Zuversichtlich sind die deutschen Leichtathleten zu den Weltmeisterschaften in Moskau gereist. Die Perspektiven sind gut, junge Sportler rücken nach.

Moskau. Wenn die Perspektive nicht nur rosig scheint, sondern es auch ist, darf die Vorausschau gern mal kerniger ausfallen. „Wir sind superstark!“, stellt also der deutsche Zehnkämpfer Pascal Behrenbruch, 28, in Moskau vor dem Beginn der Leichtathletik-WM (10. bis 18. August) selbstbewusst fest: „Ich bin mir sicher, dass ein Deutscher eine Medaille holt.“

An diesem Sonnabend startet Behrenbruch gemeinsam mit Michael Schrader und Rico Freimuth in die Titelkämpfe im Luschniki-Stadion. Als Weltjahresbester mit 8514 Punkten sollte er sich mit den Amerikanern Ashton Eaton und Trey Hardee aussichtsreich um die Podestplätze balgen. Springt am Sonntag im finalen 1500-Meter-Lauf tatsächlich eine Medaille heraus, wäre das ein formidabler WM-Auftakt für das 67-köpfige deutsche Team, das optimistisch-gelassen nach Russland gereist ist.

Die Erfolge der vergangenen drei Jahre sprechen für sich. An sie anzuknüpfen, ist nun die Herausforderung der Zukunft. „Der vergangene Olympiazyklus ist ein besonderer gewesen von den Belastungsstrukturen her mit der Heim-WM 2009, der WM 2011 in Korea und den Sommerspielen 2012“, sagt DLV-Sportdirektor Thomas Kurschilgen. „Das verlangt wichtige Strategiesetzungen. Spitzenleistungen von Spitzenathleten entwickeln sich nicht linear weiter. Wie müssen unseren Athleten im physischen und psychischen Bereich Regeneration einräumen. Das Thema duale Karriere ist wichtig, das müssen wir weiter forcieren.“

Auch wenn von den acht deutschen Medaillengewinnern aus London sieben in Moskau an Bord sind – Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf erholt sich von den Folgen eines Achillessehnenrisses –, gilt 2013 dennoch als Jahr der Neuformierung der Nationalmannschaft. Die Team-EM im Juni verschaffte schon mal einen Eindruck, wohin die Reise gehen kann. Dass die deutsche Mannschaft bis zum Schluss mit Russland um Platz eins wetteiferte, werten sie im DLV als positives Signal. Schließlich seien die Russen „unstrittig Nummer zwei im Weltvergleich“ hinter den USA, und im Jahr einer Heim-WM ist die Leistungsfähigkeit der Gastgebernation für gewöhnlich besonders hoch.

Zudem schnitt der DLV bei den U23-Europameisterschaften in Tampere (Finnland) vorigen Monat bemerkenswert gut ab. Im Nationenvergleich (Platzierungen zwischen Rang eins und acht) wurden die Deutschen hinter den Russen Zweiter, ließen dabei Großbritannien und Frankreich hinter sich. Einige der Starter aus Tampere wird man auch in Moskau sehen. „Wir haben eine junge Mannschaft mit einem Durchschnittsalter von 25 Jahren, und ein Ziel ist die systematische Vorbereitung auf Rio de Janeiro 2016“, sagt Verbandschef Clemens Prokop.

Sportdirektor Kurschilgen mahnt dabei: „Unsere Aussage gilt nach wie vor: Ziel kann nicht sein, das maximal Mögliche zu erreichen, sondern muss das individuell Machbare sein.“ Als ein gutes Beispiel illustrieren das die deutschen Sprinter in diesem Sommer. Im Vergleich mit der Weltspitze seit Jahren recht chancenlos, tut sich in dieser Disziplin Hoffnungsvolles. Verena Sailer, 27, etwa, die 100-Meter-Europameisterin von 2010, lief kürzlich in 11,02 Sekunden persönliche Bestzeit und ist in diesem Jahr schnellste Europäerin. Das WM-Finale scheint für sie unter günstigen Umständen erreichbar. Auch die Männer lassen aufmerken. 10,07 und 10,08 Sekunden rannten die Staffel-Kollegen Martin Keller und Julian Reus neulich in Weinheim. Nur der DDR-Sprinter Frank Emmelmann brachte die 100 Meter 1985 flinker hinter sich.

„Individuell machbar“ bedeutet für eine wie die Wattenscheider Weitspringerin Sosthene Moguenara, 23, insofern nicht, ihre persönliche Bestleistung in Moskau noch zu toppen. Sondern sich in der Weltspitze zu etablieren unter den besten zwölf. Angesichts ihres gewaltigen Satzes auf 7,04 Meter – seit Heike Drechsler 1998 war keine Deutsche mehr über sieben Meter gesprungen – in Weinheim vor einer Woche mag das rasch in Vergessenheit geraten.

Zu den Gesamtaussichten der Nationalmannschaft sagte DLV-Präsident Prokop: „Wir haben 30 Athleten, die in der Weltbestenliste unter den Top zwölf sind, darunter zwölf Athleten, die zu den Top vier zählen.“ Jene zwölf nennt er die Medaillenkandidaten. Denn bei aller Beschwörung der Perspektive und des Vorrechnens von Finalplatzierungen – die harte, nachhaltig wahrnehmbare Währung bleiben Plaketten in Gold, Silber, Bronze.

Insofern kann sich der deutsche Verband glücklich schätzen, Ausnahmeathleten wie Diskuswerfer Robert Harting, 28, den einzigen herausragenden Favoriten, in seinen Reihen zu haben. „Nach Berlin und Daegu auch in Moskau zu gewinnen hätte für mich schon einen besonderen Wert. Schließlich halte ich momentan alle drei Titel: Olympiasieger, Welt- und Europameister. Diesen Status will ich nicht verlieren, er ist ein wesentliches Merkmal von mir“, sagte Harting.

Dass es im Deutschen Leichtathletik-Verband, diesem Konglomerat aus unterschiedlichsten Disziplinen, Lobbys und Interessen, bisweilen auch zu Differenzen kommt, bleibt nicht aus. So gab es um die Nominierung – oder besser: Nichtnominierung – des Hürdensprinters Matthias Bühler Ärger.

Bühler hatte seinen Konkurrenten Erik Balnuweit bei den deutschen Meisterschaften zwar bezwungen. Seine Saisonbestzeit allerdings liegt mit 13,45 Sekunden eine Hundertstelsekunde über der von Balnuweit. Der DLV nominierte Balnuweit, woraufhin Bühler seine Berufung ins WM-Aufgebot juristisch durchzufechten versuchte. Vergeblich.