Der Ex-Weltmeister läuft trotz Punktsiegs seiner Form hinterher. Hamburger Jack Culcay glückt Revanche gegen Pitto. ARD blendet sich aus Box-Nacht einfach aus und sendet Spielfilm.

Oldenburg. Es war 0.40 Uhr am Sonntagmorgen, die lange Nacht des Boxens war zweieinhalb Stunden alt und begann erste Längen zu bekommen, als sich eine Frage aufdrängte. Was bloß brachte Arthur Abraham dieser Kampf? Da sprang Giovanni De Carolis, ein außerhalb der Grenzen seines Heimatlandes Italien weitestgehend unbekannter Profiboxer aus Rom, vor ihm im Ring herum wie ein junger Hase im Feld auf der Suche nach der saftigsten Karotte. Abraham war seinem 29 Jahre alten Kontrahenten auf den Fersen, aber er wirkte wie ein Jäger ohne Gewehr. Und wer einmal versucht hat, einen Hasen mit bloßer Hand zu fangen, der konnte in etwa nachfühlen, wie sich der einstige Weltmeister im Mittel- und Supermittelgewicht gefühlt haben musste während der zwölf Runden in der mit 3500 Fans ausverkauften Oldenburger EWE-Arena.

Es liegt in der Natur der Sache, dass der gebürtige Armenier Abraham den überaus deutlichen Punktsieg (120:108, 119:109, 119:109) als wichtige Erfahrung verbuchen wollte. „Mir hat dieser Kampf neues Ringgefühl gegeben. Es war besser, zwölf Runden zu boxen, als irgendein Opfer in der zweiten Runde auszuknocken“, sagte der 33-Jährige. Allerdings musste man nur in die Gesichter der Menschen schauen, die hinter Abraham stehen und neben ihm saßen, als er diese Worte sprach, um einschätzen zu können, welchen Stellenwert der 38. Sieg in der Profikarriere des Berliners wirklich hatte.

In der ARD sahen im Durchschnitt 3,59 Millionen Zuschauer zu, der Marktanteil lag bei 15,7 Prozent – auch das war schon besser für Abraham.

Trainer Ulli Wegner, sonst selten um blumige, wortreiche Stellungnahmen verlegen, verwies auf seine akute Heiserkeit; wohl auch, um sich nicht wieder einmal in Rage zu reden. „Er muss es schaffen, solche Gegner zu stellen. Arthur hat klar gewonnen, aber wir haben noch viel Arbeit vor uns“, sagte die 71 Jahre alte Trainerlegende, die vor dem Kampf gefordert hatte, „dass der Arthur endlich wieder einmal einen umhauen muss“. Promoter Kalle Sauerland, Juniorchef des gleichnamigen Berliner Profistalls, konnte sich des Eindrucks nicht erwehren, „dass Arthur die letzte Motivation gefehlt hat. Es war ein Arbeitssieg, er hat zu wenige Kombinationen geschlagen“, sagte er.

Einen deutlichen Sieg hatten Trainer und Manager von Abraham gefordert, um ein Zeichen der Stärke zu senden an Robert Stieglitz, den WBO-Weltmeister im Supermittelgewicht, dessen Pflichtherausforderer Abraham ist. Zweimal waren die beiden bislang aufeinander getroffen, den ersten Kampf gewann Abraham im August 2012 in Berlin klar nach Punkten, den zweiten verlor er im März 2013 in Magdeburg, weil er in Runde vier mit zugeschwollenem Auge aufgeben musste. Anfang 2014, im Januar oder Februar, ist nun das dritte Duell geplant, und Abraham wollte mit einem überzeugenden Auftritt gegen De Carolis dafür Selbstvertrauen tanken.

