gummersbach, redet keiner darüber. Ansonsten sind wir aber nie an der Einstellung gescheitert. Entscheidend ist, dass wir uns das gemeinsame, hundertprozentige Verständnis erarbeiten. Noch müssen die Spieler kurz überlegen, was zu tun ist.

Birgt der große Kader von 17 Spielern nicht die Gefahr, dass sich jeder zu sehr auf den anderen verlässt?

Schwalb: Dieses Gefühl hatte ich gegen Lemgo phasenweise. Zumal wir vorn permanent getroffen haben. Das mag dazu verleitet haben, hinten nicht so stabil zu stehen. Ansonsten betrachte ich diesen Kader aber nur als Vorteil.

Präsident Andreas Rudolph war nach dem Spiel in der Kabine. Was hat er gesagt?

Schwalb: Ganz normale Sachen, aber das bleibt intern. Andreas weiß genau, welchen schwierigen Weg wir zu gehen haben. Seine Art ist unglaublich positiv und nach vorn gerichtet. Das macht sehr viel Spaß.

Was bedeutet seine Rückkehr für die Mannschaft?

Schwalb: Sehr viel. Jeder freut sich, ihn als Persönlichkeit mit seiner Begeisterung und seinem Engagement dabeizuhaben. Das kommt sehr gut an.

Verknüpfen Sie damit die Hoffnung, dass jetzt wieder Ruhe in den Verein einkehrt, nachdem es zuletzt viele Negativschlagzeilen um Rücktritte und Zuschauerschwund gab?

Schwalb: Es wäre dem HSV zu gönnen. Teilweise werden da auch Dinge vermischt, die nicht zusammengehören. Der HSV Handball ist der mit Abstand erfolgreichste Profiverein in Hamburg, der einzige, der seit Jahren regelmäßig Titel gewinnt und eine Sportart wieder etabliert hat. Auch 8000 oder 9000 Zuschauer sind ein großer Zuspruch.

Es waren einmal fast 11.000.

Schwalb: Wir kommen von einem extrem hohen Niveau. Im Übrigen: Dass mal ein Präsident oder Geschäftsführer geht, kommt auch in anderen Vereinen vor. Das schmälert den sportlichen Erfolg nicht. Wir sind in Champions League und Meisterschaft immer noch dabei. Unser Ansehen in Europa ist sehr hoch. Wenn wir in anderen Ländern spielen, fallen die Leute dort auf die Knie.

Inwieweit beeinflussen die Vorgänge im Verein die Mannschaft.

Schwalb: Gar nicht. Was ein Faktor ist: Der Druck ist ein ganz anderer als in einem kleineren Provinzverein. Für einige bei uns war das ein regelrechter Kulturschock.

Hannover hat am Wochenende einen Kantersieg gegen Schaffhausen gefeiert, der 20-jährige Hendrik Pollex hat sieben Tore geworfen. Wann schafft beim HSV endlich ein hauseigenes Talent den Durchbruch?

Schwalb: Wir machen eine hervorragende Jugendarbeit, aber der Sprung ist beim HSV noch einmal ein ganz anderer. Wir müssen aufpassen, uns nicht zu viele Aufgaben aufbürden zu lassen. Man kann nicht von uns verlangen, um die Champions League zu spielen und gleichzeitig sechs deutsche Nachwuchsspieler einzubauen. Dieser Aufgabe stellen sich übrigens auch die anderen Spitzenmannschaften nicht. Da gibt es diese Diskussion gar nicht. Andreas Rudolph hat es sehr schön ausgedrückt: Wir suchen den Jackpot. Aber du gewinnst gegen die Kleiderschränke des FC Barcelona nicht mit U23-Spielern die Champions League. Wir können nicht allen gerecht werden. Domagoj Duvnjak ist übrigens bei uns zum besten Spieler der Welt gereift.

Wie soll der HSV nächste Saison bloß ohne ihn klarkommen?

Schwalb: Da müssen sich andere in den Vordergrund spielen. Wirklich ersetzen kannst du den Jungen nicht. Es bricht mir fast das Herz, dass er nach Kiel geht. Ab und zu träume ich von ihm im THW-Trikot. Ich kann mir das gar nicht vorstellen.