Bob Hanning, neu gewählter Vizepräsident des Deutschen Handball-Bundes (DHB), und Bundestrainer Martin Heuberger über Quoten für Deutsche, den HSV Hamburg und die Gefahr einer Europaliga

Hamburg. Der erste gemeinsame Auftritt führte Bundestrainer Martin Heuberger, 49, und Bob Hanning, 45, den neu gewählten Vizepräsidenten Leistungssport des Deutschen Handball-Bundes (DHB), nach Hamburg. Hier trifft die Männer-Nationalmannschaft in der O2World im Rahmen des Supercups am 2. November auf Ägypten und am Tag danach auf Polen. Zum Auftakt des Turniers ist am 1. November in Bremen Schweden der Gegner. Mit einem „Deutschland-Buch“ wollen Hanning und Heuberger nicht nur die künftige Spielphilosophie, sondern auch einen Wertekodex für die Nationalspieler vorgeben. „Jeder Spieler muss begreifen, dass der deutsche Handball wichtiger ist als alle Einzelinteressen“, sagte Hanning. Dies schütze schließlich ihr eigenes Kapital. „Man muss jetzt gucken, wer bereit ist, den Weg mitzugehen. Ich dulde keine Parallelwelten.“

Hanning bezeichnete die Nationalmannschaft als „High-End-Produkt“ des deutschen Handballs, für das nun die besten Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen. Es könne nicht sein, dass ein Spieler auf Lehrgängen in kurzen Hosen zum Essen erscheine, weil er nur mit zwei langen Hosen ausgestattet sei. Von einer Quotenregelung in der Bundesliga für deutsche Spieler, wie unter anderem von Heuberger gefordert, hält Hanning nicht viel: „Wir brauchen keine Quote, sondern gute Spieler.“

Hamburger Abendblatt: Herr Hanning, Herr Heuberger, die deutschen Fußballer haben sich gerade souverän für die WM qualifiziert. Sind Sie neidisch?

Martin Heuberger: Der deutsche Fußball hatte vor zehn Jahren ähnliche Probleme wie wir jetzt. Daraufhin haben Liga und Verband einen gemeinsamen Weg eingeschlagen. Heute, und darauf bin ich in der Tat neidisch, kann Jogi Löw aus einem schier unerschöpflichen Reservoir an jungen Topspielern schöpfen, die sich in der Liga entwickelt haben. Das ist schön anzusehen und geht hoffentlich so weiter. Wirklich messen können wir uns mit dem Fußball nicht. Wichtig ist, dass wir uns gegen die anderen Sportarten behaupten.

Was kann man aus der Entwicklung im Fußball lernen?

Bob Hanning: Dass man die Kräfte bündeln muss. Es gibt erste gute Ansätze. Wir haben über die Eliteschulen, über die DHB-Stützpunkte und die Leistungszentren, wo Nachwuchsspieler individuell trainiert werden, die Interessen von Verband und Liga zusammengeführt. Man muss allerdings auch berücksichtigen, dass die Wirtschaftskraft des Handballs nicht im Entferntesten mit dem Fußball vergleichbar ist.

Heuberger: Viele Dinge sind auf dem Weg. Ich hoffe nur, dass alle Vereine bereit sind, genug für die Ausbildung der Spieler zu tun, so wie es Bobs Füchse in Berlin vormachen. Das Ziel muss sein, diese Spieler in der Bundesliga zu etablieren. Alles andere ist eine Farce. Nachwuchsarbeit und sportlicher Erfolg sind keine Widersprüche.

Jugendkoordinator Christian Schwarzer hat gefordert, dass die Bundesligatrainer mit diesen Talenten zusätzliche Einheiten absolvieren. Verlangt man da nicht zu viel von den Vereinen?

Hanning: Im Gegenteil, es liegt in ihrem eigenen Interesse. Man kann einem arrivierten Star wie Iker Romero bei den Füchsen nicht das gleiche Training angedeihen lassen wie einem Fabian Wiede, der noch zur Schule geht und demzufolge einen ganz anderen Tagesablauf hat. Dies zu steuern ist die Aufgabe.

Viele Vereine sind mit einer solchen Aufgabe auch personell überfordert. Was kann der DHB hier leisten?

Heuberger: Er kann Konzepte vorgeben. Ich erkenne den Einwand an, dass die Vereine kurzfristig Erfolg brauchen. Aber die individuelle Arbeit kann auch ein Co-Trainer leisten. Die Bundesliga muss begreifen, dass hier noch sehr viel Potenzial liegt.

Hanning: Ich glaube, dass unsere jungen Spieler gar nicht so schlecht sind. Was sie vor allem brauchen, sind Vertrauen und Einsatzzeiten.

Dazu gehört auch Mut. Die Füchse Berlin haben in der entscheidenden Phase gegen Magdeburg einen A-Jugendlichen hineingeworfen. Mit Erfolg.

Heuberger: Dazu gehört vor allem die Rückendeckung des Vereins. Wäre das woanders passiert und schiefgegangen, hätte es den Trainer vielleicht den Job gekostet. In Berlin weiß der Trainer, dass er das riskieren darf.

Haben alle Bundesligavereine begriffen, wie sehr ihr Erfolg von dem der Nationalmannschaft abhängt?

Hanning: Die Bundesliga hat mit rückläufigen Zuschauerzahlen und Sponsoreneinnahmen zu kämpfen. Man muss den Clubs immer wieder vor Augen führen, welchen Nutzen sie haben, Spieler auszubilden. Im Übrigen tun sich da schon viele hervor. Dem HSV etwa kann man nicht vorwerfen, nichts für den deutschen Handball zu tun. Er hat mit Spielern wie Pascal Hens, Torsten Jansen und Johannes Bitter den deutschen Handball geprägt. Nur muss da jetzt eine neue Generation nachwachsen.