Es ließe sich nun trefflich darüber streiten, ob er, so wie er es selbst ausdrückte, in Oldenburg alles dafür tat, vorzeitig zu gewinnen. Der Eindruck, der sich aufdrängte, war ein anderer, nicht neu zwar, aber dennoch fatal: Arthur Abraham ist wie ein gutes Pferd, das nur so hoch springt, wie es muss. Aber er hat das schon so oft getan, dass er verlernt zu haben scheint, auch einmal ein kleines Stück höher zu springen als unbedingt nötig, um etwas mehr zu glänzen. „Er hat mich in keiner Sekunde des Kampfes in echte Bedrängnis gebracht“, sagte der tapfere italienische Dauerläufer, dessen zurückgelegte Distanz im Ring der eines durchschnittlich laufstarken Bundesliga-Fußballers in 90 Spielminuten nahegekommen sein dürfte, „ich hätte gedacht, dass er viel stärker ist und härter schlägt. Wenn er gegen Stieglitz gewinnen will, dann muss er körperlich viel fitter sein.“

Abraham hat, diese Bestätigung brachte der Abend von Oldenburg erneut, seinen Schrecken verloren, was vor allem daran zu beobachten war, dass De Carolis in der letzten Runde mutig und ohne Angst, ausgeknockt zu werden, attackierte. Man könnte die Supermittelgewichtler dieser Welt in eine lange Reihe stellen und, angelehnt an ein altes Kinderspiel, rufen: „Wer hat Angst vor Abraham?“ „Niemand“, wäre die Antwort, aber es würde auch niemand laufen, wenn er kommt.

Arthur Abraham hat sich zwölf Runden lang bewegt in der langen Nacht des Boxens, man muss ihm zugute halten, dass sein Gegner sich dem Kampf entzog. Er hat eine ordentliche Börse verdient, aber ansonsten hat er keine neuen Erkenntnisse geliefert, wohl aber alte Weisheiten zementiert. Die wichtigste darunter ist diese: Wenn Abraham es schafft, doch noch einmal der „König Arthur“ zu sein von damals, als er seine Gegner dank seiner Aktivität und seines Instinktes ausknockte, wird er das dritte Duell mit Stieglitz gewinnen. Wenn er so boxt wie zu häufig seit seinen verheerenden Pleiten im Super-Six-Turnier, dann wird er zum zweiten Mal verlieren. Es hätte den Abend von Oldenburg nicht gebraucht, um das zu wissen.

Der Hamburger Profiboxer Jack Culcay hat den Interkontinental-Titel der WBA im Halbmittelgewicht zurückerobert. Culcay gewann in Oldenburg die Revanche gegen den Argentinier Guido Nicolas Pitto einstimmig nach Punkten (115:113, 115:113, 117:112). Der 28 Jahre alte Schützling von Trainer Fritz Sdunek hatte das erste Duell vor einem halben Jahr mit 1:2 Punktrichterstimmen verloren. Culcays Profibilanz weist in 16 Kämpfen 15 Siege aus. „Ich habe alles gegeben. Es hat gereicht“, sagte der erschöpfte Culcay nach dem intensiven Kampf. Pitto musste in 20 Kämpfen die zweite Niederlage hinnehmen.

Karo Murat ist bei seinem Versuch gescheitert, Box-Legende Bernard Hopkins vom Weltmeisterthron zu stürzen. Der 30 Jahre alte Halbschwergewichtler unterlag in der Nacht zu Sonntag in Atlantic City dem 18 Jahre älteren IBF-Champion nach zwölf Runden einstimmig nach Punkten (108:119, 108:119, 110:117). Für den Profi aus dem Berliner Sauerland-Boxstall war dies die zweite Niederlage in seinem 28. Profikampf.

Hopkins feierte den 54. Sieg im 64. Fight seiner einzigartigen Karriere. 32 hat er durch K.o. gewonnen. Der Amerikaner ist der einzige Profi, der die Titel der vier großen Verbände (WBC, WBA, IBF, WBO) im Mittelgewicht vereinigen konnte. Hopkins ist mit 48 Jahren der älteste Weltmeister im Profi-Zirkus, hat die meisten Titelkämpfe in seiner Klasse absolviert und ist der Mann mit der längsten Regentschaft.

Allerdings hat sich in Deutschland die ARD in der siebten Runde des Kampfes ausgeblendet und einen Spielfilm gezeigt. Warum das Erste die eigene Boxnacht abrupt unterbrach, ist noch offen. Boxfans fühlten sich verschaukelt, auch der Sauerland-Stall ist offenbar entsetzt über den Vertragspartner.