Beim Kraft- und Schnelligkeitstraining sind die USA und Jamaika Vorbilder. Warum die Männerstaffel bei der Leichtathletik-WM nach einer Medaille greifen kann.

Hamburg. Klaus Jakobs kann sich neuerdings auch Geschäftsführer nennen. Das wäre dann sein dritter Titel, neben dem des leitenden Hamburger Landestrainers und des Teammanagers der deutschen Sprinter. Aber diese neue Funktion ist rein ehrenamtlich: Sie betrifft den Förderverein „Deutsche Sprint Staffel“, der am vergangenen Freitag gegründet wurde. Der Vereinssitz ist Hamburg. Der Vereinszweck ist, Geld einzuwerben, um den schnellsten Deutschen noch bessere Trainingsbedingungen zu schaffen.

„Wir wollten den Rückenwind der vergangenen beiden Jahren nutzen“, sagt Jakobs, 44. Dass sie sich prinzipiell darauf verstehen, haben die deutschen Sprinter am vergangenen Wochenende in Weinheim bewiesen. 10,07 Sekunden wurden für den Leipziger Martin Keller über die 100 Meter gestoppt, 10,08 für Julian Reus vom TV Wattenscheid – die zweit- und drittschnellste Zeit, die je ein Deutscher gelaufen ist. Hätte der Wind statt mit 1,9 Meter pro Sekunde mit gerade noch erlaubten 2,0 geschoben, wäre der 28 Jahre alte Rekord des Magdeburgers Frank Emmelmann wohl Geschichte gewesen.

Es sind allerdings gar nicht die beiden Vor-Läufer, die vom Förderverein profitieren sollen. „Wir wollen, dass auch die Athleten, die keine Kadermitglieder sind, von den Maßnahmen profitieren.“ Denn diese Maßnahmen, davon ist Jakobs überzeugt, haben das Comeback des deutschen Kurzstreckenlaufs erst möglich gemacht.

Beim Kraft- und Schnelligkeitstraining sind die USA und Jamaika Vorbilder

Sieben Jahre ist es jetzt her, damals war Jakobs noch hauptamtlicher Bundestrainer, dass im Lager der Sprinter ein Umdenken einsetzte: Kompetenzen bündeln statt für sich behalten, miteinander trainieren statt nebeneinander her. 2010 dann bezogen die Kaderathleten erstmals ein gemeinsames Trainingslager in Clermont im US-Bundesstaat Florida. Dort fanden sie vor, woran es in der Heimat häufig mangelt: ein stabil warmes Klima, günstige Winde, eine schnelle Bahn. „Man darf nicht unterschätzen, welche Bedeutung die Sonne hat“, sagt Jakobs. Nebenbei habe sich seine Gruppe davon überzeugen können, dass die US-amerikanischen und jamaikanischen Stars, die sich an gleicher Stelle auf ihren Jahreshöhepunkt vorbereiteten, auch nur aus Fleisch und Blut bestehen: „Die müssen essen und trinken wie wir auch.“

Bei genauerem Hinsehen allerdings traten Unterschiede zutage. Sie betrafen sowohl die Lauftechnik als auch die Trainingsmethodik. Der Berliner Biomechaniker Ralf Buckwitz, der seit 2006 zum Betreuerstab gehört, hat festgestellt, dass bei den Jamaikanern der Eintrittswinkel in der sogenannten Stützphase erheblich höher ist als bei den eigenen Athleten. Der Vorteil: es geht weniger Energie in den Boden verloren. Auch fiel auf, dass die Konkurrenz aus Übersee deutlich mehr kurze und dafür besonders schnelle Läufe trainierte. Das wiederum könnte eine der Ursachen dafür sein, warum die deutschen Sprinter zwar 60 Meter lang gut mithielten, dann aber regelmäßig abreißen lassen mussten.

„Die Erkenntnisse haben unser gesamtes Kraft- und Schnelligkeitsprogramm infrage gestellt“, sagt Jakobs. Bundestrainer Roland Stein hat Kellers Training bereits entsprechend umgestellt. So sei es zu erklären, dass der Leipziger erst im bereits fortgeschrittenen Sprinteralter von 26 Jahren ganz nach vorn geprescht sei. Auch Reus, 25, hat nach großen Erfolgen im Juniorenbereich erst eine längere Durststrecke durchstehen müssen, ehe er im vergangenen Jahr mit 10,09 Sekunden die Lauffreude wiederentdeckte.

Mittlerweile ist der sogenannte Dreierschnitt – der Mittelwert aus den Saisonbestleistungen der drei schnellsten Sprinter – mit 10,12 Sekunden so gut wie noch nie. Und es erscheint nicht vermessen, dass Keller für die Staffel bei den Weltmeisterschaften in Moskau, die an diesem Sonnabend beginnen (s. Infokasten), die Bronzemedaille zum Ziel ausgerufen hat.

Jakobs ist vorsichtiger: „Ins Finale zu kommen wird schwer genug.“ Er erinnert sich ungern an das Olympiajahr 2012, als die Staffel nach ihrem Rekordlauf von Weinheim (38,02 Sekunden) als Jahresdrittbester nach London reiste und dort trotz starker 38,37 Sekunden im Vorlauf scheiterte.

Diesmal wollen sich Reus, Keller, Sven Knipphals (Wolfsburg) und Lucas Jakubczyk (Berlin) das Beste für den Schluss aufheben. In Weinheim begnügten sie sich nach Sicherheitswechseln mit 38,13 Sekunden, der drittbesten Zeit in der Welt. Reus aber hält die Staffel für so stark, „dass in Moskau eine 37er-Zeit rausspringen muss“.

Auf mehrere Zehntelsekunden schätzt Jakobs den Vorteil, der sich mit spezifischem Wechseltraining erzielen lässt. Vom britischen Sprinttrainer Tony Lester, den der deutsche Verband bis Jahresende als Berater verpflichtet hat, erhofft man sich weitere Impulse. „Dass andere Nationen schneller sind als wir“, sagt Jakobs, „kann ja nicht nur auf Manipulation zurückzuführen sein.“

Mitunter aber wohl schon. Durch die jüngsten Dopingenthüllungen sieht sich Jakobs in einem Verdacht bestätigt, den er schon lange hegt: „Fast alle, die je schneller als 9,8 gelaufen sind, sind irgendwann aufgeflogen.“ Nur Usain Bolt nicht, gerade er, der sogar überführten Betrügern noch um Längen davonläuft.

Jamaikas Superstar scheint bei der WM konkurrenzlos zu sein, nachdem seine ärgsten Rivalen entweder verletzt oder als Doper entlarvt worden sind. Für Keller und Reus dürfte es trotzdem schwer werden, ins Finale und damit an die lukrativen Verträge zu kommen. Dafür gibt es ja jetzt den Förderverein.