Am Ende muss sich der HSV am eigenen sportlichen Erfolg messen lassen.

Hanning: Dafür wiederum braucht er auch die Stars, anders ließe sich sein Etat gar nicht stemmen. Was alle begreifen müssen: Eine gute Nationalmannschaft ist die Grundlage, damit der Handball nicht wie andere Sportarten von der Bildfläche verschwindet.

Heuberger: Mein Eindruck ist, dass wir über die Stützpunkte zunehmend zueinanderfinden. Die Ausbildung der Spieler war im internationalen Vergleich immer gut. Was mir am Herzen liegt: dass man den Talenten auch in engen Spielsituationen vertraut. Nur dann können sie sich weiterentwickeln.

Kann man die Anschlussförderung durch eine Quotenregelung für deutsche Spieler in der Bundesliga erzwingen?

Hanning: Wir haben diese Diskussion für beendet erklärt, weil sie uns nicht weiterführt. Im Übrigen: Die meisten Klubs haben genug deutsche Spieler.

Heuberger: Gut, dann täte ihnen eine Quote ja gar nicht weh. Mir geht es um die unter 23-Jährigen.

Hanning: Sie wären als Stammspieler in der Zweiten Liga besser aufgehoben, als wenn sie als Nummer 15 oder 16 ins Spiel kommen, wenn es entschieden ist. Nur mit Führungsaufgaben kann sich die Persönlichkeit entwickeln. Deshalb will ich die Zweite Liga professionalisieren. Dort verdienen viele Spieler weniger als 1000 Euro, da ist ein Studium oft attraktiver. Auch die Arbeit der Trainer muss uns in Deutschland mehr wert sein – sowohl was die Bezahlung als auch was ihre Aus- und Weiterbildung betrifft. Das ist ein zentraler Punkt.

Heuberger: Wir reden seit Jahren über Nachwuchsförderung. Vielleicht müssen wir den Sinneswandel einfach mal erzwingen. Ich bin mir sicher, dass man nach einigen Jahren über eine Quote gar nicht mehr zu reden bräuchte, weil sich in der Zwischenzeit die Talente bei vielen Vereinen durchgesetzt hätten.

Beim HSV hat das bislang noch kein Spieler aus der eigenen Jugend geschafft.

Heuberger: Kevin Herbst gehört immerhin zum Kader. Ich finde ihn nicht schlecht. Für die Feinheiten bräuchte er natürlich individuelles Training. Meine Befürchtung ist, dass er wie ein gestandener Profi in der Mannschaft mitläuft und dabei verkümmert. So war es schon bei Marcel Schliedermann, der als hoffnungsvolles deutsches Talent zum HSV kam und jetzt in Bad Schwartau in der Zweiten Liga ein No-Name ist. Wenn man sich einem solchen Weg verschreibt, muss man auch was dafür tun.

In vielen Ländern liegt der Handballmarkt am Boden, Topvereine wie Atlético Madrid oder AG Kopenhagen mussten Insolvenz anmelden. Welche Konsequenzen hat das für die Bundesliga?

Hanning: Die Gefahr, dass es irgendwann nur noch internationale Ligen gibt und die Bundesliga zur Randerscheinung wird, ist groß. Wenn die Vereine das nicht begreifen, werden drei oder vier von ihnen überleben, und der Rest der Liga ist tot. Das neue Champions-League-Konzept, das eine Art Europaliga vorsieht, stellt eine massive Bedrohung dar. Ich kann die Liga nur davor warnen, dass sie sich selbst abschafft. Deshalb ist es ja so wichtig, eine Gemeinsamkeit mit dem DHB hinzubekommen. Nur dann können wir die Liga auch wirtschaftlich stärken.

Herr Heuberger, Sie sagten über die Nationalmannschaft, sie habe das Potenzial, die Besten der Welt zu schlagen. Warum ist das nicht immer abrufbar?

Heuberger: Man braucht sich nur anzuschauen, wann uns das gelungen ist. Vor der WM im Januar in Spanien, als wir Fünfter wurden, hatten wir eine angemessene Vorbereitungszeit. Vor dem verlorenen EM-Qualifikationsspiel gegen Montenegro nicht. Wir haben nun mal nicht starke Einzelspieler wie Filip Jicha oder Domagoj Duvnjak, sondern können nur übers Kollektiv erfolgreich sein. Das aber muss sich im Training entwickeln. Um es klarzustellen: Ich fordere nicht mehr Lehrgangstage. Wir müssen sie nur besser verteilen.

Hanning: Wir müssen aber auch die Spieler finden, die das Besondere können. Ich bin überzeugt, dass es die gibt.

Beim Supercup in Bremen und Hamburg stellt der HSV keinen Nationalspieler. Ist Petar Djordjic der Nächste?

Heuberger: Ich habe auch Adrian Pfahl weiter im Blickfeld. Er wurde durch seine Verletzung ein bisschen zurückgeworfen und hat mich zuletzt nicht überzeugt. Wenn er für den HSV wieder sein Leistungspotenzial zeigt, wird er für die Nationalmannschaft interessant. Bei Petar Djordjic läuft das Einbürgerungsverfahren. Ich hoffe, wir können das bald abschließen. Mit seiner Fähigkeit, einfache Tore aus dem Rückraum zu werfen, wäre er eine Waffe, die wir richtig gut gebrauchen könnten.

Was wird in Martin Heubergers Zielvereinbarung stehen, Herr Hanning?

Hanning: Die Qualifikation für die WM 2015 in Katar, die im nächsten Sommer ansteht. Die WM zu verpassen wäre ein wirtschaftliches Debakel für den DHB.