Damit wird Roman Weidenfeller als ältester Debütant in die DFB-Geschichtsbücher eingehen. Sami Khedira muss nach seinem Kreuzbandriss hingegen um die WM-Teilnahme bangen.

London. Die Erschütterung bei Joachim Löw hatte sich auch nach dem Ortswechsel von Mailand nach London nicht gelegt. Das Umschalten auf den nächsten Fußball-Klassiker in England fiel dem Bundestrainer und seinen verbliebenen 19 Spielern nach dem Schock der schweren Knieverletzung von Sami Khedira beim 1:1 in Italien schwer. „Das war für uns ein richtiger Genickschlag“, erklärte Löw in der englischen Hauptstadt zur Hiobsbotschaft des Wochenendes.

Mittelfeld-Organisator Sami Khedira, eine der wichtigsten Figuren im deutschen Unternehmen „WM-Titel 2014“, fällt mit einem Kreuz- und Innenbandriss im rechten Knie monatelang aus – Löws Party zu seinem 100. Länderspiel als DFB-Chefcoach war in Mailand plötzlich gesprengt. Schon einen Tag nach dem verheerenden Unfall in San Siro, als sich der Star von Real Madrid im Zweikampf mit Italiens Andrea Pirlo so übel verletzt hatte, wurde Khedira von Kniespezialist Ulrich Boenisch in der Augsburger Hessingpark-Clinic operiert. „Das ist natürlich bitter“, sagte Löw wohlwissend, dass die Hoffnung auf eine WM-Teilnahme des gerade auch physisch so robusten Antreibers im deutschen Nationalteam auf ein Minimum geschrumpft ist.

Zwar wollte noch unter Schock im DFB-Lager niemand Khedira für die WM-Mission in Brasilien gänzlich abschreiben. „Sami ist grundsätzlich ein unglaublich positiv eingestellter Mensch. Dass es nicht einfach wird, ist auch klar“, bemerkte Löw, der aber schon jetzt Alternativen für den WM-Ernstfall entwickeln muss. Im „The Hive Stadium“ weit im Londoner Norden deutete er beim Training an, dass der Dortmunder Sven Bender gegen England die Khedira-Position übernehmen soll. Insgesamt könnte es beim letzten Länderspiel des Jahres sogar acht Veränderungen in der Startformation geben.

Die Konzentration muss vor dem zweiten Klassiker am Dienstag (21.00 Uhr/ARD) im Wembleystadion nach dem teilweise Mut machenden Unentschieden in Italien wieder mit aller Macht hochgefahren werden. Die Personaldiskussionen schweben aber über dem Nationalteam. Zumal auch hinter der Fitness der Routiniers Bastian Schweinsteiger und Miroslav Klose sowie den Alternativen Ilkay Gündogan und Mario Gomez für das WM-Jahr Fragezeichen stehen. Die Rekonvaleszenten fehlen – ebenso wie Lukas Podolski – auch gegen England. Immerhin steht Abwehrchef Per Mertesacker nach einer Grippe wieder zur Verfügung.

„Bei Schweinsteiger und Gündogan sehe ich das so, dass wir in der Rückrunde mit diesen Spielern planen können. Bei Sami Khedira muss man abwarten, das wird etwas länger dauern. Ich habe irgendwo immer noch einen kleinen Funken Hoffnung, dass es reichen könnte“, meinte Löw. Für das letzte Länderspiel des Jahres 2013 befreite er seinen Kapitän Philipp Lahm, dessen Bayern-Kollegen Manuel Neuer und Arsenal-Juwel Mesut Özil von der Teilnahme und verordnete den in ihren Clubs hochbelasteten Profis Erholung.

Lahm spiele immer 90 Minuten, Özil war zuletzt krank. „Ich möchte diese Spieler nicht unbedingt verheizen“, betonte Löw. Noch mehr Ausfälle in der Kategorie der Leistungsträger wären wohl kaum zu kompensieren. Neuer durfte heimreisen, weil Löw drei Torhüter in England nicht benötigt. Die Entscheidung befeuerte die Erwartung, dass der Dortmunder Roman Weidenfeller im reifen Alter von 33 Jahren im Wembleystadion sein Länderspiel-Debüt feiern darf. „Die Tendenz geht dahin“, bestätigte Löw nach dem Training im „The Hive Stadium, bei dem sich der BVB-Schlussmann schon mit der Abwehr einspielen durfte. „Wenn ich im Wembleystadion spielen würde, wäre es das i-Tüpfelchen“, erklärte Weidenfeller voller Vorfreude.

„Wir nehmen das Spiel jetzt natürlich genauso ernst. Im Wembley vor 80 000 Fans, das ist etwas Besonderes“, erklärte Löw. Im neuen Jahr verbleibt ihm nur noch ein einziges Länderspiel am 5. März in Stuttgart gegen Chile, bevor der WM-Kader festgezurrt werden muss. „Da wollen wir dem einen oder anderen Spieler über 90 Minuten gegen eine starken Gegner die Chance geben zu zeigen, was er drauf hat. Das will ich jetzt einfach nochmal sehen“, unterstrich der Bundestrainer.

Beim über lange Strecken taktisch reifen Auftritt gegen den viermaligen Weltmeister Italien, bei dem allerdings das Schussglück bei drei Aluminiumtreffern fehlte, hatte sich Löw vor allem mit dem Defensivverhalten seines Teams zufrieden gezeigt. Innenverteidiger Mats Hummels zeichnete sich vor 49 000 Zuschauern im Giuseppe-Meazza-Stadion zudem als Torschütze aus. „Wir haben weniger klare Chancen zugelassen als zuletzt und taktisch wieder einen Schritt nach vorne gemacht“, bilanzierte Lahm, den Löw wieder ins defensive Mittelfeld gestellt hatte.

Für die WM plant Löw seinen Kapitän auch nach dem Khedira-Schock weiterhin als Rechtsverteidiger ein. In London dürfte nicht mehr der FC Bayern, sondern Borussia Dortmund das personelle Gerüst stellen. Neben Weidenfeller und Sven Bender dürften auch Marco Reus, Mats Hummels und Marcel Schmelzer beginnen. Der Leverkusener Sidney Sam, Schalkes Julian Draxler und auch der Gladbacher Max Kruse dürfen wohl in der Offensive beginnen. Der Hamburger Marcell Jansen sprach von einem „gesunden Konkurrenzkampf“, der alle nach vorne bringe: „Es ist eine große Herausforderung, in England zu spielen.“

Auch für Löw ist der Weltmeister von 1966 „nach wir vor eine große und gute Fußballnation mit vielen guten und mittlerweile einigen jungen, hoffnungsvollen Spielern“. Zudem sei das Team unter Nationalcoach Roy Hodgson taktisch gut organisiert: „England gegen Deutschland ist auch immer ein Klassiker“, äußerte Löw, der im Hinterkopf den Wunsch haben dürfe: Bitte, keine Verletzungen mehr.

Die voraussichtliche Aufstellung: Weidenfeller – Höwedes, Mertesacker, Hummels, Schmelzer – Sven Bender, Kroos – Sam, Draxler, Reus – Kruse