Der Berliner Diskuswerfer gewinnt trotz Rückenproblemen mit 69,11 Metern seinen dritten Weltmeistertitel in Folge.

Moskau. 10:6. 16:1. 13:0. 9:2. Was sich liest wie die Testspielergebnisse des FC Bayern in der Saisonvorbereitung beim SV Hintertupfing, ist die Bilanz von Robert Harting, 28, in den vergangenen vier Jahren. Ganz wenige Saisonniederlagen seit seinem ersten WM-Sieg 2009, dafür Siege, Titel, Serien.

Soll keiner meinen, der andauernde Erfolg habe Harting irgendwie satt gemacht oder müde. Vielleicht ein bisschen gelassener, das schon. Obwohl ihm schwante, dass seine Voraussetzungen für die Weltmeisterschaft in Moskau nicht optimal waren, schob der Berliner vor seinem Wettkampf keine schlechte Laune. Stattdessen setzte er auf „Rache an mir selbst. Das macht der Arm der Vergeltung“. Und wenn er den hebt, den rechten Wurfarm, dann sieht Robert „Shaggy“ so aus, als könnte er im Schwimmbad mühelos ein Drei-Meter-Brett abbrechen. Mit bloßer Hand.

Nicht auszudenken, wohin die Reise für ihn am Dienstagabend im Luschniki-Stadion gegangen wäre, hätte Hartings Technik mit seiner Kraft mitgehalten. Aber völlig egal. Mit 69,11 Meter – seiner drittgrößten Weite in dieser Saison, seiner siebtgrößten in einem Wettkampf – gewann der Titelverteidiger sein drittes WM-Gold in Folge nach 2009 in Berlin und 2011 in Daegu. Der Zweitplatzierte Piotr Malachowski schaffte 75 Zentimeter weniger (68,36 Meter), Gerd Kanter auf Platz drei kam nur auf 65,19 Meter. Im Vergleich zu Harting liegt eine Welt dazwischen.

Am Ende verspürte der müde Riese vor allem eines: Erleichterung. Seinen Nimbus als weltbester Diskuswerfer hat er bewahrt, doch das Immer-wieder-verteidigen-Müssen zehrt. Welcher Weg im Training ist der richtige? Was neu probieren, was beibehalten? „Je mehr man hat, desto schwieriger wird’s, den sicheren Hafen zu verlassen und Risiko zu gehen“, erklärte Harting. „Das ist bei Menschen, die viel Geld haben, ja ähnlich. Die investieren nur in Sachen, von denen sie wissen, dass sie funktionieren. Es ist immer leichter, jemanden zu jagen als etwas zu verteidigen.“

Zweifel beim Trainer

Hartings Trainer Werner Goldmann gestand, dass er seine Zweifel gehabt hatte. Schließlich hatte im Wettkampf plötzlich der Rücken seines Schützlings gezwickt. „Ein medizinisches Time-out konnte ich nicht nehmen“, schilderte Harting die Situation, als ihn beim Aufstehen nach dem dritten Wurf jäh die Muskeln schmerzten. „Es stand nur ein russischer Arzt zur Verfügung – und wer weiß, wie die behandeln. Vielleicht mit Axt und Spaten ...“ Goldmann resümierte drum: „Es war ein toller Wettkampf mit einem wirklich guten, glücklichen Ende. Ich hätte eigentlich nicht gedacht, dass er so stark auftrumpfen kann.“

Den fünften Versuch hatte Harting sich erspart, nachdem er im ersten maue 62,16 Meter, im zweiten 68,13 Meter („Ich wusste, das würde nicht reichen“) und im dritten einen Fehlversuch verbucht hatte. Der vierte Wurf brachte dann die Siegweite.

Dass Harting nachher sein Trikot handstreichartig (und zum Entzücken der Moskauer Zuschauerinnen) zerriss, gehört ebenso zur bekannten Folklore wie seinen Ehrenrunde zum Entsetzen der Schiedsrichter und Volunteers im Stadioninnenraum. Wie stoppt man bloß einen 2,01 Meter großen, knapp 130 Kilo schweren Koloss, wenn der erst mal so richtig in Partylaune geraten ist?

Harting weiß es jetzt nach seiner Begegnung mit einheimischen Aufpassern. Grinsend erzählte er: „Da gab es keine Diskussionen. Die Jungs hatten 25 Kilo mehr auf den Rippen als ich! Der eine sagte nur auf Englisch mit starkem russischem Akzent: ‚Wäääääit!’ Also habe ich gewartet.“ Unten an der Bande herzte Christoph Harting wenig später seinen älteren Bruder (er hatte sich nicht für das Diskus-Finale qualifiziert), oben auf der Tribüne wurden Hartings Freundin, der Berliner Diskus-WM-Teilnehmerin Julia Fischer, die Augen vor Rührung ganz feucht. Selbst wenn es der x-te große Erfolg des Olympiasiegers ist, er lässt nicht kalt. Der zweite Deutsche im Finale, Martin Wierig, wurde Vierter mit 65,02 Meter.

Wierig unterdessen ist an diesem abermals warmen Dienstagabend im Luschniki-Stadion nicht der einzige deutsche Leichtathlet gewesen, der sich mit dem Rang hinter den Medaillenplätzen zufrieden geben musste. Nach der Siebenkämpferin Claudia Rath, der beim Titelgewinn der Ukrainerin Ganna Melnichenko 15 Punkte auf Bronze fehlten, setzte Silke Spiegelburg ihre bemitleidenswerte Serie vierter Plätze fort. Bis 4,82 Meter meisterte die Stabhochspringerin aus Leverkusen alle ihre vier Höhen im ersten Versuch, dann jedoch riss sie dreimal – und musste mitansehen, wie die Kubanerin Yarisley Silva an ihrer Stelle Bronze holte. Gold ging an Russlands kapriziösen Star Jelena Isinbajewa. Sie sorgte dafür, dass die Moskauer Arena erstmals fast komplett gefüllt war bei dieser WM. Als einzige überwand Isinbajewa 4,89 Meter.